Sebastian Scheel folgt Katrin Lompscher: Mit edlem Zwirn für radikale Berliner Wohnungspolitik
Der neue Bausenator gilt als „Armani-Kommunist“: Der studierte Philosoph will günstige Mieten in Berlin durchsetzen.
Nun ist er es doch geworden, Sebastian Scheel, der Staatssekretär der zurückgetretenen Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher. Der 44-Jährige soll am Donnerstag als neuer Bausenator im Parlament vereidigt werden.
Bis zuletzt hatte es Widerstände gegen den Aufstieg des Polit-Imports aus Sachsen gegeben. Der für die Linke so wichtige Posten in einem Schlüsselressort sollte eigentlich wieder mit einer Frau besetzt werden. Doch die Suche der Linken nach einer Frau als Nachfolgerin war erfolglos geblieben.
„Mehrere Optionen“ habe man gehabt, betonte die Parteispitze nach außen hin. Doch die Optionen hielten sich in Grenzen. Ex-Senatorin und Ex-Fraktionschefin Carola Bluhm ließ sich offensichtlich nicht überreden, noch einmal für ein Jahr einschließlich eines anstrengenden Wahlkampfs eine politische Spitzenposition zu übernehmen.
Und Caren Lay, Bundestagsabgeordnete und Obfrau der Linken im Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen, war ebenfalls keine realistische Option. Denn es sollte jemand sein, der die Berliner Landespolitik mit ihren Ecken, Kanten und Fallstricken kennt, und die Koalitionäre vor allem auf der Senatsebene gut einschätzen kann.
Als der Landesvorstand am Montagabend um 18.30 Uhr seine Entscheidung für Scheel verkündete, sagte die Berliner Parteichefin Katina Schubert: „Uns war wichtig, eine Lösung zu finden, die für Kontinuität in emanzipatorischer Stadtpolitik und Stadtentwicklungspolitik, Baupolitik und Mietenpolitik steht, die ein gutes Verhältnis zu Stadtgesellschaft hat, zu den Mieterinitiativen und die sich den Zielen im Koalitionsvertrag und den Zielen der Partei verpflichtet fühlt.“
„Die Politik von Katrin Lompscher fortführen“
In Abwägung „der verschiedenen Möglichkeiten“ habe man sich entschieden, Sebastian Scheel als Senator zu nominieren. „Ich bin der festen Überzeugung, dass er seine Arbeit sehr gut machen wird und die Strategie und Politik von Katrin Lompscher fortführen wird.“
Die neue Staatssekretärin werde „auf jeden Fall“ eine Frau, sagte Schubert. Der neue Senator werde entscheiden, wer auf seinen Posten als Staatssekretär folgen wird. Im Gespräch soll Wenke Christoph, Referentin bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, sein, wie das „Neue Deutschland“ berichtete.
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Die Grünen-Fraktionsspitze gratulierte Scheel am Abend zu seiner Nominierung. „Wir erwarten, dass die Neuausrichtung der Wohnungspolitik hin zu einem gemeinwohlorientierten Wohnungsmarkt und die Kooperation mit der MieterInnenbewegung bestehen bleiben und gestärkt werden“, hieß es in einem Statement der Vorsitzenden Antje Kapek und Silke Gebel.
Dazu benötige man mehr Personal zur Umsetzung des Mietendeckels, mehr Dialog mit den Baugenossenschaften sowie eine bessere Unterstützung der Bezirke bei der Wahrnehmung ihres Vorkaufsrechts, hieß es weiter.
Scheel folgte Andrej Holm im Amt nach
Der designierte Bausenator Sebastian Scheel wurde in Wriezen geboren. Vor drei Jahren war er eher eine aus der Not geborene Zufallsbesetzung. Den Posten des Staatssekretärs erbte er nur wenige Wochen nach dem Start der neuen rot-rot-grünen Koalition vom Mietenaktivisten Andrej Holm, der wegen seiner Stasi-Vergangenheit politisch als Staatssekretär nicht zu halten war.
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Scheel startet unauffällig. Im Windschatten seiner Chefin Katrin Lompscher habe er anfangs auch nicht immer voll im Stoff gewirkt in Verhandlungsrunden, heißt es. Einige vermissten gar persönliches Engagement und wollten vollen Einsatz vor allem dort erkannt haben, wo es ihm persönlich und der Linken politische Vorteile bringe.
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Das mag allerdings auch täuschen und eher mit Scheels Naturell zusammenhängen: Er schätzt nicht den resoluten Auftritt des Machers, sondern bestellt das Feld eher tastend nach ausgiebiger Prüfung, dafür aber gründlich. Jedenfalls war von offener Kritik zuletzt nur noch wenig zu hören.
Der „Armani-Kommunist“?
Dass er in Sachsen, wo er Mitglied des Landtags und parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion war, als „Armani-Kommunist“ tituliert wurde und auch in Berlin edlen Zwirn trägt, soll er im engen Umfeld mit Amüsement quittiert und klargestellt haben: Nicht ein Anzug in seinem Kleiderschrank stamme von dem italienischen Designer.
Im Tagesspiegel-Gespräch hatte er kurz nach seinem Amtsantritt als Staatssekretär seinen konservativen Kleidungsstil mit „Respekt vor dem Parlament“ begründet. Kleidung folgt eben der Gesetzmäßigkeit gesellschaftlicher Codes und Zeichen, eine Selbstverständlichkeit für einen studierten Philosophen wie Scheel es ist, der daraus seine eigene Konsequenz gezogen hat.
In der Parteibasis kommt das nicht überall gut an. Zumal Scheel dort der Ruf vorauseilt, Pragmatiker zu sein, wenn nicht gar ein Technokrat der Macht. „Realo“ würde man Scheel nennen, wäre er ein Grüner. Wobei er in der Umsetzung der linken Wohnungspolitik durchaus radikal vorgeht, jedenfalls gemessen am Selbstverständnis der sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen, die bis vor wenigen Jahren noch auf Marktwirtschaft getrimmt waren.
Scheel setzte linke Kurskorrektur durch
In enger Abstimmung mit der „Wohnungsversorgung Berlin“, einer öffentlichen Einrichtung geführt von Mieteraktivisten, setzt Scheel die linke Wohnungspolitik günstiger Mieten und Vergabe von Wohnungen an Haushalte mit geringen Einkünften durch. Die „WVB“ hatte der Senat als Konzession an den erfolgreich gestarteten Mietenvolksentscheids gegründet, um dessen Forderungen aufzunehmen.
Scheel setzt diese Kurskorrektur bei den sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen durch. Mag Scheel an der linken Basis als Polit-Technokrat geschimpft werden: Er drängt mit seinem Auftreten auf Augenhöhe die Manager der landeseigenen GmbHs und AGs zu immer schärferen sozialen Regulierungen im Geschäft mit der Vermietung und dem Bau von Wohnungen.
Das Steuer ist herumgerissen, längst vergessen das Jahrzehnt von Schuldenabbau. Mit massivem Druck drängen Scheel und die institutionalisierte Mieterbewegung zu immer rigideren „Kooperationsvereinbarungen“ und zum Siedlungsbau.
Als eines der ersten Erfolge wird Lompschers Nachfolger die überarbeitete Vereinbarung mit den sechs Firmen hochhalten können, die diese zwingen, drei von vier neu gebauten Wohnungen für Mieten zwischen 6,50 Euro und 8,50 Euro je Quadratmeter zu vergeben – bei Baukosten von mehr als zwölf Euro.