zum Hauptinhalt
Andere Zeiten. Lange waren Bushido (zweiter von links) und Arafat Abou-Chaker (rechts neben ihm) eng verbunden. Hier ein Foto von der Weltpremiere des Films "Zeiten ändern Dich" im Cinestar im Sony Center 2010.
© imago/Raimund Müller

Prozess gegen Arafat Abou-Chaker in Berlin: Zeugen mit schwacher Erinnerung

Arafat Abou-Chaker, dessen Familie berüchtigt ist, steht vor Gericht. Bislang reichten Beweise gegen den früheren Bushido-Freund nicht. Eine Kurzbiographie.

Arafat Abou-Chaker schreitet über den Gerichtsflur, blickt routiniert an den Kameras vorbei, zuckt beim Blitzlicht nicht, wirkt auch noch desinteressiert, als er sich neben seinen Anwälten im Saal 101 auf dem Angeklagtenplatz niederlässt. Abou-Chaker – breites Kreuz, akkurate Nackenrasur, Markenturnschuhe einer Sonderedition – soll im März in einer Physiotherapie-Praxis dem Hausmeister gedroht haben, ihn zu töten, ihm mit zwei Fingern in die Augen gestochen, einen Kopfstoß versetzt und auf ihn eingetreten haben. Folge: Nasenbeinbruch, Kopfplatzwunde, Blutergüsse – es geht um Körperverletzung und Bedrohung. Das Opfer sei, heißt es in den Vernehmungsprotokollen der Polizei, rassistisch und antisemitisch beleidigt worden.

Weil Abou-Chaker, 42 Jahre, als umtriebiger Mann einer ohnehin ziemlich aktiven Familie gilt – und das Landeskriminalamt diverse Akten über ihn führt – übernahm die Abteilung für Organisierte Kriminalität den Fall. Fotos des Richters sind untersagt, die Reporter werden am Freitagmorgen mit Metalldetektoren abgetastet, müssen ihre Telefone abgeben. Abou-Chaker sitzt breitbeinig da.
Doch etwas ist heute anders. Bei früheren Prozessen gegen einen der Abou-Chaker-Brüder kamen stets Familie, Bekannte, Geschäftspartner zum Gericht, zuweilen mussten Polizisten den Weg davor absperren. Heute setzt sich einzig ein Bruder leise auf die Zuschauerbank. Arafat Abou-Chaker wirkt abgekämpft. Dabei wiegt der Vorwurf im Vergleich nicht schwer. Vielleicht geht für den wohl bekanntesten Berliner arabischer Herkunft, der sich trotz deutscher Staatsbürgerschaft stets stolz als Palästinenser bezeichnete, mit diesem Prozess das härteste Jahr seiner Karriere zu Ende.

Steigt nun eine Szenegröße ab?

Im März soll Abou-Chaker nicht nur in der Charlottenburger Praxis seine Selbstkontrolle verloren haben, sondern auch seinen erfolgreichsten Geschäftspartner, den Musiker Bushido. Zugleich machte er sich im Milieu neue Feinde, die sich schon im Juni als so mächtig herausstellten, dass sie der Ruf Abou-Chakers nicht davon abhielt, sein Lokal in Treptow zu beschießen.

Im September wurde Abou-Chaker in einem millionenfach gesehenen Musikvideo von Bushido als „Mephisto“ und in einem „Stern“-Interview als Abzocker, Heuchler, Reaktionär beschrieben. Trägt dieser Prozess vielleicht zum Abstieg einer Szenegröße bei? Sind die Abou-Chakers, wie andere der einschlägigen Familien, angeschlagen? Oder wechseln bloß die Tongeber im sonst funktionierenden Milieu?

Das Strafgericht in Berlin-Moabit.
Das Strafgericht in Berlin-Moabit.
© Gora/imago

Als erster Zeuge wird ein Mitarbeiter der Praxis in den Saal gerufen. Ankläger, Anwälte, Richter befragen ihn. Um es kurz zu machen: Der Mann erinnert sich nicht so recht. Während er kurz nach der Tat den Ermittlern sagte, Abou-Chaker habe den Hausmeister angebrüllt, ihm eine „Kopfnuss“ versetzt, auf ihn eingetreten, sagt der Zeuge nun ziemlich oft: „Ich weiß es nicht hundertprozentig.“ Jedenfalls habe „der Arafat“ die Praxis oft besucht, Brüder und Freunde mitgebracht, die keine Termine brauchten, wenn sie sich behandeln lassen oder Sport treiben wollten. War einer der Abou-Chakers stiller Teilhaber der Praxis, fragt der Richter, habe es Probleme gegeben? Dazu könne er wenig sagen, so der Zeuge, wobei: Arafat habe dort gebetet, laut telefoniert, sich anders aufgeführt als die „normalen Patienten“. Man habe gemunkelt, Arafat fühlte sich vom Hausmeister nicht respektvoll genug behandelt.

