25 Jahre Deutsche Einheit: Brandenburg, meine Liebe
1990 wurde Manfred Stolpe Ministerpräsident, er kennt Land und Leute. Hier zieht er Bilanz und in seinen Gedanken einmal quer durch die Mark.
Am 3. Oktober 1990 wurde Deutschland wiedervereint und Brandenburg wiedergeboren. Wir wurden ein neues Bundesland. Aber jeder weiß, dass Brandenburg vor 850 Jahren gegründet wurde.
Es war ein Sturzflug in die Einheit, bei dem Probleme und Unterschiede weithin nicht berücksichtigt wurden. Aber wir haben Glück gehabt. Glück gehabt mit der Anwerbung von Investoren, die mithalfen, wichtige industrielle Kerne im Land zu erhalten. Glück gehabt, dass sich 100 000 Brandenburgerinnen und Brandenburger auf das Abenteuer der Selbstständigkeit eingelassen haben. Wir haben Glück gehabt mit Helferinnen und Helfern aus westdeutschen Ländern, die uns bei der Umstellung der Rechtsordnung und bei dem Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft unterstützten. Wir haben Glück gehabt mit Persönlichkeiten, die sich voll in den Wiederaufbau des Landes begeben haben.
In der DDR war Brandenburg weniger im Bewusstsein verankert
Das gilt für die Kommunen, die Kreise und auch den neuen brandenburgischen Landtag. Aus der großen Zahl der Parlamentarierinnen und Parlamentarier der Anfangsjahre, die zu Geburtshelfern des neuen Brandenburg wurden, möchte ich an die verstorbenen Michael Schumann und Peter Wagner erinnern.
Großes Glück haben wir gehabt, wie sich Regine Hildebrandt mit ihrer ganzen Persönlichkeit und großem Nachdruck für soziale Gerechtigkeit einsetzte. Ihr Name wird mit unserem Land verbunden bleiben. Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, dass sich eine brandenburgische Identität entwickeln konnte. Denn das ist ebenfalls eine sehr glückliche Entwicklung für uns gewesen: In der DDR war Brandenburg nicht so sehr wie zum Beispiel Sachsen oder Thüringen im Bewusstsein der Menschen verankert – wohl auch, weil die DDR ihre Probleme mit dem preußischen Erbe hatte.
Aber trotzdem war das Land Brandenburg schnell in den Herzen der Menschen angekommen, mitsamt dem manchmal auch kritisch diskutierten Lied von der Märkischen Heide, und vor allem mit dem Roten Adler als Symbol.
Diese Brandenburger Identität hat in meinen Augen auch viel dazu beigetragen, dass so viele Menschen hier tatkräftig das Land mit aufgebaut haben und dass sie sich nicht von Rückschlägen haben entmutigen lassen. Diese Menschen sind der größte Glücksfall für unser Land, ihnen gebührt zum 25. Geburtstag Brandenburgs ein besonderer Dank.
Es ist ein schönes Land, durch das ich in Gedanken reise. Diese Reise beginnt in Brandenburg an der Havel. Hier erstrahlt der Dom in neuem Glanz, hier befindet sich die Wiege der Mark. Die ganze Stadt hat sich sehr positiv entwickelt, wenn man sich anschaut, was sich hier in den vergangenen Jahren getan hat. Die BuGa 2015 mag vielleicht im Hinblick auf die Besucherzahlen nicht ganz so erfolgreich laufen, wie man sich das eigentlich vorgestellt hat. Ein Erfolg für die beteiligten Städte und die Region ist sie trotzdem, weil sie viele Impulse gegeben hat.
Die „märkische Streusandbüchse“ wurde zur führenden Radreiseregion
Ein weiteres Beispiel für eine positive Stadtentwicklung finden wir im Norden, in Falkensee im Havelland. Von Falkensee nach Nordwesten geht es in die Prignitz. Wer hätte gedacht, dass die „märkische Streusandbüchse“ einmal zu den führenden Radreiseregionen Deutschlands gehört? Wir bewegen uns weiter nach Osten über Rheinsberg, eine wirkliche Perle in dieser Region, bis nach Oberhavel. Gerade hier wird die Erinnerungskultur des Landes Brandenburg großgeschrieben. Denn an Orten wie den ehemaligen Konzentrationslagern in Sachsenhausen und Ravensbrück wird unsere Verantwortung für die Zukunft besonders deutlich.
Weiter Richtung Osten finden wir in der Uckermark den Nationalpark Unteres Odertal, Deutschlands einziger Auennationalpark und zugleich das erste grenzüberschreitende Großschutzgebiet mit Polen. Die Zusammenarbeit mit Polen ist natürlich im ganzen Land von großer Bedeutung, aber hier, in der direkten Grenzregion merkt man besonders, wie eng das Verhältnis zu unseren polnischen Nachbarinnen und Nachbarn mittlerweile geworden ist. Weiter Richtung Süden geht es zum Kloster Chorin in Märkisch-Oderland, einem wunderbaren Kulturstandort. Und noch mehr Kultur finden wir im Oderbruch, das eine wahre Künstlerkolonie geworden ist.
