Organisierte Kriminalität: Berliner Behörden beschließen Fünf-Punkte-Plan gegen Clans
Mehr Kontrollen, Abschöpfung von Vermögen, Aussteigerprogramm: Innensenator Geisel will koordiniert gegen Clans vorgehen. Ein zentraler Punkt ist ungeklärt.
Berlin will den Kampf gegen kriminelle Mitglieder arabischstämmiger Clans intensivieren. Bei einem Treffen mit Innensenator Andreas Geisel (SPD) beschlossen die beteiligten Verwaltungen einen Fünf-Punkte-Plan. Kern ist die ressortübergreifende Zusammenarbeit in einer neuen Koordinierungsstelle beim Landeskriminalamt (LKA): Neben Polizei und Staatsanwaltschaft sollen Finanzämter, Jobcenter, Ausländerbehörde sowie bezirkliche Ordnungs- und Jugendämter beteiligt sein. Die Geschäftsstelle soll in wenigen Tagen ihre Arbeit aufnehmen.
Innensenator Geisel sagte: „Alle beteiligten Stellen sehen die Notwendigkeit des gemeinsamen Handelns.“ Das Treffen sei ein „erster wichtiger Schritt“ zur Bekämpfung organisierter krimineller Strukturen gewesen. „Es wird ein langer Weg, aber wir sind fest entschlossen, ihn konsequent und gemeinsam zu gehen.“ An dem Treffen am Montagabend nahmen auch Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) und Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) teil.
Die weiteren Punkte der Vereinbarung beinhalten: mehr Gewerbe- und Finanzkontrollen zur Verhinderung von Geldwäsche über Scheingeschäfte, dubiose Bars und Gebrauchtwarenhandel – alle Behörden sollen Hinweise an die Steuerfahndung geben. Die Generalstaatsanwaltschaft möge eine Spezialabteilung zur Abschöpfung kriminellen Vermögens gründen. Auch kleinere Verstöße sollen konsequenter verfolgt werden: falsches Parken, Verstöße gegen Bestimmungen in der Gastronomie, womöglich Ruhestörung.
Während die erwähnten vier Punkte viele Beamte schon so umzusetzen versuchen, wie das mit vorhandenem Personal und der gültigen Rechtslage geht, dürfte der letzte Punkt gänzlich Neues erfordern: Junge Männer sollen von einer kriminellen Karriere abgeschreckt, anderen Wege zum Ausstieg geboten werden.
Aus der arabischen Community berichteten Männer und Frauen auch dem Tagesspiegel oft davon, dass bei ihnen Familien nun mal größer seien, dass Eltern – auch kriminelle – eine so zentrale Rolle spielten, dass man ihnen eben nicht widerspricht, dass Ehen zu entfernteren Verwandten nicht unüblich seien und dass man bewusst Kontakt ins einstige Herkunftsland halte. Gegenüber Polizisten, Lehrern und Reportern bezeichnen sich deutsche Staatsbürger, deren Eltern schon in Deutschland geboren wurden, immer noch wie selbstverständlich als Araber.
Einzelne aus dieser Gemeinschaft lösen zu wollen, könnte schwierig werden. Was nicht bedeutet, dass das nicht auch so schon passieren kann. Aus einer einschlägig bekannten Neuköllner Familie mit acht Geschwistern, ist vor einigen Jahren einer der Brüder zum Studieren weggezogen. Aus einer anderen Familie, die immer wieder durch Schlägereien auffällt, hat sich eine Frau zur Sozialarbeiterin ausbilden lassen.
Dennoch gibt es in Berlin deutsch-arabische Großfamilien, aus denen mehr als 200 Männer bei der Polizei aktenkundig sind. Der Grünen-Rechtsexperte Benedikt Lux sagt dazu: „Ja, Familienmitglieder, die weg von anderen zu tiefst kriminellen Familienmitgliedern wollen, müssen unterstützt werden. Sowohl von Kindesentziehungen als auch Aussteigerprogrammen sollte man sich aber nicht zu viel versprechen.“
Neukölln erwägt Clan-Kinder in staatliche Obhut zu nehmen
Der Neuköllner Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) will prüfen lassen, inwiefern sich Kinder krimineller, mehrfach verurteilter Eltern in staatliche Obhut nehmen lassen. Die Gefahr der Kindeswohlgefährdung könnte einen solchen Schritt rechtfertigen. Juristen sagen, dies gelänge wohl nur im Einzelfall. Stadtrat Liecke sind die aktuellen Beschlüsse nicht konkret genug. Er will am Mittwoch auf einer Bürgerversammlung in Neukölln über die Clans reden - und nächste Woche beim CDU-Bundesparteitag mit den christdemokratischen Innenpolitikern anderer Länder. Am besten man einige sich auf bundesweites Konzept.
