Der Speckgürtel lockt: Mehrheit der Berliner Firmen für Fusion mit Brandenburg
In Berlin brummt die Konjunktur. Eine Fusion mit Brandenburg könnte zusätzlichen Schub geben. Doch dort hält sich die Begeisterung in Grenzen.
Es muss ja nicht immer Berlin sein. Jeden Tag fahren Tausende raus aus der Bundeshauptstadt, um in Brandenburg zu arbeiten. Auf dem Weg dahin begegnen sie denen, die zwar im Umland wohnen, aber ihren Arbeitsplatz in Berlin haben. Rund 80.000 Pendler gibt es täglich aus Berlin, mehr als doppelt so viele aus Brandenburg. Die beiden Bundesländer sind räumlich eng miteinander verbunden. „Auch die wirtschaftliche Verflechtung wird immer enger“, sagt Mario Tobias, Hauptgeschäftsführer der IHK Potsdam bei der gemeinsamen Vorstellung des aktuellen Konjunkturberichts mit seinen Kollegen aus Berlin, Cottbus und Ostbrandenburg am Mittwoch in Berlin. Und die Berliner Unternehmen sähen es gerne, wenn die Verbindung noch viel stärker würden.
So wünschen sich in der aktuellen Umfrage der Industrie- und Handelskammern (IHK) 60 Prozent der Firmen in der Bundeshauptstadt, dass Berlin und Brandenburg zu einem einzigen Bundesland verschmelzen. Nach Tobias’ Aussage haben die Unternehmen dabei hauptsächlich das nähere Berliner Umland, den „Speckgürtel“, im Blick. In den Kreisen und Städten rund um die Hauptstadt – von Potsdam und Havelland im Westen, Barnim und Oberhavel im Norden, über Märkisch-Oderland und Oder-Spree im Osten bis hin zu Dahme-Spreewald und Teltow-Fläming im Süden – finden die Firmen die Flächen, die sie in der Metropole nicht bekommen oder bezahlen können.
Nicht überall ist die Begeisterung groß
Die prosperierende Berliner Wirtschaft wirke sich auch auf den Arbeitsmarkt im Umland aus, hat die IHK Berlin errechnet: In der Region herrsche mit einer Arbeitslosenquote von knapp über fünf Prozent „nahezu Vollbeschäftigung“. Die Dynamik strahle auch in die ländlichen Räume Brandenburgs aus, zum Beispiel indem sie den Tourismus in den oft dünn besiedelten und strukturschwachen Gebieten ankurbele. „Eine Länderfusion hätte für die Unternehmen in beiden Bundesländern viele Vorteile“, ist Tobias überzeugt. Eine gemeinsame Verwaltung könnte etwa zu weniger Bürokratie beitragen. Staatliche Förderung würde vereinheitlicht, ebenso wie Bildungsfragen. Zudem könnten fallende Ländergrenzen zu einer verbesserten Infrastruktur etwa bei Verkehrswegen und Kommunikationsnetzen führen.
Allerdings müssen Tobias und seine Kollegen Jan Eder (Berlin), Wolfgang Krüger (Cottbus) und Gundolf Schülke (Ostbrandenburg) auch feststellen, dass die Begeisterung nicht überall so groß ist wie bei den Hauptstadtunternehmen. In Brandenburg ist die Idee von der Länderfusion „sehr viel unpoplärer“, sagt Tobias. „Die Brandenburger fürchten um ihre Identität.“ Auch eine große Kreisreform, die Brandenburgs Landesregierung bis 2019 umsetzen will, bremse die Begeisterung für noch größere Veränderungen. So erreichte der Anteil der Befürworter mit 40 Prozent im jährlichen Vergleich einen Tiefstand. Dabei gelte: Je weiter die Unternehmen von Berlin entfernt seien, desto höher der Anteil der Nein-Sager.
Nicht scharf auf die Berliner Schulden
Die Ablehnung dürfte aber nicht nur von der Sorge um die Ursprünglichkeit getrieben werden: Zur Bundeshauptstadt bekämen die Brandenburger nämlich auch noch einen Schuldenberg von mehr als 60 Milliarden Euro gratis dazu.
Das macht viele im Umland der Hauptstadt skeptisch. Bei dieser Mehrbelastung könnte es statt einem Mehr an Infrastrukturmittel weniger geben, so wohl die Befürchtung der Brandenburger Unternehmer. Gerade bei diesem Standortfaktor sehen sie ohnehin Nachholbedarf. So halten zwar rund 95 Prozent der Firmen in der Region einen schnellen Internetanschluss für wichtig bis sehr wichtig.
Doch in Brandenburg sind lediglich 62 Prozent der Befragten mit der derzeitigen Versorgung einverstanden. „Im Bundesländervergleich liegt Brandenburg mit Rang zwölf weit zurück“, konstatiert Tobias. Wer Neuansiedlungen wolle, könne mit solch einem Ergebnis nicht punkten. Berlin stehe hingegen mit Rang drei hinter Hamburg und Bremen ganz ordentlich da. Doch auch in der Hauptstadt ist ein Fünftel der befragten Unternehmer mit der derzeitigen Internetversorgung nicht einverstanden.
IHK: Flüchtlingskrise größte Herausforderung
Auch wenn die nach Ansicht der Industrie- und Handelskammern positiven Auswirkungen einer Länderfusion auf absehbare Zeit nicht zu erwarten sind: Die Berliner Wirtschaft bleibt auch ohne zusätzlichen Schub von Außen auf deutlichem Wachstumskurs. „Ich rechne mit einem Plus von zwei Prozent für 2016“, gibt sich Hauptgeschäftsführer Eder betont optimistisch. Mit der Abkühlung in China, dem niedrigen Ölpreis, der nicht gelösten Krise Griechenlands und vielen anderen Negativfaktoren seien die Risiken für die Weltwirtschaft zwar enorm. Aber: „Die Stimmung in der Berliner Wirtschaft ist so gut wie nie.“ Allein im vergangenen Jahr hätten die Berliner Unternehmen mehr als 37.000 sozialversicherungspflichtige Stellen geschaffen. Rund ein Viertel der Unternehmen plant auch für das laufende Jahre Neueinstellungen.
Wenig Hoffnung hat Eder für die rund 30.000 Flüchtlinge im arbeitsfähigen Alter, die im vergangenen Jahr nach Berlin kamen. „Das wird das schwierigste Thema in diesem Jahr.“
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