Danach kommt die vielleicht europäischste Stadt überhaupt, Frankfurt (Oder). Nirgendwo sonst finden sich so viele Beispiele für eine Zusammenarbeit über Grenzen hinweg. In Eisenhüttenstadt schlägt dann das wirtschaftliche Herz Ostbrandenburgs. Die gelungene Privatisierung und Rettung des einstigen Eisenhüttenkombinats Ost war eine große Gemeinschaftsleistung.
Bevor wir weiter Richtung Süden gehen, machen wir einen kurzen Abstecher in den Landkreis Dahme-Spreewald zum BER. Zugegebenermaßen eine schwierige Station, aber eine wichtige. Denn trotz aller Probleme wird der BER für die Zukunft Brandenburgs ein Motor sein, davon bin ich fest überzeugt.
Durch den Spreewald nach Südosten geht es nach Cottbus, unsere heimliche Kulturhauptstadt. Angeführt vom Staatstheater wird hier den Interessierten viel geboten. Und dann sind wir schon mitten in der brandenburgischen Energieregion. Die für uns unerlässliche Braunkohleförderung wird gefolgt von der Sanierung ehemaliger Fördergebiete. Dieses ökologische Großprojekt ist eine bedeutende Erfolgsgeschichte der Deutschen Einheit.
Der Landkreis Teltow-Fläming gehört dann zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Regionen in Ostdeutschland. Spitzenplätze bei der Luft- und Raumfahrttechnik, in der Biotechnologie und beim Fahrzeugbau zeugen davon, dass hier die Zukunft gemacht wird. Und Potsdam-Mittelmark zeigt mit der niedrigsten Arbeitslosenquote im Land, dass junge Leute in Brandenburg alle Chancen haben.
Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft, Geschichte: Hier ist alles präsent
Und damit sind wir dann auch hier in Potsdam angekommen. Ich glaube zu dieser Stadt und ihrer Entwicklung muss ich gar nicht so viel sagen. Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft, Geschichte: Hier ist alles präsent.
Eine märkische Stadt habe ich noch ausgespart: Berlin. Das Projekt der Länderfusion ist zwar in den Neunzigern gescheitert. Aber die Zusammenarbeit ist trotzdem sehr intensiv und steigert sich weiter. Es gibt in Deutschland keine zwei Bundesländer, die so eng miteinander kooperieren wie Brandenburg und Berlin. Beiden Ländern hilft diese Zusammenarbeit ungemein, die Verflechtungen werden auch deshalb immer enger. Ich bin überzeugt davon, dass eine große Chance für die Zukunft darin liegt, dass wir diesen Prozess fortsetzen und noch enger zusammenwachsen.
Ich glaube, dass es noch einige Bereiche gibt, in denen es sich lohnt darüber nachzudenken, wo wir uns ergänzen, wo wir gemeinsam zu besseren Lösungen kommen als alleine. Ich hoffe sehr, dass es bald gelingt eine intensive gemeinsame Wirtschaftsförderung durchzuführen. Ob das bedeutet, dass es in absehbarer Zeit einen neuen Versuch für eine Länderfusion geben wird? Ich denke nicht. Aber ich halte das auch für gar nicht so wichtig. Das Nahziel unserer beiden Länder ist die Zusammenarbeit, gemeinsam mehr zu erreichen.
Eine große Herausforderung bedeutet der Flüchtlingsstrom, der zur Zeit aus Mitteleuropa kommt. Das Potsdamer Toleranzedikt von 1685 ist da ein guter Orientierungspunkt: Unter dem Großen Kurfürsten stammten damals viele der Einwanderinnen und Einwanderer aus den Niederlanden und der Schweiz. Später waren es vor allem die Hugenotten, die Zuflucht in Brandenburg und Preußen suchten. Ich stelle mir dabei die Frage: Sind uns die Syrer heute im 21. Jahrhundert eigentlich so viel fremder als die französischen Hugenotten im 17. Jahrhundert? Über die Jahrhunderte haben wir in Brandenburg gute Erfahrungen mit den Menschen gemacht, die zu uns kommen. Das sollte uns den Optimismus geben, auch die aktuellen Herausforderungen zu meistern.
Der Text basiert auf einer Rede, die Manfred Stolpe in Potsdam am 23. September bei einem Festakt „25 Jahre Landtag Brandenburg“ hielt.
Manfred Stolpe, 79, war von November 1990 bis 2002 Ministerpräsident in Brandenburg und anschließend Bundesverkehrsminister. Geboren in Stettin, lebt Stolpe heute in Potsdam.
Manfred Stolpe