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Im November 2019 gab es in Neukölln eine Solidaritätskundgebung für die Betroffenen der Anschlagsserie - und gegen Nazis.
© imago images / Christian Mang

Anschläge und Ermittlungspannen: Abgeordnetenhaus debattiert über rechte Strukturen in Berlin

Neonazis attackieren Gegner, einzelne Beamte der Sicherheitskräfte stehen in der Kritik. Die Koalitionsfraktionen nehmen die rechte Szene stärker in den Blick.

Hat Berlin, haben die Sicherheitsbehörden der Stadt ein Problem mit rechten Strukturen und Gewalt? Laut den Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und Linken im Berliner Abgeordnetenhaus offenbar schon. Gemeinsam beantragten die Koalitionäre für die Aktuelle Stunde der ersten Plenarsitzung nach der Sommerpause das Thema "Lehren aus dem NSU: Rechte Gewalt und ihre Strukturen effektiv bekämpfen". 

Weil die Opposition darauf bestand, wird über die Wahl des Themas diesmal im Plenum und nicht - wie sonst üblich - in der Sitzung des Ältestenrates abgestimmt. Dass sich die Koalition durchsetzt, gilt als ausgemacht.

Tatsächlich gab es allein in jüngerer Vergangenheit mehrere Fälle, mit der sich die Wahl des Themas begründen lässt. Jüngstes Beispiel: Der mutmaßlich von Rechtsextremen verübte Brandanschlag auf die Kneipe "Morgen wird besser" im Bezirk Lichtenberg. 

Von einem Juden betrieben, war die Kneipe zuletzt bereits häufiger Ziel von Attacken. In der Nacht auf Freitag schlugen die Täter erneut zu. Komplett ausgebrannt fand der Inhaber seinen Laden am Morgen vor. Das Landeskriminalamt übernahm die Ermittlungen und der polizeiliche Staatsschutz prüft ein politisches Motiv.

Anderer Bezirk, ähnliche Vorfälle: Berlin-Neukölln. Mehr als 60 Straftaten zählt eine mittlerweile seit mehreren Jahren andauernde Anschlagsserie auf Engagierte gegen Neonazis. Hauswände wurden besprüht, Geschäfte und Treffpunkte attackiert, Autos angezündet und beinahe das Haus der schlafenden Eltern des Linken-Kommunalpolitikers Ferat Kocak in Brand gesetzt. Den beiden Hauptverdächtigen, zwei Neonazis aus dem Umfeld von NPD und AfD, konnten die Taten bislang nicht zur Last gelegt werden. Eine extra eingerichtete Ermittlungsgruppe arbeitet seit Jahren an der Serie, ebenfalls erfolglos.

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Klar ist: Ein Thema in der Aktuellen Stunde werden auch die Sicherheitsbehörden selbst sein. Zuletzt war bekannt geworden, dass es bei der Berliner Polizei unerlaubte Datenabfragen im Zusammenhang mit rechtsextremen Morddrohungen gegen Betroffene der Neuköllner Serie gegeben haben soll. Weil die Polizei diese laut Berlins Datenschutzbeauftragter Maja Smoltczyk nicht nachvollziehbar begründen könne, gab es scharfe Kritik und einen Streit zwischen beiden Behörden.

Maja Smoltczyk, Beauftragte des Landes Berlin für Datenschutz und Informationsfreiheit.
Maja Smoltczyk, Beauftragte des Landes Berlin für Datenschutz und Informationsfreiheit.
© Mike Wolff

Hinzu kommt: Ein Staatsanwalt, der in die Ermittlungen zur Neuköllner Terrorserie eingebunden war, wurde wegen mutmaßlicher Befangenheit vom Fall abberufen. Generalstaatsanwältin Margarete Koppers zog das Ermittlungsverfahren vor knapp zwei Wochen an sich. Alle Fälle sollen von der Generalstaatsanwaltschaft neu aufgerollt werden. Zur Begründung hieß es, die Befangenheit eines Staatsanwalts könne nicht ausgeschlossen werden.

Die Berliner Generalstaatsanwältin Margarete Koppers. 
Die Berliner Generalstaatsanwältin Margarete Koppers. 
© Gregor Fischer/dpa

Innensenator Geisel will Sonderermittler einsetzen

Außerdem von den Vorwürfen betroffen: Der Leiter der Staatsschutzabteilung und frühere Neuköllner AfD-Lokalpolitiker Tilo P.. Er könnte, so der Vorwurf, das Verfahren nicht mit dem nötigen Nachdruck geführt oder sogar verschleppt haben und zudem eine Nähe zu einem der Hauptverdächtigen der Serie haben.

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Politiker der Linkspartei erneuerten auf die Fälle hin ihre Forderung nach einem Untersuchungsausschuss zum Neuköllner Terrorkomplex. Innensenator Andreas Geisel (SPD) sicherte zu, Sonderermittler einsetzen zu wollen. Geisels Parteigenosse und Bezirksbürgermeister von Neukölln, Martin Hikel, forderte, der Generalbundesanwalt solle sich in die Ermittlungen einschalten.

Neben dem Rechtsextremismus beschäftigt sich das Abgeordnetenhaus am Donnerstag mit dem Gesetz über die Versammlungsfreiheit im Land Berlin, dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz sowie der Ausweitung von Ladenöffnungszeiten und den Arbeitsbedingungen der Angestellten der Flugabfertigung am BER. Die AfD will erneut über die angekündigte Umbenennung des U-Bahnhof Mohrenstraße debattieren, die CDU plant einen Bildungsgipfel.

Außerdem auf der Tagesordnung: Die Vereidigung des neuen Stadtentwicklungssenators Sebastian Scheel. Er folgt auf die zuletzt überraschend vom Amt der Senatorin zurückgetretene Katrin Lompscher (Linke).

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