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Junge Frauen, die Kopftücher tragen, gehen eine Straße herunter.
© imago stock and people

Streit an der Humboldt-Universität: Wie islamische Theologie gerade in Berlin gelingen kann

Mit den muslimischen Köpfen und Herzen der Stadt: Das geplante Institut für islamische Theologie an der Berliner Humboldt-Uni braucht ein Angebot für neues Denken. Ein Gastbeitrag.

An der Humboldt-Universität möchte man Imame und Religionslehrkräfte ausbilden, islamisch-theologische Grundlagenforschung betreiben und Fragen muslimischer Gegenwartskulturen bearbeiten. Dafür sprechen gute Gründe. Was daran stört, ist das Dominanzstreben, das sich artikuliert. Von evangelischer „Mutterinstitution“ war unlängst zu lesen, von einer „Fakultät der Theologien“, und vom schwierigen Einvernehmen mit den islamischen Religionsvereinen. Dabei könnte Berlin dank Bremer Klausel, nach der Religion an öffentlichen Schulen kein ordentliches Lehrfach ist, auf Turban und Talar eigentlich verzichten. Aber hier ist das Begehren geweckt worden.

Wer in dieser Sache die Hand hebt, deutet gern auf die anderen Standorte islamischer Theologie in Deutschland. Dort wird wissenschaftlicher Nachwuchs gefördert, mit und ohne öffentliche Mittel oder muslimische Beiräte. Das verdankt sich den Empfehlungen des Wissenschaftsrats von 2010 zur Neuordnung der religionsbezogenen Wissenschaften. Auch Stiftungen machen mit, zum Beispiel das Mercator Graduiertenkolleg Islamische Theologie. Dorthin wird der suchende Blick künftiger Kommissionen an der HU fallen, denn die berufungsfähige Personaldecke ist dünn. Und an Professuren will die HU gleich fünf, darunter ist Volltheologie offenbar nicht zu haben. Das ist die eine Seite.

Dem "deutschen Islam" droht eine Kannibalisierung

Auf der anderen Seite droht dem „deutschen“ Islam durch die Zentrums-Bildung die Ausgrenzung nach innen. Man könnte auch Kannibalisierung sagen. Es wäre nicht das erste Mal in der deutschen Islamförderung, dass der Islam als Vehikel für den Wunschzettel Dritter herhalten muss. Nichts dagegen einzuwenden, die Globaldiskurse um den Islam in Deutschland normalitätsstiftend zu begleiten. Hier kann Wissenschaft kulturpolitisch viel bewegen. Aber nur, wenn sie sich nicht von einem statuarischen Religionsverständnis überwältigen lässt, das genau zu wissen meint, wie Religion im globalen Norden funktioniert.

Dabei läge es mit Blick auf den noch jungen Islam in Deutschland nahe, auf jedwede Verdinglichung und Zuschreibung zu verzichten. Stattdessen wäre er funktional, das heißt aus seinen sozialen Verortungen und spirituellen Dynamiken heraus zu begreifen. Es ist nicht gut, wenn von oben nach unten ergriffen wird, was man zuerst einmal von unten nach oben begreifen müsste.

Neulich verriet jemand wohl aus Versehen, es ginge beim Berliner Institut darum, religiöse Affekte zu zivilisieren. Sogar der Dekansposten der imaginierten Berliner Fakultät der Theologien wurde vorsorglich nicht nur protestantisch, sondern gleich namentlich etikettiert. Morgens schon das Handtuch über den Liegestuhl zu werfen, verschiebt aber die Debatte auf die Affektlogik der Dominanzgesellschaft. Denn nun muss gefragt werden, wie weit die Deformierung des Islams zum Zwecke seiner Institutionalisierung noch gehen darf.

Themen von Populismus bis zur Verächtlichmachung von Freiheitsrechten

Wird in solcher Rahmung genügend Raum für die islamische Theologie bleiben, sich zu den drängenden Fragen zwischen Populismus, Etatismus und der Verächtlichmachung von Freiheitsrechten und wissenschaftlicher Expertise zu positionieren? Das nämlich wäre der Gegenstand einer Theologie, die für sich das Gütekriterium „islamisch“ in Anspruch nehmen will. Was dagegen nicht für die inhaltliche Begründung einer islamischen Theologie in Berlin herhalten sollte, wären der fruchtlose Streit um das Kopftuch oder den Islamunterricht zwischen Kottbusser Tor und Columbiadamm.

Was die eigentlich relevanten Themen betrifft, ist der Blick auf die Islamstandorte an deutschen Universitäten ernüchternd. Es fehlt an geistiger Innovativkraft und an Widerständigkeit gegen die gegenwärtig beobachtbare feindliche Übernahme des Islams durch seine eigene Anhängerschaft. Im verflixten siebten Jahr der staatlichen Förderung islamischer Theologie würde man mehr wissenschaftlichen Output in Gestalt profilbildender Publikationen und maßgeblicher Beiträge zu den öffentlichen Leitbilddiskursen erwarten. Stattdessen nerven die einen mit der Infantilisierung der islamischen Theologie, die anderen mit ihrer Folklorisierung, wieder andere mit ihrer Dämonisierung – dies mit narzisstischem Gespür dafür, wie man sich als Einäugiger unter den Blinden Gehör verschafft.