Die Polizeigewerkschaften wiesen darauf hin, dass alle Maßnahmen dann erfolgreich sein können, wenn es ausreichend Personal gebe. Insofern müsse nun abgewartet werden, wie Senator Geisel den Kampf gegen Kriminelle deutsch-arabischer Clans ausstattet.
Deutliche Kritik kam von der FDP. Innenpolitiker Marcel Luthe sagte: „Die Nachricht lautet also, dass sich die schon immer bestehenden Ermittlungsbehörden nun austauschen sollen – was sie auch schon immer gemacht haben, es dafür aber nun einen griffigen Namen geben soll.“ Dass das Legalitätsprinzip nun gegenüber einer Gruppe durchgesetzt werden solle, zeige: Polizei und Justiz seien personell so geschwächt worden, dass man sie auf bestimmte Fälle konzentrieren müsse. „Das zeigt deutlich, dass wir nicht ständig neue Gesetze brauchen“, sagte Luthe, „sondern ausreichend Personal, die beschlossenen Gesetze auch anzuwenden.“ Am Mittwoch wird im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses über den sogenannten Clan-Gipfel gesprochen.
Unklare Definition: Was genau ist Clan-Kriminalität?
Die renommierte Vereinigung Berliner Strafverteidiger hatte schon im Vorfeld den Senator kritisiert: Von „Clan-Kriminalität“ zu reden, sei abwertender AfD-Sprech, sagt der Vize-Vorsitzende Hannes Honecker, man beschwöre eine gefährlich, weitgehend homogene Gruppe krimineller Familien, die es so nicht gebe. Vor allem in Neukölln widersprechen da einige – der erste Bezirk, der nun in die Spezialabteilung beim LKA eingebunden wird.
In Neukölln sind die meisten Großfamilien der Stadt aktiv, auf der Sonnenallee, an der Hermannstraße und in Britz gab es allein in den vergangenen Monaten dutzende auffällige Taten: Schlägereien, Messerstiche, Schüsse. Im Sommer war am Tempelhofer Feld der bekannte Intensivtäter Nidal R. erschossen worden. Seinen Tod hatten mutmaßliche Angehörige rächen wollen, indem sie in ein geschlossenes Lokal in Kreuzberg eine Handgranate warfen. Der Laden soll der Familie gehören, aus der jene Männer stammen, die Nidal R. töten ließen. Die Polizei äußert sich dazu nicht.
Nach Auskunft der Innenverwaltung arbeitet Berlins Polizei derzeit im Austausch mit dem Bundeskriminalamt an einer Definition „Clan-Kriminalität“. Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) hatte das gefordert: „Die arabischstämmigen Großfamilien unterscheiden sich schon dadurch von anderen Banden, dass ihre Mitglieder miteinander verwandt sind.“ So entstehe besonderer Druck untereinander.
Wird ein Verdächtiger dann als “Clan-Krimineller” eingestuft, könnte er bundesweit von Beamten leichter als gefährlich erkannt werden. Bei militanten Rockern und Polit-Extremisten gibt es solche sogenannten Marker in den Akten schon. Nur so wisse ein Polizist bei einer Verkehrskontrolle in Süddeutschland, wie er sein Gegenüber aus Berlin einzuschätzen habe. Hikel sagte, für die Clanmitglieder müsse „der kriminelle Weg der steinigere“ sein.
Steinmeier lobt Berlins Vorgehen gegen Clans
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte das Vorgehen gegen kriminelle Clans am Wochenende in Berlin gelobt: „Ich begrüße es sehr, dass die politisch Verantwortlichen handeln, denn solche Tatsachen zu ignorieren, wäre für den Staat die denkbar schlechteste Option. Wo unsere Gesetze gebrochen werden – egal, von wem – müssen Grenzen gezogen und Konsequenzen spürbar werden. Das muss gelten. Nur so verschafft sich der Rechtsstaat und mit ihm die liberale Demokratie das, was wir derzeit häufig vermissen: Respekt!“
Kommende Woche stehen wieder Prozesse gegen namhafte Männer einschlägig bekannter Familien an. Womöglich allerdings wird der dann geplante dritte Verhandlungstag gegen Arafat Abou-Chaker verschoben – denn einem Zeugen droht Beugehaft. Der Mann war Chef einer Physiotherapie-Praxis, in der Abou-Chaker den Hausmeister mit dem Tod bedroht, geschlagen und getreten haben soll. Der Chef des Ladens hat den Vorfall zwar beobachtet, verweigerte aber die Aussage, weil gegen ihn wegen Abrechnungsbetruges ermittelt wird. Zudem soll einer der Abou-Chaker-Brüder stiller Teilhaber der Praxis sein.
Ungewöhnlich ist, dass der Amtsrichter nun Beugehaft verhangen hat. Die kann drei Monate dauern und wird von Amtsgerichten selten verhangen. Auch andere Zeuge, die in dem Prozess befragt wurden, gaben an, sich nicht mehr an den Tathergang zu erinnern.
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