zum Hauptinhalt
Im engen Dialog. In zwölf Jahren Regierungszeit war Angela Merkel zehn Mal in China, so oft wie kein anderer westlicher Politiker. Hier trifft sie Chinas Präsident Xi Jinping 2016 in Peking.
© pa/Guido Bergmann/Bundesregierung

Chinas Botschafter: "Wir stehen auf Deutschlands Seite"

Der chinesische Präsident Xi Jinping ist zum Staatsbesuch in Berlin eingetroffen. Botschafter Shi Mingde im Gespräch über die Zusammenarbeit mit Deutschland und strategische Allianzen für die Zukunft.

Herr Botschafter, China und Deutschland feiern in diesem Jahr 45 Jahre diplomatische Beziehungen. Wo waren Sie vor 45 Jahren?
Es ist auch für mich ein Jubiläum, denn ich bin vor 45 Jahren in den diplomatischen Dienst eingetreten. Ich bin 1972 mit der westsibirischen Eisenbahn von Peking abgefahren und dann in Ost-Berlin zu einem dreijährigen Studium angekommen. Damals war China noch ein wirtschaftlich sehr rückständiges Land. Der Anteil des Bruttoinlandprodukts weltweit betrug damals nur 1,5 Prozent. Heute liegt er bei 15 Prozent. Damals waren Fleisch und Eier in China rationiert. Was ich hier in den Läden sah, hat mich sehr erstaunt. Dann bin ich zu Weihnachten nach West-Berlin gefahren und sah dort die Überfülle des Warenangebots. Ich habe mir gedacht, es wäre für China gut, wenn wir auch eines Tages so viele Angebote für die Menschen hätten.

Warum sind Sie damals nach Deutschland gegangen?
Ich habe 1964 mit neun Jahren in der dritten Klasse begonnen Deutsch zu lernen. Damals war China zwar arm, aber die führenden Politiker hatten lange strategische Überlegungen angestellt. Sie wollten ein neues China bauen. Der ehemalige Ministerpräsident Zhou Enlai setzte auf die Kinder. In Großstädten wurden Schulen mit Unterricht in sieben Fremdsprachen aufgebaut. Als ich 1972 in Deutschland ankam, hatte ich nach drei Monaten kein Problem, Fernsehen zu verstehen und Zeitungen zu lesen. Es zeigte sich, dass man in China immer langfristig denkt.

Wie haben Sie die DDR erlebt?
Wir hatten große Auseinandersetzungen mit der DDR-Führung in der Frage der deutschen Einheit. Wir vertraten stets den Standpunkt, dass diese Teilung künstlich ist und eines Tages überwunden wird. Wir sind der Auffassung, eine Nation verbindet gemeinsame Sprache, Geschichte und Tradition, nicht die Ideologie. Die DDR behauptete damals, dass in der DDR eine sozialistische Nation und in der BRD eine kapitalistische Nation lebte. Damit waren wir auf Grund unserer Geschichte nicht einverstanden. Die Teilung Chinas ist ein Ergebnis des Bürgerkrieges. Aber wir sind überzeugt, dass wir auch eines Tages die Wiedervereinigung erlangen werden.

Aber wenn die Bevölkerung Taiwans dies nicht will?
Die Bevölkerung von Taiwan ist ein Bestandteil des chinesischen Volkes. Wenn wir über das Schicksal von Taiwan entscheiden, sollen wir nicht nur 23 Millionen fragen, sondern 1,3 Milliarden Chinesen. Wir schätzen sehr, dass alle Bundesregierungen seit der Adenauer-Zeit zur Ein-China-Politik stehen. Wir wünschen uns auch, dass Deutschland unseren Wunsch nach einer Wiedervereinigung weiter unterstützt. In der DDR habe ich damals eine hundertprozentige Planwirtschaft erlebt, in der Bundesrepublik die soziale Marktwirtschaft. Wir haben Abstand genommen vom sowjetischen Modell und seiner hundertprozentigen Planwirtschaft, dann lieber eine sozialistische Marktwirtschaft.

Waren Sie der BRD näher als der sozialistischen DDR?
Wir haben mit der DDR 1949 diplomatische Beziehungen aufgenommen, die aber am Tag der Einheit 1990 endeten. Mit der Bundesrepublik haben wir am 11. Oktober 1972 diplomatische Beziehungen aufgenommen, und die waren von Anfang an besser als zur DDR. Dort galt ja der Slogan ,Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen’ – und wie Sie sich vorstellen können, waren wir da anderer Meinung.