Plötzliche Gedächtnislücken oder Verweigerung

Eine Mitarbeiterin – sie sprach bei der Polizei noch davon, dass Arafat öfter die Frauendusche belegt habe, dass er am Tattag „sehr aggressiv“ gewesen sei – erklärt nun: „Das kann ich heute so nicht mehr bestätigen.“ Arafat Abou-Chaker lächelt das erste Mal für einen Sekundenbruchteil. Die Praxis gibt es nicht mehr, das wird deutlich, als der Ex-Betreiber auftritt. Er verweigert die Aussage, obwohl er die Tat – das bestreitet niemand – gesehen hat, und sagt, dass gegen ihn wegen Verdachts des Abrechnungsbetruges ermittelt wird. Apotheken, Physiotherapien, Praxen sind im Milieu beliebt: Immer wieder gab es Razzien wegen fingierter Rezepte, falscher Rechnungen oder erschlichener Aufträge.

Die Polizei hat in den Akten der zwei ersten Zeugen nicht deren Adresse, sondern die Anschrift des Landeskriminalamtes angegeben, offenbar Sicherheitsgründe. Je nachdem, wen man fragt, heißt es über Arafat Abou-Chaker, er sei ein betrügerischer Tyrann oder ein Geschäftsmann mit penetrant-patriarchaler Attitüde, der belle, aber kaum beiße. Vorbestraft ist er nicht. Das Landgericht sprach ihn 2013 frei: Die erstinstanzliche Verurteilung wegen „psychischer Beihilfe zu einer Bedrohung“ sei hinfällig – bei einem Streit mit zwei Afghanen habe er seinen Bruder Nasser doch nicht zum Ziehen einer Waffe aufgefordert.

Abou-Chaker - Polizeiakten, Popsongs und Wikipedia

„Ein Wunder, dass er so weit gekommen ist, bei dessen kurzer Lunte“, sagte ein Ermittler schon vor Jahren. Eine Neuköllner Kiezgröße ergänzte kürzlich: „Völlig irre, der Ari, aber 'n Fuchs.“ Arafat „Ari“ Abou-Chaker strahle schon beim Betreten eines Raumes diese Aufdringlichkeit aus, dass ihm niemand widerspreche. Geboren wurde er 1976 in Westberlin, seine Eltern kamen aus dem palästinensischen Flüchtlingslager Wavel im Libanon. Arafats Eltern sollen ihn im Hass auf Israel nach Jassir Arafat benannt haben.

Ein jüngerer Bruder, der heute hinten im Saal sitzt, heißt Rommel, wie der Wehrmachtsgeneral. Sechs Jungen, drei Mädchen zogen die Eltern auf. Heute sind die Abou-Chakers in Polizeiakten, Popsongs und Wikipedia verewigt. Sie haben ein Dutzend Anwälte und fünf Dutzend Polizisten mit allerlei Fällen beschäftigt – Drogen, Messerstiche, Raubüberfall. Als Kopf des Überfalls auf das internationale Pokerturnier am Potsdamer Platz 2010 wurde ein Bruder verurteilt, fast zur gleichen Zeit saß ein anderer Bruder im Haftkrankenhaus statt im regulären Gefängnis – attestierte Kokain-Sucht.

Auch Arafat pflegte sein Image, fluchte bei Polizeieinsätzen, beschimpfte Reporter, achtete aber stets darauf, auch Glamour abzubekommen. Niemand hat mehr dazu beigetragen, dass die Abou-Chakers zu Berliner Prominenten wurden, als Anis Ferchichi, 40, besser bekannt als Bushido. Der damals unbekannte Musiker war 2004 mit seinem Plattenlabel unzufrieden – so sehr, dass er den Vertrag auflösen wollte. Die Firma weigerte sich. Zu jener Zeit versuchten die Abou-Chakers bei jenen Eindruck zu hinterlassen, die oft selbst aus dem Nahen Osten eingewandert waren. Bushido lernte Arafat in einem Café kennen. Dort thronte der 28-jährige Arafat, schon „’ne halbwegs große Nummer“, sagt jemand, der sich unter Rappern bewegte, Bushido hätte man damals noch „zum Essen holen“ geschickt - was wohl veranschaulichen soll, wer Kellner und wer Koch war. Und so holte Arafat, wie genau auch immer, Bushido aus dem Vertrag.

