Bundes-Institut für Migrationsforschung gefordert: Mit den Flüchtlingen kamen die Fragen
Information und Beratung in der Flüchtlingskrise: Der Bedarf wächst unaufhörlich. Nun soll der Bund ein Institut finanzieren, fordern Migrationsforscher.
Die Nachfrage nach wissenschaftlicher Expertise ist groß. So groß, dass Experten jetzt die Gründung eines bundesfinanzierten Instituts für Migrationsforschung fordern. Denn mit den Flüchtlingen kamen die Fragen. Und nicht nur die Bundesregierung hat enormen Beratungsbedarf, wenn es um Zuwanderung geht, sondern auch Bürgermeister, Kirchen oder Schulleiterinnen.
Naika Foroutan, Professorin für Integrationsforschung und Gesellschaftspolitik an der Berliner Humboldt-Universität und eine der Initiatorinnen des Instituts- Projekts, ist täglich mit den Problemen konfrontiert. Von ihr erhofft sich die Politik Informationen – manchmal geht es dabei nur um Daten, oft auch ums große Ganze. Wie viele Migranten leben in Deutschland, wie viele sind neu hinzugekommen und wie sind sie bundesweit verteilt? Und bleibt Deutschland noch Deutschland?
Vorhandene Institute sind meist prekär finanziert
Unterstützung gewährt bislang etwa das Berliner Institut für Migrations- und Integrationsforschung (BIM) der Humboldt-Uni, dessen stellvertretende Direktorin Foroutan ist, und das Osnabrücker Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS). Warum dann der Ruf nach einem weiteren Institut? Die wenigen vorhandenen Forschungseinrichtungen seien „größtenteils marginalisiert und prekär finanziert“, sagt Foroutan. Das 2014 gegründete BIM wird für fünf Jahre mit 1,8 Millionen Euro von der Hertie- Stiftung gefördert. Doch selbst wenn es zu einer Verstetigung an der HU kommt: Die meisten Professuren dort sind an anderen Instituten verankert und können nur einen kleinen Teil ihrer Arbeitszeit den BIM-Projekten widmen. Ebenso ist es am IMIS.
Gewünscht ist Grundlagenforschung - statt reiner Konfliktberatung
Das bundesgeförderte Institut für Migrationsforschung, das Foroutan und Mitstreiter wie der Sozialgeograf Andreas Pott vom IMIS und der Konfliktforscher Andreas Zick von der Uni Bielefeld fordern, soll den universitären Experten und ihren Projekten in erster Linie eine „zentrale Plattform“ bieten. Gebraucht werde „ein Ort der Vernetzung, der europaweit vergleichende Datensätze zur Migrationsforschung sammelt und zugänglich macht und gleichzeitig international konkurrenzfähige Grundlagenforschung ermöglicht“, sagt Foroutan. „Wir brauchen eine Wissenschaftlichkeitsoffensive“, ergänzt Pott. Derzeit drehe sich vieles im Fach um akute Konfliktberatung. Jetzt sei es an der Zeit, dass die deutsche Migrations- und Flüchtlingsforschung entsprechend der großen gesellschaftlichen Relevanz des Themas dauerhaft etabliert werde.
Wie bringt man die Bundesregierung dazu, Geld zu geben?
Aber wie bringt man die Bundesregierung dazu, ein solches Institut zu finanzieren? Der Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete und Haushälter Swen Schulz will seine Partei und die Unionsfraktion dazu bewegen, einen gemeinsamen Gründungsantrag einzubringen. „Eine weitere Variante wäre, dass die zuständige Ministerin erklärt: Gute Idee, das möchte ich machen“, sagt Schulz. Bei einem anderen zentralen Thema, der Digitalisierung, sei es genauso gelaufen. Tatsächlich hat Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (CDU) insbesondere zu den gesellschaftlichen, kulturellen und sozialen Auswirkungen der Digitalisierung großen Forschungs- und Beratungsbedarf erkannt – und gehandelt. Sie stellt für ein nationales Internet-Institut 50 Millionen Euro für die ersten fünf Jahre in Aussicht. Berlin ist neben vier weiteren Standorten noch im Rennen. Warum sollte das nicht auch für das „Mega-Thema“ Migration funktionieren, fragen Foroutan und Pott.
