Elektromobilität in Berlin: Flüchtlinge erhalten Freikarten für die Formel-E
Heute wird das Tempelhofer Feld zur Formel-E-Rennstrecke. Für die hier lebenden Flüchtlinge gibt es High-Tech vor der Haustür.
Der Rennwagen vor ihm hat beeindruckend breite Reifen, ein windschnittiges Design, futuristische Heckflügel, eine kunstvoll lackierte Karosserie aus schwarz-weiß-Mustern. Aber Mahdi interessiert das alles nicht. Sein Problem liegt ein paar Zentimeter über dem Asphalt. „Da sitzt man ja fast auf dem Boden“, sagt er und zieht die Brauen hoch, „da kann man ja kaum etwas sehen.“ Tja, so ist das in einem Formel E-Rennwagen. Die Boliden ähneln Formel-1-Wagen, der Fahrer hockt fast auf der Straße. Er sieht genügend, um Rennen zu fahren, aber das muss man Mahdi erstmal erklären. Er ist neun Jahre alt, spielt gern Fußball und hat es nicht so mit Rennautos. Und mit solchen, die gerade vor den Hangars des Tempelhofer Felds stehen, schon gar nicht.
Neben Mahdi, dem jungen Afghanen, stehen noch 40 weitere Flüchtlinge, deren Betten in den Hangars stehen. Sie alle stehen um den Formel-E-Boliden, den der Belgier Jerome d’ Ambrosio fährt. Sein Name steht auf der Karosserie, neben einer kleinen belgischen Fahne. Sie haben den Rennwagen extra hergerollt, damit ihn alle bewundern können. Deshalb stehen die Flüchtlinge ja da, sie sollen hautnah Kontakt zu dieser Veranstaltung bekommen, die am Wochenende vor ihrer Unterkunft abläuft.
Das Tempelhofer Feld wird zur Rennstrecke, die Elektro-Boliden jagen über die Betonpisten, vorbei an den Stahlrohr-Tribünen, vorbei an den Formel-E-Fans, vorbei aber auch an vielen Flüchtlingen.
Gegen die Monotonie des Alltags
Tamaja, die Betreibergesellschaft des Flüchtlingsheims, und die Veranstalter der Formel E haben diese kleine PR-Show organisiert. Flüchtlinge besuchen die Boxengasse, sehen, wie die Flügeltüren des Safety Cars nach oben gleiten, dürfen sich neben Rennwagen fotografieren lassen. Natürlich sollen die Geflüchteten in die Veranstaltung eingebunden werden. Aber im Kern geht’s um mehr. Maria Kipp, die Tamaja-Sprecherin, sagt: „Wir wollen, dass sie etwas anderes in ihrem Alltag erleben.“ Die Hangars sind noch immer Notunterkunft für 434 Menschen, darunter 69 Kinder unter 17 Jahren. Und Notunterkunft bedeutet: Zusammenleben mit Fremden auf engstem Raum, kaum geschützte Privatsphäre, Lärm, Unruhe, Langeweile, gereizte Atmosphäre. 60 Flüchtlinge in der Notunterkunft Rathaus Wilmersdorf haben vor wenigen Wochen mit Sit-ins vor dem Rathaus gegen diese Bedingungen protestiert.
Die Monotonie des Alltags muss aufgebrochen werden, das ist das Ziel, und wenn es nur für kurze Zeit ist. „Es ist wichtig für uns, dass die Bewohner ein Event haben“, sagt Maria Kipp. Deshalb konnten sie sich seit Tagen in eine Liste eintragen, wenn sie an dieser Besichtigung teilnehmen wollten.
Von beeindruckenden Pferdestärken...