Abou-Chaker soll „russischer Hurensohn“ gerufen haben

Eigentlich waren die Abou-Chakers im Neuköllner Vergleich wenige, die Konkurrenz bot zehn Brüder auf. Doch die Abou-Chakers hielten zusammen – und hatten durch Bushido schneller als andere einen „Zugang zu legalen Geschäften“, wie Ralph Ghadban, ein ebenfalls aus dem Libanon stammender Soziologe in Berlin, in seinem Buch „Arabische Clans“ schreibt. Erhielt Bushido Preise, so den Bambi 2011, waren die Abou-Chakers dabei. Im Landeskriminalamt ist man wütend: Gewinnt da eine Bande an Einfluss? In dem von Bernd Eichinger produzierten Streifen „Zeiten ändern dich“, der verfilmten Bushido-Biografie, wird Arafat von Moritz Bleibtreu gespielt. Ein Veranstaltungsmanager, der die beiden ab und zu getroffen habe, sagt: Das Problem sei nicht nur gewesen, dass sich Arafat schnell beleidigt fühlte, sondern, dass man wegen der Kluft zu dessen Milieu nie gewusst hätte, worüber man reden sollte: „Arafat produzierte sich mit flachen Witzen. Aber er war schlau genug, um zu merken, dass das nie ankam. Muss frustrierend gewesen sein.“

Um Frust ging es wohl auch an jenem Märztag, über den verhandelt wird. Aus den Vernehmungsprotokollen ergibt sich, dass Arafat im Eingang auf den Hausmeister traf, einen 49-jährigen Mann mit Akzent und unaufdringlichem Gemüt. Dort soll Arafat gerufen haben: „Was ist los in Deutschland, warum begrüßt mich niemand?“ Am Ende des ersten Prozesstages spricht dann der Hausmeister selbst. Ja, der Angeklagte habe ihm in die Augen gestochen, Kopfnuss, Schläge, Tritte. Er habe sich gewehrt. Der Betreiber, der die Aussage verweigert, sei gekommen. „Russischer Hurensohn“, habe der Angeklagte gerufen. „Schlimmeres noch.“ Am Ende, man glaubt es kaum, hätten sich beide dennoch die Hand gegeben. „Männersache!“ Er habe Abou-Chaker erst angezeigt, als er erfuhr, dieser habe ebenfalls Anzeige erstattet – was der Angeklagte nicht getan hat. Der Prozess wird bis in den Dezember fortgesetzt.

Arafat Abou-Chaker schafft sozial nicht, was ihm finanziell gelingt

Noch vor einem Jahr sieht es gut aus für den Angeklagten. Bushido und Arafat ziehen nebeneinander in Villen nach Kleinmachnow. Doch Arafat schafft es nicht, psychosozial dort anzukommen, wo er finanziell längst ist: in der oberen Mitte der Gesellschaft. In Kleinmachnow gibt es Streit mit den Nachbarn, die Polizei ist öfter in der beschaulichen Siedlung. Anders als die bekannten Männer anderer Großfamilien aus dem Libanon fällt bei Arafat Abou-Chaker auf, dass er großen Wert, so beschreiben es Wegbegleiter, nicht nur auf „Palästina“, sondern auch auf den „Glauben“ legt. Er wird in der Al-Nur-Moschee in Neukölln gesehen, einem von den Behörden beobachteten Salafistentempel. Wegen antisemitischer Hetze war im Senat ein Verbot des Moscheevereins diskutiert worden.

Tja, das Weltbild. Dem „Stern“ sagte Anna-Maria Ferchichi, Bushidos Frau, über Arafat: „Wenn mein T-Shirt beim Sitzen am Rücken ein Stück hochrutschte, hieß es: ’Wie läufst du rum? Du siehst aus wie eine Nutte! Das gehört sich nicht für eine Frau.‘ Oder: ,Warum rauchst du?‘“ Und es habe ihn rasend gemacht, wenn man sich seinen Forderungen widersetzte. Ihr Mann Bushido ergänzte: „Manchmal hatte ich richtige Bauchschmerzen, wenn ich sah, dass er auf meinem Handy anrief.“ Als Bushido auszieht, wird das im Landeskriminalamt sofort registriert. Beamte rücken zu Gefährderansprachen aus, warnen die Abou-Chakers davor, sich zu rächen.

Andere tun das auch. Im Juni wird das von Arafat betriebene Lokal „Papa Ari“ von 15 Schüssen durchlöchert. Tage später durchsuchen Beamte die Wohnung von Ashraf R., einem neuen Partner Bushidos, aus einer ebenfalls aus dem Libanon stammenden Familie. Die ist deutlich größer als die der Abou-Chakers. Erst in diesem Jahr wurden vorläufig 77 Immobilien dieses Clans wegen des Verdachts der Geldwäsche beschlagnahmt. Nicht überprüfbar ist, was Neuköllner Kenner des Milieus über die vergangenen Monate sagen: Die Abou-Chakers hätten versucht, mit Nidal R. zusammenzuarbeiten. Der gehört zu einer dritten Familie und war einst Berlins bekanntester Intensivtäter. In diesem Sommer wird Nidal R. erschossen. Bei der Beerdigung tauchten 2000 Männer auf. Auch Arafat Abou-Chaker kam. Mit kleiner Entourage.

Sie hätten erwogen, eine Millionensumme als Ablöse zu zahlen, berichten Bushido und seine Frau im „Stern“. Dass das nicht nötig gewesen sei, hänge damit zusammen, dass „bestimmte Informationen beim Anwalt hinterlegt“ seien. Vielleicht bekommt Arafat Abou-Chaker bald Ärger, der sich nicht durch einen Handschlag ausräumen lässt.

Zur Startseite