Frauen in der Berliner Wirtschaft: "Ich bin sehr international aufgewachsen"
Kerstin Gessler wollte früher Karriere bei der Uno machen. Jetzt ist sie Personalchefin bei Rolls-Royce Deutschland. Wie war ihr Weg?
Lauter starke Frauen – und ein ehrgeiziger Vater. So sah es aus in der Familie, aus der Kerstin Gessler stammt. Sie ist überzeugt, dass ein Grund, weshalb sie heute in einer Top-Management-Position bei Rolls-Royce Deutschland in Dahlewitz sitzt, vor allem die Frauenvorbilder sind: die hätten sie geprägt.
Die Urgroßmutter war Hebamme in Franken, mit dem Fahrrad ist sie bei Wind und Wetter zu den Bauernfamilien geradelt und hat bei der Geburt geholfen.
Ihre Oma war Bürgermeister-Ehefrau einer 1000-Seelen-Gemeinde und musste mit den Mägden und Knechten den Laden schmeißen, weil der Opa beruflich viel auf Achse war.
Und ihre Mutter: Ja, die habe als junge Frau mit ihrer Freundin damals einen Aushang gesehen: Krankenschwestern wurden in den USA gesucht. Mit dem Schiff ging es ab nach New York.
„An Bord lernte sie meinen Vater kennen“, erzählt Kerstin Gessler. Der stammte aus einfachen Verhältnissen und hatte sich ein Abendstudium weitergebildet.
Gemeinsam mit einem Freund wollte er ebenfalls in den Staaten einen Job annehmen.
So wurde die heute 50-Jährige Kerstin Gessler in Kalifornien geboren, insgesamt sechs Jahre hatten die Eltern dort gemeinsam verbracht. Als der Vater ein Jobangebot bei Telefunken am Bodensee bekam, ging es zurück nach Deutschland.
„Ich bin sehr international aufgewachsen“, erzählt sie. Als sie das Abitur hatte, wollte sie „nach den Sternen greifen“: Ein Job bei der Uno, das war ihr Traum.
Deshalb entschied sie sich für ein Jura-Studium.
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Vorher ging es erstmal ab nach England, als Aupair. Und über Freunde ihrer Eltern, die in Südfrankreich ein Segelboot hatten, bekam sie direkt nach dem England-Aufenthalt eine Einladung, ein halbes Jahr in Paris bei ihnen zu leben – um an der Sorbonne französisch zu lernen. Das sei aber kein reiner Sprachkurs gewesen, sondern auch französische Geschichte, Kultur und Literatur wurden gelehrt.
Mit diesem Esprit machte sie sich ans Jura-Studium. Doch damit kam der erste Bruch: Sie hatte keine Freude an dem Stoff. „Ich wollte es durchziehen, weil ich dachte, ich kann meinem Vater nicht vor die Augen treten, wenn ich das abbreche“, erzählt sie. Das Examen bestand sie nicht. Eine bittere Erfahrung sei das gewesen. Doch die habe sie gleichzeitig stark gemacht und gelehrt, mehr auf das zu hören, was ihre Intuition ihr sagte.
Als Ferienjob arbeitete sie bei Airbus
Zunächst nahm Kerstin Gessler einen Ferienjob bei Airbus am Bodensee an, „um Geld zu verdienen“. Als Nortel-Dasa am Bodensee nach der Fusion ein Technologiezentrum eröffnete, bewarb sie sich auf eine Stelle in der Personalabteilung.
Hier habe sie genau das gefunden, was ihr liegt: Die Leidenschaft für Menschen, sie zu guten Leistungen zu führen, mit ihnen zu arbeiten, sagt sie. Früh sei klar geworden, dass sie gut systematisch Organisationsstrukturen entwickeln und helfen könne, und etwas Positives für die Unternehmenskultur zu tun. Das war das, was sie faszinierte.
Schnell arbeitete sie sich hoch zu Führungskraft. 2002 kam ihre Tochter zur Welt. Zwei Jahre später ihr Sohn. „Im Südwesten Deutschlands berufstätig sein zu wollen mit zwei Kindern, war besonders schwierig“, erzählt sie.
Sie habe „betteln“ müssen, dass sie ihren Sohn in eine Betreuung geben darf.
Der Job beim Mutterkonzern bedeutete zu pendeln
Als die Kinder ganz klein waren, blieb sie erst einmal zu Hause. Das konnte es doch auch nicht sein, fand sie. Außerdem war da ja noch das abgebrochene Jura-Studium, und sie wollte unbedingt ihren Abschluss machen.
Also holte sie den an der Fachhochschule nach: Diplom-Wirtschaftsjuristin. Auch als Selbstständige versuchte sie sich einige Zeit. „Ich war eine Art externe Personalabteilung für kleine und mittlere Unternehmen“, beschreibt Kerstin Gessler.
Doch so ohne Austausch im Team, das gefiel ihr nicht. Bei Rolls-Royce Power Systems, die ihren Sitz in Friedrichshafen haben, stieg dort auf zum „Talent Manager“, ging dann als Expertin zum Mutterkonzern nach England, um das dortige Talent Management weiter zu entwickeln und Tools dafür zu kreieren. Das bedeutete Pendeln: Zwei Wochen Bodensee, eine Woche England. Die Kinder seien da schon größer gewesen, „als sie noch ganz klein waren, hätte ich das nicht machen können“, gesteht sie. Doch so ungewöhnlich das Modell für viele klingen mag, Kerstin Gessler ist überzeugt davon, dass Kinder „daran wachsen und selbstständig werden“.
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Nach einer weiteren Führungsaufgabe wieder zurück in Deutschland, bei Rolls-Royce Power Systems, ist sie nun die Personalleiterin von Rolls-Royce Deutschland und wechselt wochenweise zwischen Dahlewitz und ihrem Wohnort in Friedrichshafen.
Für den Sohn und die Tochter, mittlerweile fast erwachsen, sei das auch nicht immer einfach, wenn die Mutter „als Chefin“ die ganze Zeit im Homeoffice sitzt und unentwegt telefoniert.
Bedingt durch die Coronakrise muss auch Rolls-Royce Stellen streichen. Denn das bedeute nicht nur Trennungsgespräche, sondern auch die ganze Abwicklung der Entlassungen.
Tanja Buntrock
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