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Dr. Motte plant eine Neuauflage seiner Loveparade.
© Annette Riedl/dpa
Update

„Rave the Planet“: Dr. Motte will neue Loveparade in Berlin starten

Dr. Motte plant eine Neuauflage der Loveparade unter anderem Namen. Damit will er die Clubkultur stützen – und für Weltfrieden sorgen.

„Empört euch!“, ruft Loveparade-Gründer Dr. Motte am Montagmorgen den versammelten Pressevertretern zu und zitiert damit den ehemaligen französischen Widerstandskämpfer Stéphane Hessel. Der Widerstand, zu dem Dr. Motte aufruft, ist einer, der in Berlin gerade viele junge Menschen umtreibt: der gegen das prognostizierte Sterben der Clubkultur. Aktuell stehen verschiedene Technoclubs vor dem Aus. Die Griessmühle und das KitKat sind nur die jüngsten Beispiele dafür, dass die Szene bedroht ist.

Dr. Motte kritisiert am Montag die mangelnde Unterstützung durch die Politik. „Techno hat in dieser Stadt für mehr positiven Wandel gesorgt als jede Werbekampagne des Senats“, sagt er. Die Stadt müsse dafür sorgen, dass diese Kultur erhalten bleiben könne. Um ein Zeichen für die Anerkennung der Clubkultur und elektronischen Tanzmusik zu setzen, will Dr. Motte, der mit bürgerlichem Namen Matthias Roeingh heißt, sein Baby, die Loveparade, zurück in die Stadt holen: Mit seinem neuen Projekt „Rave the Planet“, für das er eine gemeinnützige GmbH gegründet hat, sammelt er Geld für eine Technoparade in Berlin.

Techno soll Weltkulturerbe werden

Außerdem wollen die Veranstalter die elektronische Tanzmusik bei der Unesco als immaterielles Weltkulturerbe anmelden lassen. Darüber denkt Dr. Motte wohl schon seit vergangenem Sommer nach: Damals erwähnte er die Idee in einem Interview mit dem Tagesspiegel. Doch was bringt das der Berliner Clubszene wirklich? Der Status wäre zwar eine Wertschätzung – konkrete politische Verpflichtungen oder Vorteile ergeben sich daraus jedoch nicht. Ein ähnliches Beispiel gibt es in Zürich, dort ist die Technokultur der Stadt seit 2017 als immaterielles Kulturerbe gelistet.

Friede, Freude, Eierkuchen. Dr. Motte auf der Loveparade im Jahr 2002.
Friede, Freude, Eierkuchen. Dr. Motte auf der Loveparade im Jahr 2002.
© Eisend/Imago

Dr. Motte rief die Loveparade 1989 ins Leben, damals tanzten unter dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ 150 Raver durch Berlin. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sie sich zu einer Millionenveranstaltung, die seit 2007 nicht mehr in Berlin stattfand. Ihr tragisches Ende erreichte sie 2010 in Duisburg, als bei einer Massenpanik 21 Menschen ums Leben kamen. Dr. Motte war da schon längst nicht mehr mit an Bord.

Trotzdem: Die Marke Loveparade, insbesondere der Blick auf ihre wilden Anfangsjahre, scheint sich bis heute gut zu verkaufen. Das zeigen besucherstarke Ausstellungen wie „Nineties Berlin“ oder „Dr. Mottes Loveparade“ in der Alten Münze in Mitte.

Die neue Loveparade wird unter anderem Namen stattfinden

Auch wenn die neue Parade nicht unter dem Titel „Loveparade“ stattfinden wird – die Namensrechte liegen bei Rainer Schaller, der ab 2006 mit seiner Firma Lopavent die Parade ausrichtete – ist die Hoffnung groß, dass auch dieses Projekt ein Erfolg wird. Das Geld dafür soll per Fundraising zusammenkommen. Oder, wie Dr. Motte es nennt: „Fundraving“.

Als Visualisierung dieses Vorhabens sollen an drei Orten in Berlin Skulpturen entstehen, die die Loveparade in Miniatur nachstellen. Mit einer Spende ab fünf Euro kann man winzige Raverfiguren, Trucks oder Bäume kaufen, die dann an die Skulptur angebracht werden und diese wachsen lassen. 80 Prozent dieser Einnahmen sollen laut Veranstaltern an gemeinnützige Zwecke fließen. Dazu zählt auch die Parade selbst, die für Weltoffenheit und Toleranz stehen soll. Ihr erklärtes Ziel ist kein geringeres als „der Weltfrieden“. Es entbehrt bei allem nicht einer gewissen Ironie, dass der erste Ort, an dem eine dieser Skulpturen steht, am Potsdamer Platz liegt, ungefähr da, wo sich einst der Garten des legendären Technoclubs Tresor befand. Heute steht da die Mall of Berlin – nicht gerade eine Institution, die für den Erhalt von Freiräumen und nicht-kommerzieller Kultur steht. Auch, wenn sie sich bereits mit einer Spende an dem Projekt beteiligt hat.