Die Integrationsbeauftrafte Özoguz ist dafür
Die bislang prominenteste Unterstützung für das Migrations-Institut kommt von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD). Zwei Mal hat sie sich im Kanzleramt mit den Initiatoren getroffen. Es sei „gerade jetzt unverzichtbar, die vielfältigen Ansätze der Migrations- und Integrationsforschung in einem klugen Gesamtkonzept zusammenzuführen“, sagt Özoguz.
In der Union stimmt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Michael Kretschmer (CDU) zu, dass „in allernächster Zeit etwas passieren muss“. Ob man dazu ein neues Institut gründen müsse, „oder ob wir die vorhandenen Stärken anders bündeln, darüber wird zu reden sein“, sagt Kretschmer.
Berlin steht für die Kofinanzierung bereit, sagt Scheeres
Eine Finanzierungszusage gibt es immerhin von der Berliner Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD), die das Projekt für „hervorragend“ hält: „Es passt absolut in die Zeit, dieses Forschungsfeld ist aktuell relevanter denn je.“ Das Land stehe für die Kofinanzierung bereit. Özoguz mahnt das Land, auch nach der Abgeordnetenhauswahl daran festzuhalten.
Das BMBF bestätigt Kontakte mit der BIM-Leitung, will sich zu Details aber nicht äußern. Ein Ministeriumssprecher verweist ansonsten auf ein größeres Forschungsprogramm, das noch in diesem Jahr ausgeschrieben werde. Zu hören ist, dass sich ab Oktober bis zu einem Dutzend Verbundprojekte aus der Migrationsforschung um zehn bis zwölf Millionen Euro für drei Jahre bewerben können.
Ein Forschungsprogramm vom BMBF? Nicht nachhaltig!
Das Geld sei selbstverständlich willkommen, sagt Naika Foroutan. „Doch auf die Nachhaltigkeitsbedürfnisse der Migrationsforschung antwortet das Programm nicht.“ Jede erfolgreiche Antragstellerin könne damit maximal dreieinhalb Stellen für drei Jahre schaffen – und damit temporäre Jobs, mit denen sich ausgewiesene Migrationsexperten nicht in Deutschland halten ließen.
Wie das Zentral-Institut aussehen könnte und wie es ausgestattet sein soll, will die Initiativgruppe beim nächsten Treffen im November im Kanzleramt diskutieren. Eine Idee fände schon Anklang, sagen Foroutan und Pott. Es könnte eine Art Wissenschaftskolleg für Migrationsforschung werden, für das Forschende für ein Jahr von ihren Unis freigestellt werden. Doch auch die bestehenden Institute müssten gestärkt werden. In dem neuen Zentrum sollten sie sich austauschen und ihre Forschungsergebnisse an die Politik und die Zivilgesellschaft vermitteln. Welche Stadt in Deutschland könnte geeigneter dafür sein als Berlin?
Assimilation oder postmigrantische Gesellschaft?
Erste Überlegungen gibt es auch zur Ausrichtung des Zentralinstituts. Sie sehe es keineswegs als dessen Aufgabe, die Gesellschaft vom Segen und Nutzen der Zuwanderung zu überzeugen, sagt Foroutan. Es gehe nicht um ein „normatives Narrativ“, das über Richtig und Falsch aufklärt. „Sondern darum, die Fragen, die uns die Gesellschaft stellt, methodisch fundiert zu beantworten.“
Notwendig sei es auch, die Parteien im aktuellen Wissenschaftsstreit zwischen Assimilationisten und Postmigrantisten in einen Dialog zu bringen. Die einen glauben, Integration sei nur möglich, wenn sich Zuwanderer weitgehend an die Mehrheitsgesellschaft anpassten. Die anderen gehen wie Foroutan davon aus, dass Deutschland eine Einwanderungsgesellschaft ist, die sich durch die Migranten schon verändert hat. Anpassen müssten sich daher alle Seiten, nicht nur die Migranten. Gemeinsam zu arbeiten, könnte helfen, „die Lücke in den eigenen Forschungsperspektiven zu erkennen und sie mit den Methoden der anderen zu schließen“, sagt Foroutan. Auch dafür brauche man ein zentrales Institut.
Der Text erschien in der "Agenda" vom 20. September 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.