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 Ein Transparent mit der Aufschrift «Verkauft nicht unseren Kietz!» hängt an der Fassade eines Hauses.
© Paul Zinken/dpa

Berliner Opposition will U-Ausschuss zur Immobilienaffäre: CDU und FDP nehmen „Diese eG“, Mietendeckel und Senatoren ins Visier

CDU und FDP wollen einen Untersuchungsausschuss zur Vorkaufsaffäre um die „Diese eG“. Friedrichshain-Kreuzbergs Baustadtrat Florian Schmidt ist nur der Anfang.

Zehn Monate vor der Abgeordnetenhauswahl in Berlin wollen die Fraktionen von CDU und FDP mit einem Untersuchungsausschuss zur Vorkaufsaffäre um die Genossenschaft „Diese“ Rot-Rot-Grün attackieren. Im Zentrum steht dabei aus Sicht der Opposition nicht nur der Aktivist und Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (Grüne).

CDU und FDP wollen mit dem zehnseitigen Entwurf für einen Einsetzungsbeschluss weit über das Verschulden von Baustadtrat Schmidt hinausgehen. Die beiden Oppositionsfraktionen nehmen auch vier Regierungsmitglieder ins Visier: Finanzsenator Matthias Kollatz, Innensenator Andreas Geisel (beide SPD), Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) und Bausenator Sebastian Scheel (Linke).

Kollatz, Pop und besonders Scheel als vormaliger Baustaatssekretär stehen ohnehin im Verdacht, dass sie mit Steuergeld, Eingriffen in Fördervorgaben und angepassten Analysen zur Wirtschaftlichkeit die „Diese eG“ vor der Insolvenz und die Vorkaufspraxis unter Rot-Rot-Grün vor einem Desaster retten wollten.

Aber Union und Liberalen geht es auch um den von der Koalition durchgesetzten Mietendeckel. Erst vor einer Woche hat eine Vorgabe des Mietendeckels gegriffen, in deren Folge für rund 340.000 Haushalte die Miete gesenkt werden müsste. Doch die Diese eG sieht laut einem Schreiben an die Mieter vom vergangenen Donnerstag keinen Grund, dem Mietendeckel zu entsprechen und den Mietzins zu senken.

Der Senat hatte sogar, als er die Finanzhilfen für die Diese eG gewährt hatte, Mieten oberhalb des Mietendeckels vorab zugelassen – sonst wäre die Finanzierung des Vorkaufs und der Miethäuser nicht möglich gewesen. Um das Vorkaufsprojekt zu retten, ist nach Tagesspiegel-Informationen bereits vor Beschluss des Mietendeckels kalkuliert worden, dass dieser bei der Diese eG umgangen werden muss.

Berlins Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke).
Berlins Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke).
© Doris Spiekermann-Klaas

Noch bevor das Abgeordnetenhaus das Gesetz Ende Januar verabschiedet hat, hatte der Senat selbst die Wirtschaftlichkeit für die von der Diese eG per Vorkauf erworbenen Immobilien geprüft. Obwohl die Details des Mietendeckels da bereits klar und vom Senat selbst politisch gewollt waren, sind dennoch offenbar Mietsteigerungen von zwei Prozent pro Jahr abgesegnet worden. Sonst, so das Ergebnis der Prüfung, wäre das Geschäftsmodell der Genossenschaft nicht tragfähig gewesen.

Der Mietendeckel von Rot-Rot-Grün könnte im ersten Halbjahr 2021 vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gekippt werden. Die CDU-Fraktion hat dem Beschlussentwurf für den Untersuchungsausschuss bereits zugestimmt, die FDP-Fraktion will sich am Dienstag damit befassen.

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Der sperrige Titel des Beschlussentwurfs lautet: Einsetzung eines „Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Ursachen, Konsequenzen und Verantwortung für finanzielle Risiken des Landes Berlin in Zusammenhang mit spekulativen Immobiliengeschäften der ,Diese eG‘ und deren öffentlicher Förderung“.

Opposition sieht Mitverantwortung des Senats

Stefan Evers, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion Berlin, sagte am Sonntagabend: „Hier geht es um Millionen von Steuergeldern für zweifelhafte Immobiliengeschäfte, die Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen und Prüfungen des Rechnungshofes sind.“ Es gehe dabei nicht nur um Baustadtrat Schmidt, sondern auch um die „Mitverantwortung von Teilen des Senats“.

Stefan Evers ist Generalsekretär der Berliner CDU und Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Abgeordnetenhaus.
Stefan Evers ist Generalsekretär der Berliner CDU und Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Abgeordnetenhaus.
© promo

FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja sagte, seine Fraktion sehe „diesen parlamentarischen Untersuchungsausschuss nicht als Wahlkampfinstrument“. Dennoch solle der Ausschuss ein „ganzheitliches Bild über die skandalösen Vorgänge im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zeichnen“.

Nach dem Willen von CDU und FDP soll der Untersuchungsausschuss bis Ende August seine Ergebnisse vorlegen. Voraussichtlich im September 2021 steht dann die Abgeordnetenhauswahl an.

Sebastian Czaja, Fraktionsvorsitzender der Berliner FDP.
Sebastian Czaja, Fraktionsvorsitzender der Berliner FDP.
© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Der Zeitplan dürfte entsprechend eng werden, für die Fraktionen wäre es eine zusätzliche Belastung. Der von CDU und FDP entworfene Untersuchungsauftrag enthält mehr als 70 Fragen plus Unterfragen. Es wäre der vierte Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses in dieser Wahlperiode.