Wie würden Sie die Phasen der Beziehungen zur Bundesrepublik beschrieben?
Ich würde die Beziehungen in vier Phasen einteilen. Die Anfangsphase reichte von 1972 bis 1989, eine stabile, fast reibungslose Entwicklung. Von 1989 bis 1992 hatten wir eine Phase der Stagnation, der Konfrontation, eine Phase voller Reibungen.

Wegen Tiananmen?
Wegen vieler Ereignisse in der Welt, aber speziell der politischen Ereignisse in China. Damals hat der Bundestag eine Resolution gegen China verabschiedet, die 1992 aufgehoben wurde. Von 1992 bis 2004 verzeichneten wir eine Normalisierung auf allen Gebieten. 2010 beschlossen wir dann eine strategische Partnerschaft. Und 2014 wurde beim Besuch von Staatspräsident Xi Jinping die umfassende strategische Partnerschaft aufgebaut. Seitdem wurde eine umfassende Entwicklung in Gang gesetzt, politisch, wirtschaftlich und kulturell.

Und wo stehen wir heute?
Wir sind historisch auf dem höchsten Punkt angelangt. 2014 haben in einem Jahr sowohl der Staatspräsident Xi Jinping als auch Ministerpräsident Li Keqiang Deutschland besucht. Das ist selten. In diesem Jahr kommen beide jetzt innerhalb fast eines Monats wieder. Das ist einmalig. Und die Kanzlerin war in zwölf Jahren Regierungszeit schon zehn Mal in China. Kein westlicher Politiker hat in seiner aktiven Zeit so oft China besucht.

Menschenrechte: "Nicht den Maßstab des Westens an China legen"

Shi Mingde (62) ist seit August 2012 Botschafter der Volksrepublik China in Deutschland.
Shi Mingde (62) ist seit August 2012 Botschafter der Volksrepublik China in Deutschland.
© Thilo Rückeis

Wie ist die Zusammenarbeit im Vorfeld des G-20-Gipfels?
China hatte im vergangenen Jahr den Vorsitz von G20 und sich mit Deutschland auf eine gemeinsame Agenda geeinigt. Unsere Themen sollen in Hamburg fortgeführt werden. Deutschland hat die Digitalisierung und die Partnerschaft mit Afrika hinzugefügt. Das unterstützen wir. „Wachstum durch Innovation“ wollen alle, aber wodurch? Weltweit ist man geteilter Meinung. China und Deutschland wollen das durch bessere Strukturreformen und gesunde Finanzpolitik erreichen. Das zweite Thema ist der Abbau des Gefälles von Arm und Reich. Das dritte Thema liberaler Handel gegen Protektionismus und schließlich der Klimawandel.

Werden die Verhandlungen schwierig?
Leider stoßen manche Themen jetzt auf Widerstand. Mit dem neuen amerikanischen Präsidenten wird es Deutschland schwer haben, diese Themen fortzusetzen. Wir stehen auf der Seite von Deutschland. Und wir wollen auch andere Länder mitnehmen für diese Ziele: Liberaler Handel, offene Märkte, Multilateralismus gegen Abschottung gegen Isolation und gegen Unilateralismus.

Welche politischen Perspektiven ergeben sich für beide Länder?
In der Weltpolitik sollten China und Deutschland mehr zusammenstehen und für wichtige Prinzipien eintreten. Wir sollten uns besser koordinieren und regionale und globale Konflikte durch politische Lösung beilegen, ohne Gewaltanwendung. In der Wirtschaft sehen wir neue Felder. Die Zusammenarbeit zwischen Industrie 4.0 und „Made in China 2025“. Wir sehen auch eine Möglichkeit bei der Elektromobilität. Weltweit sind zwei Millionen Autos unterwegs, davon eine Million in China. Wir haben das Ziel, bis 2020 zwei Millionen Elektroautos zu produzieren. Bei traditionellen Autos werden wir Deutschland in absehbarer Zeit nicht mehr einholen. Aber bei Elektroautos sind wir auf Augenhöhe. Deshalb haben wir eine strategische Allianz geschlossen mit Deutschland. Wir erarbeiten gemeinsam einen technischen Standard, und die drei deutschen Autokonzerne wollen auch massiv in China in den Bereich Elektroautos investieren.