Die Theologie des Islams lockt eine betreuungsintensive Klientel an

Das ist unter anderem das Ergebnis von Förderformaten, die sich ihrerseits mit einer Vokabel wie Imamausbildung ordnungspolitischen Erwartungshorizonten andienen, dabei aber das verfehlen, was notwendig wäre: herrschafts- und systemkritisches Potenzial. Wer eingangs jeden Semesters Hundertschaften neu eingeschriebener Studierender betreuen muss, kann nicht nebenher wissenschaftlich publizieren. Betreuen meint hier an die Hand nehmen, denn mit der Studierfähigkeit im erwartbaren Maß ist es bei den Zielgruppen, die sich vom Studienformat Theologie des Islams anlocken lassen, nicht gut bestellt.

Wo die islamische Theologie in ein paar Dekaden stehen will, entscheidet sich hier und heute an der Frage, ob die Grammatik des Islams endlich zur Blaupause für die Arbeit der universitären Islam-Zentren wird. Das eigentliche Wesen des Korans und damit die Kunst seiner Auslegung wurzeln aber nicht in der Assimilation an das Gegebene, sondern in der Anfrage an dessen Begründungslogik. Der Islam weist signifikant säkulare Kritik als integralen Bestandteil seiner eigenen Tradition auf. Vieles an islamisch-theologischem Umdenken als Gegenmittel gegen religiöse Rigidisierung lebt in den intelligenten muslimischen Köpfen und Herzen der Stadt.

Den Eliten mit Religion ist zu misstrauen

Damit sind aber nicht die kürzlich beschworenen religiösen Eliten gemeint. Den Eliten mit Religion ist zu misstrauen, wie die Türkei zeigt. Gemeint ist vielmehr das soziale Kapital in Gestalt von Berlins Musliminnen und Muslimen, das noch weitgehend ungenutzt geblieben ist. Verharrt es in der Randständigkeit, könnte eine verfehlte Bildungsstrategie in Sachen Islam der Radikalisierung sogar noch Vorschub leisten.

Die Gründung braucht Zeit - um das intellektuelle Potenzial der Muslime ins Gespräch zu bringen

Passanten vor einem historischen Universitätsgebäude.
Das Berliner Institut für islamische Theologie soll an der Humboldt-Universität entstehen.
© Doris Spiekermann-Klaas

Warum also nutzt Berlin nicht die Chance, hier einen eigenen Weg zu gehen? Wie wäre es, wenn die HU fürs Erste ein Format auflegt, das solche Diskurse entwickelt, erprobt und verstetigt, in denen das intellektuelle Potenzial von Berlins Musliminnen und Muslimen mit der Wissenschaft ins Gespräch gebracht wird? Damit würden die so misstrauisch beäugten islamischen Vereine nicht zu Claqueuren eines Stücks degradiert, an dessen Inszenierung sie ansonsten nicht mitzuwirken haben – entgegen dem Diktum des Korans in Sure 3 Vers 64: „Ihr mit euren Heiligen Schriften, stellt gefälligst Augenhöhe her, wenn ihr miteinander redet!“

In Berlin vorhandene islamwissenschaftliche Expertise nutzen

An interdisziplinärer Expertise fehlt es an den beiden großen Berliner Universitäten schließlich nicht, was etwa die starke Islamwissenschaft und Koranforschung angeht. Mitwirken könnte auch das HU-Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung oder das Institut für Sozialwissenschaften der HU, das im Lehrbereich Diversity and Social Conflict über exzellent ausgewiesene Wissenschaftlerinnen verfügt.

Warum sich nicht mehr Zeit nehmen und in fünf Jahren statt in fünf Professuren herausfinden, was islamische Theologie zwischen der Stadtgesellschaft Berlins und der internationalen Bühne beizutragen hätte? Warum nicht Zug um Zug Denominationen entwickeln und Professuren arrangieren, die Theologie im islamischen und nicht im protestantischen Sinne stärken, ohne das zu schwächen, was an den Unis schon vorhanden ist? Gefragt ist jetzt schon Forschung an der Schnittstelle von Religion, Migration, Bildung, Gender-, Gewalt- und Rassismusforschung. Damit wären wegweisendere Verbindungen mit islamisch-theologischem Denken möglich als über die Theologisierung der Theologie.

Die islamische Welt könnte neidvoll auf Berlin blicken

„Theologisch“ würde sich dann bei den Berufungen auf eine besondere Vertrautheit mit muslimischen Binnenperspektiven beziehen. Ein Lehrzuchtbesteck wie das nihil obstat (arabisch sulta oder idschaza) – also die Unbedenklichkeitserklärung, wie sie die Kirchen evangelischen und katholischen Theologen erteilen – ist übrigens nicht Teil der islamischen Tradition, sondern die Plausibilität (hudscha) aus der erkennbaren Selbstverortung der Person heraus (istiqama).

Es wäre diese Verhandlung religiöser Deutungshoheit an den Spannungsfugen zwischen Tradition und Situation, Text und Geist sowie Kollektiv und Subjekt, die andere aus der islamischen Welt neidvoll auf eine Berliner Theologie blicken lassen würden. Und nur durch so ein eindeutig attraktives Profil würden sich die Studierenden in neues Denken entführen lassen, das man in den Seminaren haben möchte. Mit einer Theologie von vorgestern lockt man die Falschen an.

Der Autor ist Professor für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Islam an der Universität Frankfurt am Main und Sprecher des Fachverbands Deutsche Gesellschaft für islamisch-theologische Studien, in dem sich die bestehenden universitären Islam-Zentren organisieren.

Den Bericht über einen Besuch am Berliner Al-Mustafa Institut, dass bereits einen Bachelor in islamischer Theologie anbietet, lesen Sie hier.

Von Harry Harun Behr

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