Nach Katastrophe 2010: Loveparade-Prozess gegen sieben Angeklagte eingestellt
Der Prozess um die Loveparade ist für die meisten Angeklagten zu Ende - bestraft werden sie nicht. Hinterbliebene sind nicht einverstanden.
Achteineinhalb Jahre nach der Loveparade-Katastrophe mit 21 Toten hat das Duisburger Landgericht das Strafverfahren gegen sieben von zehn Angeklagten eingestellt. Für sie ist der Prozess ohne Strafen und Auflagen beendet. Das gab das Gericht am Mittwoch in Düsseldorf bekannt. Drei Angeklagte, die eine Geldauflage in Höhe von etwa 10.000 Euro hätten zahlen sollen, hatten eine Einstellung abgelehnt. Gegen sie geht der Prozess nun weiter.
Bei der Loveparade im Juli 2010 in Duisburg wurden in einem Gedränge 21 junge Menschen zu Tode gedrückt und mehr als 650 verletzt. Der Prozess hatte im Dezember 2017 begonnen. Allen Angeklagten waren unter anderem fahrlässige Tötung und schwere Planungsfehler vorgeworfen worden.
Nebenklage-Anwälte hatten die Einstellung vorab kritisiert
Das Gericht hatte Mitte Januar die Einstellung vorgeschlagen. Die individuelle Schuld der Angeklagten sei gering oder allenfalls als mittelschwer anzusehen. Neben Planungsfehlern sieht das Gericht ein kollektives Versagen vieler Personen am Veranstaltungstag als mitverantwortlich für das Unglück.
Mehrere Nebenklage-Anwälte hatten die Einstellung vorab kritisiert. Nach wie vor bestehe ein öffentliches Interesse an einer Aufklärung, argumentierten sie. Der Vater eines getöteten Loveparade-Besuchers hatte sich unmittelbar vor der Entscheidung des Gerichts am Mittwoch noch gegen die Einstellung des Verfahrens gestemmt und dem Gericht Fehler vorgeworfen.
Für drei Angeklagte geht das Verfahren weiter
Unter den sieben Beschuldigten, für die der Prozess nun endet, sind sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg sowie ein Mitarbeiter des Loveparade-Veranstalters Lopavent. Die drei Angeklagten, für die der Prozess weitergeht, waren ebenfalls bei Lopavent beschäftigt.
Als einen Grund für ihre Zustimmung zur Einstellung hatte die Staatsanwaltschaft den Umstand genannt, dass am 28. Juli 2020 die Verjährung eintritt. Das nach dem Gesetz für ein Urteil erforderliche Beweisprogramm könne bis dahin auch bei größter Anstrengung nicht absolviert werden. So müssten die meisten der im zentralen Sachverständigengutachten genannten 575 Zeugen noch vernommen werden. In den vergangenen 14 Monaten hat das Gericht 59 Zeugen und 8 Sachverständige vernommen.
Emotionaler Appell eines Vaters an das Gericht
Kurz vor der Verfahrenseinstellung gegen sieben der zehn Angeklagten durch das Gericht, erhielt am Mittwoch im Verhandlungssaal noch einmal einer der Hinterbliebenen das Wort. Der Bauingenieur Klaus Peter Mogendorf, der bei dem Unglück in Duisburg im Sommer 2010 seinen Sohn Eike verlor, richtete einen emotionalen Appell an das Gericht. "Es gibt noch viele brennende Fragen, die es lohnt aufzuklären", sagt Mogendorf. Eine geringe oder aber mittelschwere Schuld der Angeklagten in dem Mammutverfahren festzustellen, sei nach gut einem Jahr Verhandlungsdauer schlicht nicht möglich.
Er sei "wie vor den Kopf geschlagen" gewesen, als er die entsprechende Begründung des Gerichts für dessen Einstellungsvorschlag gehört habe. "Für solche Schlussfolgerung ist es zu früh", betonte der Hinterbliebene gut ein Jahr nach dem Prozessbeginn - und knapp eineinhalb Jahre vor Eintritt der sogenannten absoluten Verjährung, die ab dem Juli 2020 eine weitere Strafverfolgung im Loveparade-Fall unmöglich machen würde.
Angehöriger Mogendorf fordert weitere Aufklärung
Mogendorf pochte darauf, dass der Grund für den Tod seines Sohns und weiterer 20 Menschen in dem Gedränge am Duisburger Veranstaltungsgelände offen gelegt werden muss - und wer strafrechtlich dafür Verantwortung trägt. "Es muss weiter aufgeklärt werden", forderte der Nebenkläger. Wichtige Zeugen seien noch gar nicht gehört worden.
Zugleich zeigte sich der Bauingenieur überzeugt, dass bei der Loveparade behördliche und gesetzliche Vorgaben für Großveranstaltungen "nicht angewendet oder umgangen" wurden. Er schloss seine Ausführung mit einer unmissverständlichen Aufforderung an die Strafkammer des Duisburger Landgerichts: "Stellen wir uns gemeinsam darauf ein, diesen Prozess nicht einzustellen."
Vorsitzender Richter zeigt viel Fingerspitzengefühl
Seinen Appell richtete Mogendorf an den Vorsitzenden Richter Mario Plein. Und der Richter nahm die Worte des Nebenklägers nicht etwa nur zur Kenntnis und anschließend zu den Akten, wie es manch anderer Kammervorsitzender womöglich getan hätte. Vielmehr antwortete Plein dem Hinterbliebenen der Loveparade-Tragödie ausführlich und zeigte dabei viel Fingerspitzengefühl.
Dabei ging der Richter unter anderem darauf ein, dass bei der Einstellung eines Strafverfahrens juristische Begriffe wie "geringe Schuld des Angeklagten" oder "Wegfall des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung" eine zentrale Rolle spielen. Für die Hinterbliebenen einer Katastrophe wie damals bei der Loveparade müssten solche Begriffe "Reizwörter" sein, sagte Plein. Dies könne er "sehr, sehr gut verstehen".
"Wir werden hier unsere Arbeit weitermachen"
Dennoch: "Es ist einfach nicht richtig anzunehmen, wir würden keine Schuldigen sehen", sagte der Richter. "Viele Leute tragen Schuld." Das Gericht wisse durchaus um die Ausmaße der Loveparade-Tragödie - auch mit Blick auf seinen Vorschlag, das Verfahren einzustellen. "Es gibt schon gute Gründe, das so zusehen, wie wir es sehen", hob Plein hervor.
"Natürlich werden wir jetzt intensiv weiter unserer Aufklärungspflicht nachkommen", fügte der Vorsitzende Richter hinzu - denn trotz der Verfahrenseinstellung gegen sieben Angeklagte sitzen weiterhin drei Beschuldigte auf der Anklagebank, weil sie einer Einstellung ihrer Verfahren nicht zustimmten. Für den Richter war jedenfalls klar: "Wir werden hier unsere Arbeit weitermachen." (dpa, AFP)
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