zum Hauptinhalt
Die Glienicker Brücke.
© dpa

Gescheiterte Länderfusion mit Berlin: Die Brandenburger wollen keine Berliner Verhältnisse

Vor 20 Jahren widersetzten sich die Brandenburger bei einer Volksabstimmung einem Zusammenschluss mit Berlin. Zumindest Brandenburg hat die Erfahrung gemacht, dass es allein ganz gut klarkommt.

Ach ja, da war mal was. Als Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) dieser Tage gefragt wird, wie das denn so war kurz vor der Abstimmung zur Länderfusion zwischen Berlin und Brandenburg, reagiert er erstaunt. Er erinnert sich dennoch, wie er als 34-jähriger Hinterbänkler im Parlament brav am „Fusions-Bürgertelefon“ seine Dienste schrubbte. Er versuchte Anrufern die Sorge vor dem vereinigten Land zu nehmen, was oft vergebliche Mühe war. „Ich bin, anders als der damalige Fraktionschef Wolfgang Birthler, ein Befürworter gewesen“, sagt er. „Ich war ja wirklich davon überzeugt, dass es gut war.“ Und es klingt, als ob er über eine Jugendsünde spricht.

Zwanzig Jahre ist das nun schon her, seit am Abend des 5. Mai 1996 die Hochzeitsparty im Jagdschloss Glienicke ausfiel. Der Versuch, Berlin und Brandenburg zum fünftgrößten Bundesland zu machen, ebenbürtig etwa mit Baden-Württemberg, mit Potsdam als Hauptstadt, war gescheitert. 1991 hatten schon erste Vorbereitungen begonnen, 1994 war ein Staatsvertrag ausgehandelt und 1995 von beiden Parlamenten verabschiedet worden.

Und danach hatte eine breite Allianz dafür öffentlich getrommelt, vornweg die beiden Regierungschefs Manfred Stolpe (SPD) und Eberhard Diepgen (CDU) samt Kabinetten, Parteien, Unternehmerverbänden, Gewerkschaften, Kirchen und ja, auch fast allen Medien der Region in einer Einmütigkeit, wie es sie vorher und auch danach nicht mehr geben sollte.

Länder haben sich eingerichtet

Trotzdem klappte es nicht. Zwar hatte es bei der Volksabstimmung in Berlin eine 53,4-Prozent-Mehrheit gegeben, aber in Brandenburg waren 62,7 Prozent dagegen. Stolpe erwog einen Rücktritt, sprach vom „Scherbenhaufen“. Fast vergessen sind die Krämpfe vorher, die eher peinliche Werbe-Agitprop mit all den Hochglanzbildern, inflationären Adlern und Bären in Gemeinsam-sind-wir- stark-Posen – oder jenes Poster einer schattigen Allee, das dann als Aufnahme aus dem Süden Frankreichs enttarnt wurde.

Oder, wie der damals noch mächtige CDU-Fraktionschef Klaus Rüdiger Landowsky den Märkern schon mal prophezeite, wie man im neuen Land schon „mit dem eisernen Besen in mancher sozialistischen Wärmestube“ kehren würde. Er war es, der mit diesem Spruch der brandenburgischen PDS-Opposition für ihren dialektisch verbrämten Anti-Fusions-Kampf („Wir sind für die Fusion, aber gegen schlechte Verträge“) die nötige Munition lieferte und die Vorbehalte der Brandenburger vor der drohenden Dominanz der Berliner bestätigte.

Beide Länder haben sich seither eingerichtet. Beziehungsstatus: Es ist kompliziert. Die Regierungen tagen alle Jahre mal gemeinsam. Man kooperiert da, wo es nötig oder unausweichlich ist, und lässt sich ansonsten in Ruhe. Ab und zu gibt es mal Ärger, und manchmal auch ohne Einigung, wie bei der Braunkohle oder dem schärferen Nachtflugverbot am BER (noch so ein bislang gescheitertes Berlin-’Brandenburgisches Projekt).

Für Familien sind manche Unterschiede schon krass

Die vielen Institutionen aber, einst extra zusammengelegt, arbeiten meist geräuscharm, mal besser, mal schlechter, wie sie es getrennt auch tun würden: Landesplanung, Statistikamt, Rundfunkanstalt, die in der ARD trotzdem keine mit Gewicht wurde. Manchmal ist man auch wieder getrennte Wege gegangen: Weil auf den Gymnasien auf dem Land wegen der geringen Schülerzahlen nicht so viele Leistungskurse angeboten werden können wie in Berlin, ist Brandenburg aus dem gemeinsamen Zentralabitur wieder ausgestiegen, damit die eigenen Abiturienten nicht benachteiligt sind. Für Familien sind manche Unterschiede schon krass: In Berliner Kitas werden keine Elternbeiträge verlangt, während ein paar Kilometer weiter monatlich teils 100, 200 oder gar 300 Euro fällig werden.

Trotzdem spielt im Alltag die Landesgrenze kaum noch eine Rolle. Klar, am Reformationstag fällt das Umland regelmäßig in die Stadt zum Shoppen ein. Klar, die 170 000 Brandenburger, die nach Berlin zum Arbeiten pendeln, oder die 80 000 in umgekehrter Richtung ärgern sich über verspätete S-Bahnen oder Staus. Aber hätte eine Fusion wirklich etwas geändert?

