Lufthansa-Hauptversammlung: Die Coronakrise könnte das Fliegen nachhaltig verändern
Die Lufthansa steht zwischen Positiv-Rekorden von 2019 und Negativ-Rekorden im aktuellen Jahr. Ob eine Rettung Normalität zurückbringen kann, ist unklar.
Es war einer dieser Tage, an dem Vergangenheit und Zukunft zusammenfallen. Als Carsten Spohr am Dienstag seinen Aktionären erstmals virtuell Rechenschaft ablegte, da hatte der Lufthansa-Vorstandschef einige Rekorde zu verkünden. So viele Menschen wie nie zuvor waren 2019 mit den Fluglinien des größten europäischen Airline-Konzerns geflogen, dazu kam ein satter Milliardengewinn.
In der Coronakrise ist das Makulatur. Nun reiht sich ein Minus-Rekord an den anderen. 3000 Flüge fallen aktuell aus – pro Tag. Um mehr als 99 Prozent ist die Zahl der Passagiere geschrumpft. „Keine 65 Tage hat es gedauert, bis wir in punkto Flugaufkommen das Niveau von vor 65 Jahren erreicht haben“, sagte Spohr, „wir erwirtschaften so gut wie keine Einnahmen mehr“.
Mehr als 80.000 von 130.000 Mitarbeitern sind in Kurzarbeit, der Konzern verbrennt eine Million Euro pro Stunde. Da fällt das boomende Frachtgeschäft kaum ins Gewicht. „Das ist bitter, das tut weh“, so Spohr. Der Dax-Konzern bereitet nun den Neustart vor für die Zeit, in der Reiseverbote und Quarantäneregeln schrittweise aufgehoben werden. Wann genau das sein wird – unklar. „Frühestens ab Herbst“ werde es spürbar aufwärts gehen, vermutet Spohr, und auch dann in Trippelschritten.
Die Lufthansa wird schrumpfen
Der Lufthansa-Konzern mit seinen Tochterfluglinien Eurowings, Austrian, Swiss, Edelweiss und Brussels Airlines wird nach der Krise kleiner sein als vorher, darauf legt sich der Vorstandschef bereits fest. Die Flotte soll um 100 Flugzeuge schrumpfen, was auch einen Stellenabbau von etwa 10.000 Jobs nach sich ziehen könnte.
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Wegen der Weltwirtschaftskrise könne das sonst lukrative Business-Class-Geschäft noch länger schwächeln, weil Unternehmen auch nach dem Ende der Reisebeschränkungen an Dienstreisen sparen. Dass es oft auch Videokonferenzen tun, wie viele Firmen im Lockdown gemerkt haben, könnte den Trend verstärken. "Zum Neustart werden wir unser Tourismussegment bündeln und weiter ausbauen. Nach der Krise wird die Nachfrage hier stärker steigen, als bei den Geschäftsreisen", kündigte Spohr an.
Bevor es überhaupt wieder losgeht, muss auch noch das Rettungspaket der Regierung endgültig festgezurrt werden. Es geht um neun bis zehn Milliarden Euro, vor allem Kredite, eine stille Beteiligung, aber auch um einen möglichen 25-Prozent-Anteil für den Bund und Sitze im Aufsichtsrat. Noch wird über Details gestritten, auch innerhalb der Koalition. Die SPD-Spitze würde gerne durchregieren beim Kranich, die Union hält das für keine Idee. Zumindest öffentlich nähern sich beide Seiten bislang nicht an.
Unmut bei Aktionären und Umweltschützern
Der Unmut über das Kleingedruckte wächst, etwa bei den Lufthansa-Aktionären. So stehen neun Prozent Zinsen für eine stille Beteiligung des Staates im Raum. Das wäre "Wucher", sagte Marc Tüngler, Chef der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), dem Tagesspiegel. "Der Staat muss aufpassen, dass er nicht noch mehr Porzellan zerschlägt." Zudem reiche es nicht, nur über den Einstieg zu reden. Es brauche auch eine Exit-Strategie für den Steuerzahler.
Auch Umweltschützer beobachten das Milliardenspektakel mit Sorge. Sie fordern eine Klima-Klausel, ähnlich wie sie die französische Regierung bereits bei Air France durchgesetzt hat. "Ein mit Steuermilliarden finanzierter Neustart von Fluggesellschaften muss auch den Klimaschutz voranbringen", sagte Greenpeace-Verkehrsexperte Benjamin Stephan. Inlandsflüge müssten "dauerhaft" eingestellt und eine Quote für die Beimischung sauberer Kraftstoffe ins Kerosin eingeführt werden, um den Aufbau entsprechender Produktionsanlagen anzureizen.
Flugzeugbauer ebenfalls in der Krise
Der Stillstand am Himmel stürzt aber nicht nur die Airlines, sondern auch Flugzeugbauer wie Airbus in eine nie dagewesene Abwärtsspirale - und mit ihnen tausende Zulieferer in Deutschland, darunter die Triebwerksbauer MTU Aero und den in Brandenburg produzierenden Rolls-Royce-Konzern. Allein hierzulande geht es um die Zukunft von 110.000 Hightech-Jobs, warnte der Branchenverband BDLI am Dienstag.
Erst stornierten Fluglinien zahlreiche Bestellungen neuer Maschinen. Nun verkleinern sie ihre Flotten sogar dauerhaft, weshalb viele gar nicht so alte Gebrauchtjets auf den Markt kommen. Und der historisch niedrige Ölpreis verringert auf absehbare Zeit den Druck, aus Kostengründen ältere Modelle durch effizientere Maschinen zu ersetzen. Die Krise der Industrie könnte deshalb sogar deutlich länger dauern als die der Fluglinien.
"Die Lage ist dramatisch", sagte BDLI-Chef Volker Thum dem Tagesspiegel. "Wir erwarten keine schnelle Erholung, sondern ein tiefes Tal." Finanzhilfen für die Anschaffung neuer Flugzeuge für die Fluglinien und mehr Geld für das Luftfahrtforschungsprogramm könnten nicht nur die Branche stützen, so Thum: "Die Krise ist auch eine Chance, in Zukunft grüner zu fliegen."
Felix Wadewitz