Rolls-Royce in Dahlewitz: Flugzeugturbinen aus dem Holodeck
Im Turbinenwerk von Rolls-Royce arbeiten Ingenieure in einem speziellen Virtual-Reality-Raum an 3D-Modellen von Maschinen – in Originalgröße.
Das knallbunte Triebwerk scheint mitten im Raum zu stehen, obwohl es nicht wirklich da ist. Das Modell ist zu sehen, sobald man eine spezielle 3D-Brille aufsetzt. Damit kann man um das Modell herumgehen, um es von allen Seiten zu betrachten. Außerdem lässt es sich Drehen oder Vergrößern mithilfe eines Flysticks, einer Art Fernbedienung.
Einzelne Teile kann man abnehmen, um die dahinterliegenden Bauteile oder Kabel zu sehen. Das Ganze erinnert ein wenig an das Holodeck der Science-Fiction-Serie „Star Trek“. An diesem Computermodell entwickeln die Mitarbeiter von Rolls-Royce ihre neue Turbinen.
Rolls-Royce gehört zu den weltweit wichtigsten Herstellern von Flugzeugtriebwerken. Das Werk im brandenburgischen Dahlewitz am südlichen Berliner Stadtrand besteht seit über 25 Jahren und ist ein international bedeutender Standort für Bau und Entwicklung in diesem Bereich. Im Sommer 2020 lieferte es das 8000. Triebwerk aus.
Doch der wichtigste Abnehmer von Rolls-Royce Deutschland, die zivile Luftfahrt, liegt aufgrund der Coronapandemie am Boden. Seither kriselt es auch bei dem erfolgsverwöhnten High-Tech-Konzern. Im Sommer mussten Mitarbeiter entlassen werden, auch in Dahlewitz. Aktuell arbeiten dort nach Unternehmensangaben etwa 2500 Menschen, vor der Krise waren es 2800 gewesen. Technische Innovation könnte ein Ausweg sein.
Bereits 2019 hat Rolls-Royce die Elektroflug-Sparte von Siemens übernommen. In Zukunft sollen in Brandenburg neue elektrische und hybrid-elektrische Antriebssysteme entwickelt und produziert werden. Airbus, ein wichtiger Rolls-Royce Kunde, hat vor wenigen Tagen die Entwicklung eines Flugzeuges mit Elektroantrieb angekündigt.
Marius Swoboda, Head of Design Systems Engineering bei Rolls-Royce, ist sich sicher: Das Virtual-Reality-Projekt kann bei der dafür notwendigen Forschung und Entwicklung eine große Hilfe sein. Doch das 3D-Modell sei von einigen gestandenen Ingenieuren anfangs eher belächelt worden, sagt er: „Wir wurden gefragt: Wollt ihr hier spielen?“ Inzwischen hätten aber viele Mitarbeitende die Vorteile dieser Technologie erkannt.
Turbinenbau ist Handarbeit
In der Simulation können mehrere Nutzerinnen oder Nutzer gleichzeitig dasselbe Modell betrachten. Dabei sehen sie sich auch gegenseitig im Raum, können sich unterhalten und miteinander austauschen – so als stünden sie vor einer tatsächlichen Turbine. Experten unterschiedlicher Fachbereiche suchen auf diese Weise gemeinsam nach Lösungen für vertrackte Probleme, die sich in zweidimensionalen Bauplänen nur schwer darstellen lassen.
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Und komplexe Probleme müssen in Dahlewitz häufig gelöst werden. Im Triebwerksbau sind die Sicherheits- und Qualitätsanforderungen extrem hoch, die produzierten Stückzahlen hingegen niedrig. Das führt dazu, dass die Montage im Grunde oft in Handarbeit erfolgt. Eine Serienproduktion wie im Autobau gibt es nur in einzelnen Bereichen.
