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Innensenator Andreas Geisel (SPD) möchte Polizisten, Ämter, Bezirke und Justiz besser vernetzen.
© Skolimowska/dpa

Clan-Gipfel beim Berliner Innensenator: Was Fachleute zum Kampf gegen Kriminelle aus Großfamilien sagen

Berlins Innensenator Geisel bittet Politiker und Polizisten zum Gipfel über kriminelle Clans. Dafür gibt es viel Lob - und Kritik der Berliner Strafverteidiger.

Kontrovers bewerten Fachpolitiker, Juristen und Ermittler den sogenannten Clan-Gipfel, zu dem Andreas Geisel (SPD) an diesem Montag einlädt. Der Innensenator will sich am Abend mit Vertretern aus Finanz- und Justizverwaltung, Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) sowie Polizisten treffen, um koordinierter gegen kriminelle deutsch-arabische Großfamilien vorzugehen. Bald sollen Jugendämter und Jobcenter dazu kommen – und alle Bezirke eingebunden werden. Während die oppositionelle CDU und einzelne der koalierenden Grünen das begrüßen, kritisiert die renommierte Vereinigung Berliner Strafverteidiger den Senator deutlich. Von „Clan-Kriminalität“ zu reden, sei abwertender AfD-Sprech, sagt der Vize-Vorsitzende Hannes Honecker.

"Ähnlich wäre es, den Diesel-Skandal dem Porsche-Clan zuzuschreiben"

„Es sind derzeit die arabischen Großfamilien, denen die Kriminalität einzelner Familienmitglieder zugerechnet werden sollen – vor kurzem waren es Roma, Vietnamesen, Kurden oder Russen“, sagt Anwalt Honecker. „Ähnlich platt wäre es, den Diesel-Skandal dem Porsche-Clan zuzuschreiben.“ Eine Definition, was als Clan-Kriminalität einzustufen ist, fehlt unter Beamten.

Im Alltag vieler Berliner dürfte sich durchgesetzt haben, dann von Clan-Kriminalität zu sprechen, wenn regelmäßig dieselben Männer einer großen Familie schwere Taten begehen, für die sie selten verurteilt werden, weil sich Angehörige, Opfer und familienfremde Mittäter nicht trauen auszusagen – aus Angst vor Rache eben jener im Milieu einflussreichen Familie. Nun möchten CDU und SPD eine offizielle, bundesweit gültige Einstufung – so wie es sie bei militanten Rockern und Polit-Extremisten gibt.

Bund Deutscher Kriminalbeamter: Problematische Grenzen für Jugendämter, Schulen, Sozialträger

Senator Geisel will darüber hinaus prüfen lassen, inwiefern die Behörden interne und externe Informationsschranken einfacher überwinden dürfen. Immer wieder hatten sich Ermittler beklagt, dass schon Minderjährige aus einschlägig bekannten Großfamilien von Verwandten zu Straftaten animiert würden: Überproportional viele Intensivtäter in der Stadt seien Jugendliche aus arabischen, meist libanesischen Familien. Schulen, Jugendämter und Jobcenter aber kooperierten selten eng mit der Polizei.

Auch der Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Daniel Kretzschmar, sagte: Die Zusammenarbeit zwischen den Strafverfolgern funktioniere weitgehend – problematisch sei vielmehr, dass es für Jugendämter, Schulen und Sozialträger rechtliche Grenzen im Austausch mit der Polizei gebe. Im Vordergrund müsste nun die Stärkung der Arbeit durch Ermittler und Technik stehen, die dann sachbezogenen Austausch mit anderen Behörden pflegen.

