Ministerpräsident Li Keqiang in Berlin: Deutschland und China auf Annäherungskurs
Der Rückzug der USA fördert das deutsch-chinesische Verhältnis. Zum Besuch von Regierungschef Li Keqiang in Berlin betonen beide Seiten ihre Gemeinsamkeiten. Doch es bleiben Differenzen.
Unlängst in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin hat sich Chinas Botschafter in Deutschland einen Scherz erlaubt. Gut, dass China und die USA seit April einen gemeinsamen 100-Tage-Aktions-Plan erarbeiten, erklärte Shi Mingde, somit habe sein Land nun 100 Tage lang Ruhe vor den verbalen Angriffen des US-Präsidenten auf Twitter. „Jetzt kann sich Donald Trump noch mehr mit Deutschland und Angela Merkel beschäftigen“, sagte der Botschafter – und das Publikum lachte mit ihm.
Nicht nur die Rolle als Zielscheibe für Donald Trumps politischen Zorn eint gegenwärtig Deutschland und China. Beide Länder „weisen zurzeit in wichtigen Politikfeldern mehr Gemeinsamkeiten auf als das unter starke Spannungen geratene transatlantische Bündnis“, sagt Sebastian Heilmann, Direktor des Berliner China-Institut Merics. „Deutsch-chinesische Gemeinsamkeiten zeigen sich besonders in der globalen Handels- und Klimapolitik, aber auch generell in dem Bekenntnis zur Weiterentwicklung multilateraler globaler Regelwerke.“
Um diese Gemeinsamkeiten zu vertiefen, traf am Mittwoch Chinas Regierungschef Li Keqiang zum Besuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin ein. Das Treffen sollte auch der Vorbereitung für den G-20-Gipfel in Hamburg sowie des Staatsbesuches des chinesischen Präsidenten Xi Jinping im Juli dienen.
China nutzt gegenwärtig geschickt das Vakuum, das die USA auf der globalen Bühne durch ihren Rückzug aus internationalen Bündnissen wie etwa dem Transpazifischen Handelsabkommen hinterlassen. Dabei einen Deutschland und China vor allem wirtschaftliche Interessen. „Das ökonomische Dreamteam gründet auf Freundschaft“, titelt „China Daily“ vor Li Keqiangs Deutschland-Besuch. Laut der staatlich kontrollierten Zeitung beläuft sich das gesamte Handelsvolumen beider Länder inzwischen auf 151,29 Milliarden Dollar. „In einem Telefongespräch mit Merkel Anfang des Jahres rief Li beide Länder dazu auf, eine führende Rolle zu spielen, um sicherzustellen, dass die internationalen Märkte nicht in Aufruhr geraten“, schreibt „China Daily“.
China benötigt Unterstützer für seine globale Initiative der „Neuen Seidenstraße“, die den europäisch-asiatischen Wirtschaftsraum erschließen soll. „Die chinesische Seite sucht aktiv in Europa und Deutschland verlässliche Partner, um eigene Interessen abzusichern“, erklärt Merics-Chef Sebastian Heilmann.
China kam Deutschland bei der Pflichtquote für E-Autos entgegen
Um die aktuelle Annäherung nicht zu gefährden, ist die Volksrepublik Deutschland zuletzt in zwei wichtigen Punkten entgegengekommen. So hat China deutsche politische Stiftungen registriert, die wegen des umstrittenes Gesetzes für Nichtregierungsorganisationen (NGO) um die Fortsetzung ihrer Arbeit in China bangten. Für andere NGOs steht diese Genehmigung allerdings noch aus. Auch ist Peking offenbar den deutschen Automobilherstellern bei der Pflichtquote für E-Autos entgegen gekommen. Auch hier fehlen noch genauere Bedingungen für die Produktion.
Doch nach wie vor gibt es auch Differenzen in den Beziehungen. China drängt darauf, von Europa als Marktwirtschaft anerkannt zu werden, so wie es dem Land beim WTO-Beitritt 2001 zugesagt worden war. Deutschland solle China in diesem Ansinnen unterstützen. Doch Europa zögert weiter, weil die Möglichkeit weg fiele, chinesische Importe mit Anti-Dumping-Strafzöllen zu belegen. Auf der anderen Seite beklagen europäische und deutsche Unternehmen mangelnden Marktzugang in China.
Und schließlich ist die Volksrepublik weiterhin eine autoritäre Einparteiendiktatur. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die Internationale Tibet-Kampagne und Reporter ohne Grenzen appellierten daher an die Bundeskanzlerin, gegenüber Li Keqiang Menschenrechtsverletzungen offensiv anzusprechen.
Sie beklagen die fortwährende Unterdrückung von Minderheiten in den Provinzen Xinjiang und Tibet. Und nach der Verhaftungswelle von mindestens 248 Menschenrechtsanwälten im Juni 2015 mehren sich nun Foltervorwürfe einiger Rechtsanwälte gegen Beamte der chinesischen Justiz. Die Regierung in Peking sei für „schwere Menschenrechtsverletzungen“ verantwortlich, schreiben die Menschenrechtsorganisationen. Und spätestens bei diesem Thema enden die Gemeinsamkeiten.