Hinter dem 3D-Modell steht ein System des IT-Herstellers Virtalis. Drei Wände und eine Bodenfläche werden von Beamern angestrahlt. Die Brille enthält keinen Bildschirm. Deshalb kann man Kollegen sehen, die sich ebenfalls im Raum aufhalten. An der Brille sind weiße Kügelchen angebracht, mit deren Hilfe optische Sensoren feststellen, in welche Richtung der Nutzer schaut. Die Simulation wird daran angepasst.
Fachleute sprechen von einer „VR-Cave“, die Technologie wird auch bei Flugsimulatoren oder für Spiele verwendet. Ein Nachteil ist allerdings, dass nur ein Blickwinkel möglich ist. Ein User trägt eine so genannte Master-Brille, die anderen sehen dasselbe Bild. Daher müssen alle nah beieinander stehen.
Die verwendeten Geräte seien „Off-the-shelf-Komponenten“, sagt Entwicklungsingenieur Rogge, also handelsübliche Hard- und Software. „Das Einzige, was wir anpassen, sind sozusagen die Workflows dahinter. Wir ziehen die Informationen aus unserem System ab und bringen sie hier rein.“ Das dreidimensionale Modell basiere auf den Daten, die bei der Entwicklung der Maschinen gesammelt werden. „Es geht letzten Endes darum, die Realität in der virtuellen Welt abzubilden und beide Welten miteinander zu verknüpfen.“
Virtual Reality komme vor allem in der Designphase zum Einsatz, sagt Rogge. Denn damit könnten Anwendungsszenarien durchgespielt werden, noch bevor es reale Bauteile gebe. Aber auch für Ausbildung und Trainings sei die Technologie interessant.
Praxis und Forschung kooperieren
Bei solchen Zukunftsprojekten arbeitet Rolls-Royce eng mit der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) zusammen. Auch die VR-Cave ist ein Ergebnis dieser Kooperation, sagt Stephan Rogge. Das Werk stelle zum Beispiel Doktoranden Daten aus der Praxis zur Verfügung, die in der Forschung verwendet werden können.
„Meistens stellen wir diese Doktoranden dann ein“, ergänzt Swoboda. „Sie führen ihre Projekte weiter und bringen die Prozesse zu einem bestimmten Reifegrad, sodass sie in der Firma eingesetzt werden können.“ Das brandenburgische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Energie (MWAE) fördert Forschungs- und Entwicklungsvorhaben wie die VR-Cave mit Mitteln des Landes und des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE).
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Neben der Herstellung ist auch die Wartung der Triebwerke ein wichtiges Arbeitsfeld für Rolls-Royce. Wenn ein Flugzeug am anderen Ende der Welt einen Triebwerksschaden hat, müssen Experten in der Regel dorthin gebracht werden, um die Reparatur durchzuführen. Das kann schwierig sein, weil zum Beispiel Privatflieger auch abgelegene Flughäfen ansteuern.
Marius Swoboda glaubt, dass die virtuelle Realität in diesem Bereich an Bedeutung gewinnen wird. Statt einmal um die Welt zu fliegen, könne der Experte die Arbeitsschritte in der Cave simulieren. Ein Mechaniker vor Ort könne jeden Arbeitsschritt auf einem zweidimensionalen Schirm oder mit 3D-Brille mitverfolgen. „Wenn er das in der 3D-Welt sehen kann, versteht der Mechaniker natürlich viel besser, was der Experte sagt.“
Stephan Rogge ist überzeugt, dass die Simulationen bald noch wesentlich realistischer werden können. In einem „Informationsvisualisierungsraum“ könnten dann zum Beispiel klassische Präsentationen oder Videos mit 3D-Modellen verbunden werden, sodass sich die User körperlich dazwischen hin und her bewegen können.
„Und im besten Fall brauche ich dann auch keine Brille mehr, weil es autostereoskopische Displays sind.“ Bei dieser Technologie werden Bildpunkte so auf Displays verteilt, dass ein Tiefeneindruck entsteht. Für das Auge erscheint das Bild dreidimensional. Das käme einem Holodeck schon ziemlich nahe.