In den ersten Jahren nach dem Scheitern zelebrierte die Politik noch regelmäßig therapeutische Anti-Kater-Rituale nach dem Muster: Es kam der Appell etwa von Klaus Wowereit („Berlin ist bereit“), einen neuen Anlauf zu versuchen, was die Brandenburger ebenso stoisch zurückwiesen. Es wurden immer wieder mal neue Fahrpläne und Jahresdaten empfohlen, die ebenso fix wieder verworfen wurden.

Vor allem aber ist da das Berliner „Tempo, Tempo“

Inzwischen ist die nächste Stufe erreicht. Auch in Berlin sind die Fusionsaufrufe eingestellt worden. Das Thema ist für den neuen Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) abgehakt. Man schafft es ja schon kaum, die eigenen Probleme zu lösen, und überhaupt, diese seltsamen Brandenburger.

Oft ist, in Berlin wie in Brandenburg, in offiziellen Reden zutreffend von der gemeinsamen Hauptstadtregion die Rede. In der politisch-medialen Kultur ist eine solche Gemeinsamkeit allerdings nicht existent. Die politischen Klassen beider Länder sind sich, mit Ausnahme vielleicht der Grünen, im Grunde fremd geblieben, und seit 1996 sogar fremder und fremder geworden.

Selbst zwischen Landesverbänden derselben Partei liegen meist Welten, wie etwa die SPD beweist, wo die Berliner sogar die brandenburgischen Linken links überholen. Vor allem aber ist da das Berliner „Tempo, Tempo“, die Lautstärke, die Erregungskurve der Metropole, deren Politikbetrieb sich in kürzester Zeit auf Hochspannung steigern kann.

Nie war das besser ersichtlich als 2013 am ersten BER-Arbeitstag von Hartmut Mehdorn, der im Brandenburger Landtag seine immer noch aktuelle Frage formulierte: „Muss man Tegel wirklich schließen?“ Da war die Aufregung in Berlin schon groß, während die Sitzung brandenburgisch gemächlich weiterlief. In Brandenburg wiederum hat man über Jahrhunderte tief verinnerlicht, was bis heute die Mentalität und die Politik prägt: Dass es ganz klug ist, lieber erst abzuwarten, ob ein Problem am nächsten Tag oder in der nächsten Woche immer noch existiert. Weil es erst dann wirklich ein Problem ist, das dann eben irgendwie gelöst werden muss, egal wie.

Brandenburg hat sich gewandelt

So lassen sich bis heute alle Deutungen, warum eine Länderfusion scheitert, auf Fontanes Beobachtungen reduzieren: Er beschrieb die Märker einst als „tüchtige, aber eingeengte Leute“, „ohne rechte Begeisterungsfähigkeit“. Der „Grundzug“ der Berliner sei ein „krasser Egoismus“, ein „naives, vollkommen aufrichtiges Durchdrungensein von der Überlegenheit und besonderen Berechtigung der eigenen Person und des Ortes.“

Gewandelt hat sich trotzdem etwas, nämlich Brandenburg. Das Land, in den 90ern im Osten noch ein Schlusslicht, ist durchgestartet, in den Wirtschafts- und Arbeitsmarktdaten, mit einer Arbeitslosigkeit, die von einst 20 Prozent auf acht, neun Prozent gesunken ist.

Man hat in Brandenburg also die Erfahrung gemacht, ohne Berlin klarzukommen, und das ziemlich gut sogar. Dazu passt, wenn Brandenburgs heutiger Regierungschef Woidke heute zutiefst davon überzeugt ist, dass sich sein Land nicht so gut entwickelt hätte, wenn es tatsächlich mit Berlin fusioniert hätte.

Berliner ziehen in den Speckgürtel

Er sagt zum Ausgang des Volksentscheides am 5. Mai 1996 heute Sätze, die seinen Vorgängern Manfred Stolpe und wohl auch Matthias Platzeck nicht über die Lippen gekommen wären: „Ich bin froh darüber, dass die Menschen sich für ein eigenständiges Land entschieden haben.“ Die Brandenburger haben damals eine weise Entscheidung getroffen? „Ja, das haben sie.“ Und dann weist Woidke eher beiläufig auf einen anderen, wenig beachteten Umstand hin. Auch im Berliner Umland, sagt er, sei „ja inzwischen die Skepsis gewachsen, und mein Eindruck ist, sie wächst.“

Nun sind in den letzten Jahren vor allem zehntausende Berliner raus in den sogenannten Speckgürtel gezogen, ein Trend, der sich gerade wieder verstärkt. Manche hatten darauf gehofft, dass da die Eisbrecher kommen, die irgendwann die Stimmung und die Mehrheiten in Brandenburg schon drehen für ein gemeinsames Land. Es spricht inzwischen mehr dafür, dass das Gegenteil der Fall ist. Denn viele Ex-Berliner machen nun die faszinierende Erfahrung, dass in Falkensee, Kleinmachnow oder Potsdam die Bürgerämter funktionieren, die Schulen samt Toiletten nicht marode sind.

Wer will in Brandenburg, bei allen hiesigen Missständen und Misslichkeiten, schon Berliner Verhältnisse? Nein, das war’s mit der Fusion!

Thorsten Metzner

Zur Startseite