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Es gibt bereits drei Untersuchungsausschüsse – zum Flughafen BER, zum Behördenversagen beim islamistischen Attentäter Anis Amri und zur Entlassung von Huberts Knabe als Chef der Stasiopfer-Gedenkstätte infolge von Sexismusvorwürfen.

In der Affäre um die Diese eG liegen bereits einige Fakten auf dem Tisch. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit Mai gegen Friedrichshain-Kreuzbergs Baustadtrat Schmidt wegen des Verdachts der Haushaltsuntreue. Grund sind die Umstände des Vorkaufs von mehreren Miethäusern des Bezirks zugunsten der Diese eG. Dabei geht es um die Frage, ob Schmidt unrechtmäßig zu Lasten der Steuerzahler Finanzen verschwendet und Haushaltsrisiken eingegangen ist.

Umstrittener Baustadtrat. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit mehreren Monaten gegen Florian Schmidt (Grüne).
Umstrittener Baustadtrat. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit mehreren Monaten gegen Florian Schmidt (Grüne).
© Britta Pedersen/dpa

Inzwischen prüft die Staatsanwaltschaft nach Strafanzeigen, ob sie auch gegen Bausenator Scheel, Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) und Innensenator Andreas Geisel (SPD) Ermittlungen einleitet. Das sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft dem Tagesspiegel. Mögliche Vorwürfe sind Untreue sowie Anstiftung und Beihilfe zur Untreue.

Monika Herrmann (Bündnis 90/Die Grünen), Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg.
Monika Herrmann (Bündnis 90/Die Grünen), Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg.
© Christoph Soeder/dpa

Bei Geisel geht es um das Agieren der in der Innenverwaltung angesiedelten Bezirksaufsicht, die prüft die Vorgänge im Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg zwar ebenfalls, hätte aber bei früherem Einschreiten die Affäre sogar abwenden können, lautet der Verdacht.

Anfang Oktober hatte dann der Landesrechnungshof Schmidts Vorgehen gerügt. Die obersten Landesprüfer kamen in ihrem Jahresbericht zu einem verheerenden Urteil. Der Rechnungshof wirft Schmidt „pflichtwidriges Ausüben von Vorkaufsrechten“ vor. Indem der Bezirk bei sechs Wohnhäusern sein Vorkaufsrecht geltend gemacht hat, hafte Friedrichshain-Kreuzberg gesamtschuldnerisch in Höhe von 27 Millionen Euro. Dem Bezirk seien außerdem Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 270.000 Euro entstanden.

Das Bezirksamt habe die finanzielle Leistungsfähigkeit der Genossenschaft unzureichend geprüft und damit gegen das Baugesetzbuch verstoßen, heißt es im Jahresbericht. Zu einem der sechs Immobilien lagen dem Bezirksamt keine ausreichenden Erkenntnisse über Finanzierungszusagen und überhaupt zur Leistungsfähigkeit der Genossenschaft vor.

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In fünf Fällen übte das Bezirksamt demnach das Vorkaufsrecht aus, obwohl die Genossenschaft bereits einen Zuschuss des Landes in ihrem Finanzplan vorgesehen hatte, für den es noch gar keine rechtliche Grundlage gab. Der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses hatte zu dieser Zeit auch noch gar keine Fördergelder für Genossenschaften für Vorkäufe beschlossen.

Die im Frühsommer 2019 gegründete Diese eG hatte sich durch den Kauf mehrerer Häuser, sechs in Friedrichshain-Kreuzberg und eines in Tempelhof, finanziell übernommen und stand Ende 2019 vor der Insolvenz.

Mit mehr als 20 Millionen Euro wurde der Vorkauf abgesichert

Obwohl die Genossenschaft noch keine tragfähige Finanzierung vorlegen konnte, etwa Landesgelder ohne verbindliche Zusage eingeplant hatte, bekam sie den Zuschlag. Zudem war sie – als das Vorkaufsrecht in den beiden Bezirken gezogen wurde – noch in Gründung und daher noch nicht rechtsfähig. Selbst landeseigene Wohnungsgesellschaften hatten den Kauf der Immobilien wegen fehlender Wirtschaftlichkeit abgelehnt.

Am Ende fehlte der Diese eG das Geld, um für zwei Häuser die fälligen Summen zu überweisen, in einem Fall musste eine andere Genossenschaft einspringen. Schließlich setzte der Senat eine Förderrichtlinie für Genossenschaften auf, damit diese beim Vorkaufsrecht finanziell unterstützt werden können – es war eine Lex Diese eG.

Daneben gab es vom Senat noch weitere Einflussnahmen. Für Zuschüsse des Landes und Darlehen der Förderbank IBB wurden die Richtlinien aufgeweicht. Es geht um mehr als 20 Millionen Euro, um die bezirklichen Vorkaufsfälle abzusichern.

Die IBB wollte angesichts der Finanzen der Genossenschaft kein Geld in das Projekt pumpen. Dann wurde auf Druck des Senats die Förderung auf die Genossenschaft zugeschnitten, daran beteiligt waren Finanzsenator Kollatz, Wirtschaftssenatorin Pop und Bausenator Scheel.

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