Wo sehen Sie weitere Potenziale?
Ein weiteres Feld ist Forschung und Entwicklung. Deutschland hat vor einem Jahr die erste landesspezifische Entwicklungsstrategie für China ausgerufen. Im vergangenen hat China eine Deutschlandstrategie verkündet. Wir haben jetzt über 500 Partnerschaften zwischen Universitäten und Forschungsinstituten. Wir wollen gemeinsam jungen Wissenschaftlern Plattformen schaffen, wo sie sich gegenseitig unterstützen. Ein weiteres Feld ist die Neue Seidenstraße. Wir wollen auch mit Deutschland Kooperationen in Drittländern. Wir können auch gemeinsam in Zentralasien in den Ländern der früheren Sowjetunion zusammenarbeiten. Wir kooperieren schon in Afghanistan im Bergbau und bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen. Und wir machen uns Gedanken mit Deutschland über eine Kooperation in Afrika.

Bei allen Gemeinsamkeiten gibt es in Deutschland weiter Kritik an der Menschenrechts-Situation. Warum gelingt es China nicht, diese zu verbessern?
Der erste Grund ist, dass noch zu wenige Leute hier im Westen mit der Entwicklung und mit der Geschichte Chinas vertraut sind. In den letzten mehr als 30 Jahren haben wir 600 Millionen Menschen aus der Armut befreit. Die Lebenserwartung der Chinesen ist von 36 auf 74 Jahre gestiegen. Für 1,3 Milliarden Menschen eine sichere Existenz sicherzustellen ist schon eine gewaltige Aufgabe. Ein wesentlicher Beitrag zur Stabilität und zur Verbesserung der Menschenrechte muss man auf diesem Stand sehen. Man muss auch erkennen, in welche Richtung sich das Land von welchem Stand aus bewegt. Zweitens ist es wichtig für unsere Freunde im Westen, nicht den eigenen Maßstab an China zu legen. Wir brauchen Dialoge auf gleicher Augenhöhe. Wir führen den Menschenrechtsdialog und den Rechtsstaatdialog seit 14 Jahren. Da werden die Unterschiede diskutiert und wo wir voneinander lernen können. Man soll nicht vergessen, dass gerade auf dem politischen Gebiet große Fortschritte erzielt worden sind. Nach dem WTO-Beitritt haben wir mehr als 250 inländische Gesetze angepasst. Dann gibt es die direkte Wahl in China auf Gemeinde- und Dorfebene. Das praktizieren wir schon seit mehr als zehn Jahren. Das ist ein langer Prozess.

Doch China war schon einmal weiter in Menschenrechtsfragen.
Das ist eine Behauptung, die wir nicht teilen. Wir haben eine Milliarde Handynutzer und 700 Millionen Internetnutzer. Wenn Sie dort Chinesisch verstehen können, werden Sie feststellen, dass überall offene Kritik an der Regierung geübt wird. Natürlich werden auch einige zur Rechenschaft gezogen, nicht weil sie Anwälte sind, nicht weil sie Minderheiten angehören, sondern weil sie gegen das Gesetz verstoßen haben. Gegenüber dem Gesetz sind alle gleich. Wir sind für einen Dialog miteinander, man sollte sich nicht gegenseitig belehren. Unterschiede wird es immer geben.

Wäre dafür ein verstärkter Austausch auf der Ebene der Bürger wünschenswert?
Gerade junge Menschen, die nicht im Internet miteinander Kontakt aufnehmen, reisen und können dann anderen Leuten in die Augen schauen und feststellen ob die Chemie stimmt. Wenn ich mit Leuten spreche, die einmal in China gewesen sind, dann sprechen sie ganz anders über China als solche, die dort nie gewesen sind. Jedes Jahr kommen 1,2 Millionen Touristen aus China nach Deutschland, nach Europa insgesamt drei Millionen. Sie geben auch viel Geld aus. Ich hoffe sehr, dass mehr und mehr Deutsche nach China reisen. Ich freue mich, dass es jetzt 300 Gymnasien in Deutschland gibt, an denen Chinesisch unterrichtet wird. Mehr Austausch bringt mehr Völkerverständigung. Das ist wichtig, denn die Menschen untereinander reden nicht über Menschenrechte, sondern wie sie leben und über ihre Kultur. Das ist die Grundlage für unsere Beziehungen.

Wo sehen Sie die Beziehungen zwischen Deutschland und China in 45 Jahren?
Ich hoffe sehr, dass China wie Deutschland sich in den kommenden 45 Jahren noch viel schneller entwickeln als in den vergangenen 45 Jahren. Ich hoffe auch, dass die neuen Felder der Zusammenarbeit wirklich umgesetzt werden. Ich hoffe sehr, dass China und Deutschland mit der EU in der Weltpolitik zusammen stehen. Und ich wünsche mir weniger Ideologie und mehr pragmatische Zusammenarbeit im Sinne einer umfassenden strategischen Partnerschaft.

Zur Startseite