500.000 Menschen sollten teilnehmen

Ein konkretes Fundraising-Ziel gibt es laut den Organisatoren nicht. Man wolle erst mal sehen, wie die Resonanz beim potenziellen Publikum ist. Also herausfinden, ob überhaupt jemand Lust auf so eine Neuauflage der Loveparade hat. Das Modell dient dabei als eine Art Stimmungsbarometer. Schön fände man es, wenn am Ende 1,5 Millionen Figürchen darauf stünden – so viele Menschen nahmen Ende der Neunziger an der Loveparade teil.

Mit einem Beitrag von fünf Euro kann man kleine Raver- oder Baumfiguren kaufen und das Modell wachsen lassen.
Mit einem Beitrag von fünf Euro kann man kleine Raver- oder Baumfiguren kaufen und das Modell wachsen lassen.
© promo

Um die 500.000 Menschen müssten aber etwas spenden, damit sich die Veranstaltung überhaupt finanzieren lässt, sagt Ellen Dosch-Roeingh, die für die Pressearbeit des Projekts zuständig ist. Wenn die Idee gut ankomme, könnte schon in diesem Jahr die erste Parade stattfinden. Die würde nach dem Willen der Veranstalter am 1. August über die Straße des 17. Juni führen, ungefähr dort entlang, wo auch die originale Loveparade ab Mitte der Neunziger bis 2006 stattfand. Die genauen Details müssten noch geklärt werden, das hinge auch alles davon ab, wie viele Menschen sich an dem Projekt beteiligten. Die Genehmigungsverfahren aber liefen bereits, sagt Dosch-Roeingh, man habe die Veranstaltung als Demonstration angemeldet.

Ob die Veranstaltung als Demo durchgeht, ist unsicher

Bezirksbürgermeister und Ordnungsstadtrat von Mitte Stephan von Dassel wusste am Montagnachmittag noch nichts von den Plänen. Er bezweifle, dass die Veranstalter es schafften, die Technoparade als Demonstration durchzukriegen, sagte er am Telefon. Bei einer Musikveranstaltung müssten sie selbst für alle Kosten wie Sicherheit und Müllbeseitigung aufkommen, und die lägen in dieser Größenordnung mindestens im sechsstelligen Bereich. Generell brauche der Bezirk Mitte nicht noch mehr Großveranstaltungen. Die Entscheidung darüber liege aber letztendlich nicht bei ihm, sondern bei der Versammlungsbehörde.

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Immer wieder gab es in der Vergangenheit auch Diskussionen um Partytouristen und Forderungen, verstärkt andere Zielgruppen nach Berlin zu locken. Die Tourismusvermarkter von Visit Berlin stehen den Plänen aber offen gegenüber. „Berlin ist bekannt für Techno, das gehört dazu wie die klassischen Angebote“, sagt Sprecher Christian Tänzler.

Politische Raves laufen gut in Berlin

Und der Zeitpunkt ist gut, um die Loveparade zurück nach Berlin zu holen: In den letzten Jahren erfreuten sich verschiedene Veranstaltungen, die eine Mischung aus Rave und politischer Demonstration waren, hoher Teilnehmerzahlen. Man denke nur an die „AfD Wegbassen“-Demo 2018, an der laut den Veranstaltern 70 000 Menschen teilnahmen, tanzten und dabei gegen Rassismus demonstrierten.

Ein anderes Beispiel ist der „Zug der Liebe“, der seit 2015 stattfindet und sich ebenfalls über Crowdfunding finanziert. Jens Schwan, einer der Organisatoren, sieht seine eigene Veranstaltung von Dr. Mottes Technoparade nicht bedroht. „Gesellschaftlicher Protest ist immer gut“, sagt er. Ihm fehle aber bei dem Projekt die konkrete Zielsetzung. Er befürchtet, dass die Parade zu einer reinen Party ohne wirkliche politische Inhalte werden könnte – zu einer „Nostalgieveranstaltung“.

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