Jetzt stehen sie da, ein paar Meter von den Zelten der Teams entfernt, in denen die Autos zusammengeschraubt werden, und hören Carlos Nunez zu. Nunez hält eine Cola-Dose in der Hand und wirkt wie ein gemütlicher Onkel, der sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt. In Wirklichkeit ist der Brite Technischer Manager der Formel E und Teil des PR-Programms. Er beantwortet Fragen der Flüchtlinge, zum Beispiel diese: „Wie schnell sind denn die Rennwagen?“ – „200 Stundenkilometer“, antwortet Nunez, ein Dolmetscher übersetzt, und Sohrab Alizaleh zieht hörbar die Luft ein. Der Afghane trägt eine schwarze Brille und eine rote Baseball-Kappe, er hat schon zuvor beeindruckt den Rennwagen von d’Ambrosio betrachtet. 200 Stundenkilometer, Donnerwetter.
Für Leute wie ihn ist diese Show vor allem gemacht. Alizaleh, rund 30 Jahre alt, ist seit fast zwei Jahren hier. Er gehört zu den Menschen, denen die Atmosphäre in einer Notunterkunft besonders zusetzt. „Es ist hier eine tolle Abwechslung“, sagt er. Dann läuft er hinter den Boliden, stellt sich in Pose, lacht breit und lässt sich von seinen Kumpels fotografieren.
Und natürlich ist diese Show wichtig für die Kinder. Die brauchen ja auch Abwechslung, auch wenn Tamaja viel für sie tut. Mahdi, der neunjährige Afghane, spielt mit Freunden Verstecken, wenn er nicht gerade gegen den Ball tritt. Oder er kämpft beim Inline-Hockey. Kinder können sich leichter beschäftigen in einer Notunterkunft als Erwachsene, aber natürlich leiden auch sie unter der bedrückenden Atmosphäre.
...und ganz normalen Zuschauern
Es geht hier ja auch um Würde, um eine gewisse Form von selbstbestimmtem Leben. Deshalb diese Geschichte mit dem Eingang. Die Flüchtlinge bekommen natürlich Freikarten. Aber sie sollen diese Rennen nicht bloß als Bewohner eines kalten, nüchternen Hangars betrachten. Sie sollen sich wie echte Fans fühlen. Sie sollen geistig mit jenen verschmelzen, die mit gekauften Tickets am Haupteingang zu den Tribünen strömen.
Also laufen Alizaleh und die anderen nicht einfach die paar Meter von ihren Wohnboxen übers Vorfeld zu ihren Plätzen, sie gehen außen herum, durch den Haupteingang, wie jeder andere auch. „Wir wollen, dass sie sich als normale Zuschauer empfinden“, sagt Maria Kipp.
Und zumindest der elf-jährige Hamza wird bei den vorbei rasenden Rennwagen nicht gleich vor Ehrfurcht erstarren. Er kennt doch solche High-Tech-Veranstaltungen. „Formel 1“, sagt der Afghane fast lässig, „ habe ich doch schon im Internet verfolgt.“
Tickets
Für beide Renntage der Formel E auf dem Tempelhofer Feld gibt es noch Tickets am Haupteingang Platz der Luftbrücke sowie am Eingang am Tempelhofer Feld. Die Karten für Tribünenplätze variieren zwischen 24,50 bis 49 Euro. Auch Stehplatzkarten für je 5 Euro gibt es noch.
Laut Veranstalter Gil und Weingärtner können maximal 20 000 Zuschauer pro Tag die Rennen beziehungsweise die Events im E-Village anschauen. Gerechnet wird mit jeweils 15 000 Besuchern am Sonnabend und Sonntag auf dem Tempelhofer Feld.
Veranstaltungen
Im E-Village finden Stuntshows, E-Kart-Aktionen und Events für Kinder statt. Audi, BMW, Jaguar, Mercedes, Renault informieren über Elektromobilität.
Das freie Training läuft am Sonnabend und Sonntag von 8 bis 8.45 Uhr, Qualifikationsläufe sind ab 12 Uhr, die Rennen starten um 16 Uhr. Samstags werden 44, am Sonntag 46 Runden auf dem 2, 03 Kilometer langen Kurs mit zehn Kurven und mehreren Geraden gefahren.