Berlin-Charlottenburg: Café Kranzler schließt für ein Jahr
Ab Freitag schließt das Kranzler wegen Umbauten für ein Jahr. Der Glanz vergangener Tage bröckelt schon lange – ein Trend im altvertrauten West-Berlin.
Drinnen nur Kännchen? Sieht ganz danach aus. Wobei es ein Draußen bis auf weiteres nicht gibt, ein Drinnen ab Freitag allerdings auch nicht mehr, nicht hier im Café Kranzler am Kurfürstendamm. Gut ein Jahr muss man sich dann gedulden und den Kaffeedurst anderswo stillen, bis die Umbauten am Neuen Kranzler-Eck abgeschlossen sind und die britische Modekette Superdry in Erd- und Obergeschoss ihre Verkaufsflächen gestaltet und das von ihr dann ebenfalls betriebene Café wiedereröffnet hat.
Ein Kännchen Kaffee also bitte, zweite Position in der Reihe der angebotenen Heißgetränke, eingeklemmt zwischen Café Creme und Espresso, serviert zu einem Stück Stachelbeertorte mit einer den Genuss krönenden Baiserschicht obendrauf. Gibt es laut Speisekarte, ist auch tatsächlich noch verfügbar. Obwohl so kurz vor der Schließung nicht mehr alles Angepriesene noch wirklich zu haben ist, das stand schon am Eingang vorsorglich angeschrieben. Und darauf weist auch die Serviererin hin, man müsse ja sonst zu viel wegwerfen, wenn das Café am Donnerstag zum vorerst letzten Mal öffne.
Querschnitt durch bürgerliche Mittelschicht
Stachelbeertorte aber ist kein Problem. Mangelnde Kundschaft offensichtlich auch nicht. Die Rotunde ist an diesem Nachmittag, einem der letzten, sehr gut besucht, nur ein paar Stehtischchen mit Barhockern sind noch frei. Die Gäste? Keineswegs nur die sprichwörtlichen Wilmersdorfer Witwen, die – zweites Klischee – stets „aber bitte mit Sahne“ bestellen.
Eher ein Querschnitt durch die bürgerliche Mittelschicht aller Altersklassen, grob geschätzt von 80 Tagen bis 80 Jahren. Möglich, dass einige Stammgäste darunter sind und ihren Abschiedskaffee zu sich nehmen wollen, aber das hätten sie auch schon in den Tagen vorher machen können, und da war das Lokal bei weitem nicht so voll, nein, geradezu leer, erzählt die Bedienung. Sechzig Jahre sei sie alt, und während viele ihrer Kolleginnen schon neue Arbeit gefunden hätten, werde es bei ihr wohl noch etwas dauern. Sehr pessimistisch wirkt sie deswegen nicht, immerhin.
Manchem Gast genügt das nicht mehr
Das hier also ist „Deutschlands bekanntestes Café“? So hat es der selige Hellmuth Karasek vor gut 15 Jahren im Tagesspiegel gepriesen. Nun gut, das war unmittelbar vor der damaligen, knapp einjährigen Schließung, nach der die Kaffeehaus-Legende zwar mit neuem Betreiber wiedereröffnet wurde, jedoch zu einem Schatten ihrer einstigen Pracht geschrumpft war, nicht länger ein Straßencafé im eigentlichen Sinne – dadurch dürfte inzwischen auch der Ruhm ein wenig gelitten haben.
Nicht, dass hier die Erinnerungen an die alten Zeiten ganz verflogen wären. Das dunkelgebeizte, recht altbackene Mobiliar, die spärlich vorhandenen, wie aus in früheren Jahrzehnten herübergewachsenen Zimmerpflanzen, dann natürlich die rotweißen Markisen, Erkennungsmerkmal des Cafés seit den fünfziger Jahren – alles noch da.
Aber manchem Gast genügt das nicht mehr. Zum Beispiel der mittelalten Frau aus Osnabrück, die sich mit ihrer jugendlichen Tochter gerade im Kranzler für den weiteren Ku'damm-Bummel gestärkt hat. Eine ehemalige Berlinerin, wie sich herausstellt, vor zehn Jahren weggezogen, zuvor des öfteren Gast im Kranzler, nun aus nostalgischen Motiven. Ihr Mann sei Architekt, erzählt sie, mit dem hat sie sich schon kritisch über das neue Kranzler ausgetauscht, missbilligt dessen Schrumpfversion, kann sich nicht erklären, wie das möglich war, man müsse so etwas doch schützen. Nun ja, unter Denkmalschutz steht das Haus, das hat aber nicht geholfen, das Café in ganzer Ausdehnung zu erhalten.
Nicht die erste Veränderung
Aber solcher Schwund liegt im Trend, Stück für Stück bröckelt altvertrautes West-Berlin. Das alte Ku’damm-Eck schräg gegenüber, dessen mechanisch klappernde Werbewand anlässlich der Feier zur Weltmeisterschaft 1990 durch eine Freudenrakete in Brand geriet? Längst abgerissen. Die Ku’damm-Kinos? Bis auf wenige Ausnahmen zu Einzelhandelsgeschäften umgewandelt, statt für Kinohits steht man nun fürs neueste iPhone Schlange.
Das Mövenpick im Europa-Center? Abserviert. Das blaue Glaswunder im Innern der neuen Gedächtniskirche? Durch den Schattenwurf des Upper West verfinstert. Orte, an denen sich das Auge orientieren, sich festhalten konnte, die West-Berliner Stadtgefühl ausmachten, einst der ganze Stolz der Frontstädter waren, steinerne Gütesiegel der wieder prosperierenden Stadthälfte, geraten selbst in der Erinnerung mehr und mehr ins Abseits, was für die einen ein Jammer ist, anderen ist es piepegal.
Ohnehin ist es nicht das erste Mal, dass die Ecke Kurfürstendamm/Joachimsthaler Straße umgekrempelt wird. Die Charlottenburger Dependance des ursprünglichen, damals schon 99 Jahre Unter den Linden Ecke Friedrichstraße bestehenden Cafés Kranzler eröffnete 1934. Beim Kampf um Berlin 1945 wurde sie zerstört, sechs Jahre später aber wiedereröffnet. Das zweite Leben währte nur wenige Jahre, dann wurde das Haus wegen Verbreiterung der Joachimsthaler Straße abgerissen und an heutiger Stelle mit Schankterrasse und markisengeschmückter Rotunde neu gebaut.
Wahrzeichen von West-Berlin
In den folgenden Jahrzehnten wurde das Kranzler zu einem Wahrzeichen West-Berlins, und oft genug saßen seine Gäste bei den großen, auch auf der Straße ausgetragenen Konflikten der Stadt als Zuschauer in der ersten Reihe. Zuletzt aber kam das Café doch in die Jahre, hatte weiterhin seine Gäste, aber der Pulsschlag der Zeit war dort immer weniger zu spüren. Und zur Jahrtausendwende war Schluss, erhielt das Kranzler seine Schrumpfkur verordnet, trug danach zwar noch den vertrauten Namen, auch die Forderungen des Denkmalschutzes waren erfüllt, aber der Zauber der Vergangenheit hatte arg gelitten.
Wie es weitergeht? Man muss abwarten. Immerhin soll das Café, das zuletzt in der Rotunde und den umlaufenden Außenbereich nur noch etwa 170 Gäste aufnehmen konnte, durch eine Zusatzterrasse um 80 Plätze wachsen. Auch die alte Wendeltreppe soll wieder zur Rotunde hin geöffnet werden. Momentan ist dieser Weg zu Kaffee und Kuchen noch verschlossen, nun gilt die Parole: Die Mauer muss weg.