Benedikt Lux (Grüne): „Gefestigte und allein kriminelle Prägung kann das Kindeswohl gefährden“

Deutlich heikler ist ein anderer Aspekt in der Clan-Debatte – im Senat hält man sich dazu deshalb zurück: Es geht um die Inobhutnahme von Kindern aus bestimmten Familien. Neuköllns Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) und Innenexperte Tom Schreiber (SPD) hatten angeregt, den Nachwuchs krimineller Eltern wegen Kindeswohlgefährdung in staatliche Obhut zu nehmen. Nach Tagesspiegel-Informationen holt Stadtrat Liecke dazu bald ein Rechtsgutachten ein. Einziges Kriterium in solchen Fällen, sagte der Grünen-Rechtsexperte Benedikt Lux, müsse die Prognose sein, ob sich ein Kind in staatlicher Obhut besser entwickeln werde: „Klar kann eine gefestigte und allein kriminelle Prägung das Kindeswohl gefährden.“

In Handschellen wird ein Mann in Berlin-Tempelhof abgeführt.
In Handschellen wird ein Mann in Berlin-Tempelhof abgeführt.
© dpa/Paul Zinken

Auch bei der Kripo-Gewerkschaft BDK ist man vorsichtig. „Die Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen richtet sich zu Recht an deren Kindeswohl aus und folgt nicht zwingend aus Straftaten von Eltern, sofern diese sich nicht gegen Kinder richten“, sagt BDK-Landeschef Kretzschmar. „Insoweit sind die Hürden hoch, Kinder und Jugendliche aus Familien nehmen zu lassen. Diese Möglichkeit wird sich deshalb aktuell auf wenige Einzelfälle beschränken.“ Für Anwalt Hannes Honecker von der Strafverteidiger-Vereinigung wären Kindesentziehungen verfassungswidrig und ethisch unhaltbar: „Kinder als Druckmittel zur Einhaltung eines bestimmten sozialen Verhaltens der Familie nutzen zu wollen, ist eine Funktionalisierung, die dem Interesse des Kindes widerspricht.“

Kriminelle aus deutsch-arabischen Familien hatten Kontakt zu Dschihadisten

Aus den Treffen in der Innenverwaltung möchte Senator Geisel mittelfristig ein Zentrum zur Bekämpfung der Clan-Kriminalität einrichten lassen. Vorbild wäre wohl das „Gemeinsame Terrorabwehrzentrum“, wo sich Vertreter aller Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern über islamistische Gefährder austauschen. Tatsächlich hatten sich im Milieu bekannte Männer aus deutsch-arabischen Großfamilien öfter dort aufgehalten, wo militante Salafisten verkehren. Das gilt Ermittlern zufolge nicht nur für einzelne Moscheen, sondern auch für Neuköllner und Weddinger Lokale. Islamistische Strukturen und die Formen der Organisierten Kriminalität (OK) seien nur bedingt vergleichbar, sagte der Grünen-Abgeordnete Lux, jedoch hätten Dschihadisten meist ein kriminelles Vorleben. Das bestreitet die Vereinigung Berliner Strafverteidiger, der 560 Mitglieder angehören, nicht. Allerdings ähnelten Abläufe und Strukturen in den Familien nicht denen krimineller, gar terroristischer Gruppen – insofern diene ein solches Zentrum eher dem Aufrüsten der Innenpolitik.

Staatsanwältin: Bei vielen ist Geld da, auch ohne legalen Job

Seit Jahren vergeht kaum eine Woche, in der nicht zahlreiche Beamte zu einer der zehn bekanntesten Berliner Großfamilien ausrücken. Vor einigen Monaten konfiszierte die Staatsanwaltschaft bei der aus Beirut stammenden Familie R. 77 Immobilien, die mit illegal erwirtschaftetem Geld bezahlt worden sein sollen.

Bald entscheiden Gerichte, ob die Beschlagnahme rechtens war. Die schwerpunktmäßig in Neukölln tätige Oberstaatsanwältin Petra Leister sagte mit Blick auf langwierige Ermittlungen, die nicht zum gewünschten Erfolg führten: Irgendeine, auch kleinere „Verurteilung – manche sind noch gar nicht bestraft – muss immer den Anfang bilden, um überhaupt mal zu höherrangigen Strafen zu kommen, und wir haben im Blick, dass wir auf jeden Fall das Vermögen abschöpfen müssen“. Da gehe es bei den Statussymbolen los. Ohne Rolex-Uhr und teures Auto verlasse mancher aus dem Milieu ungern das Haus. Irgendwelche Gelder finde man eigentlich immer, auch wenn der Verdächtige nicht mal „ansatzweise einer legalen Tätigkeit“ nachgehe.

Hannes Heine

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