zum Hauptinhalt
Klare Haltung. Markus Dröge ist seit 2009 Bischof der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.
© Thilo Rückeis

Interview mit Bischof Dröge: „Man darf Muslime nicht ständig unter Druck setzen“

Toleranz und Stoppsignale: Ein Gespräch mit dem evangelischen Bischof Markus Dröge über sein Verhältnis zum Islam, das Verbot der Vollverschleierung und das Reformationsjubiläum.

Herr Bischof, wann haben Sie zuletzt einen Imam getroffen?
Das war bei der Gedenkfeier für die Opfer der Anschläge von Paris im vergangenen Jahr. Ich bin nicht nur mit Imamen im Kontakt, sondern auch mit anderen Muslimen, etwa mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, und mit verschiedenen Berliner Moscheen.

Verändern die Gewalttaten mit teils islamistischem Hintergrund die Sicht der Deutschen auf den Islam?
Natürlich. Viele fühlen sich bedroht und überlegen, ob der Islam Gewalttaten und Extremismus fördert. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir mit unseren muslimischen Gesprächspartnern in Kontakt bleiben und zeigen, dass wir gemeinsam gegen jede Form von Gewalt sind. Muslime und Christen glauben an einen barmherzigen Gott, Juden gleichfalls. Wir stehen zusammen für eine Kultur der Barmherzigkeit.

Ist die Forderung an muslimische Organisationen legitim, sich vom Terror zu distanzieren? Oder fördert sie das Misstrauen gegen Muslime?
Die Forderung ist legitim. Man darf aber die Muslime nicht ständig unter Druck setzen. Diejenigen, die sich vom Terror distanzieren, müssen auch die Unterstützung der Mehrheitsgesellschaft spüren.

Kritiker vermissen bei den Islamverbänden, mit denen der Staat verhandelt, aufgeklärtes Bewusstsein. Teilen Sie die Kritik?
Wir müssen in allen Verbänden diejenigen stärken, die sich so in unsere Gesellschaft einfügen wollen, wie es die christlichen Kirchen und andere Religionsgemeinschaften getan haben. Da kommen wir sehr schnell zum Religionsverfassungsrecht in Deutschland, das auf die Kooperation zwischen Staat und Religionen setzt. Es ist ein Erfolgsmodell und hat einen großen Anteil daran, dass es hier kaum fundamentalistische Christen gibt. Dieses System müssen wir jetzt öffnen für die Muslime.

Sind Sie sicher, dass die Muslime überhaupt in diesen Dialog und dieses Rechtssystem hineinwollen?
Nicht alle. Aber ich kenne genug, die das wollen. Sie möchten hier integriert werden, wollen hier eine Theologie entwickeln und ein System, mit dem sie selbst ihre Imame bezahlen können.

Der größte Moscheeverband in Deutschland ist die Ditib. Sie ist von der Religionsbehörde in Ankara abhängig. Wie soll man damit umgehen?
Diese Abhängigkeit ist seit Jahren bekannt. Die Ditib ist im Moment dabei, deutlich zu machen, dass sie sich hier in Deutschland unabhängiger von der türkischen Regierung organisieren will. Voraussetzung wäre vor allem, dass sie Imame haben, die in Deutschland ausgebildet wurden.

Etliche Politiker fordern nach der harten Reaktion der türkischen Regierung auf den Militärputsch, die Gespräche mit Erdogan-freundlichen Islamverbänden auf Eis zu legen. Ist das sinnvoll?
Davon halte ich nichts. Gerade jetzt müssen wir den Kontakt halten.

Sie haben in unserem Gespräch viele Einladungen an den Islam ausgesprochen, aber nicht einmal die Einhaltung von Regeln verlangt. Setzen Sie auch Stoppsignale?
Auf jeden Fall. In unserer Gesellschaft gelten die Menschenrechte, inklusive der Gleichheit von Mann und Frau. Das betone ich in allen Gesprächen und Vorträgen. Wir setzen auch ein Stoppsignal, wenn es darum geht, die Freiheit zu verteidigen, die eigene Religion wählen zu können. Zum Beispiel, wenn muslimische Flüchtlinge zum Christentum wechseln wollen.

Weil wir über Stoppsignale gegenüber Muslimen gesprochen haben: Sollte der Staat die Verschleierung des Gesichts von Frauen aus religiösen Gründen verbieten?
Ich sehe Burka und Nikab sehr kritisch. Wir sind eine Gesellschaft, die davon lebt, dass wir miteinander kommunizieren. Wenn ich Ihren Gesichtsausdruck nicht sehe, Frau Keller, kann ich ihn auch nicht interpretieren. Zur Kommunikation gehört für mich, das Gesicht zu zeigen. Burka und Nikab können zudem nicht eindeutig religiös begründet werden, wie mir Islamwissenschaftler sagen. Es sind Traditionen, die vielfach unabhängig vom Islam existieren. Der Islam fordert nicht generell eine Gesichtsverschleierung.

Ein Verbot wäre also richtig?
Ich glaube nicht, dass ein generelles Verbot die richtige Form der Auseinandersetzung ist. In einer freien Gesellschaft muss eine Person auch voll verschleiert durch einen Park laufen dürfen. Man kann ein Verbot nur funktional begründen. So kann es zum Beispiel nicht angehen, dass jemand ein Auto steuern will, aber seine Sicht einschränkt. Das gefährdet andere. Es kann nicht sein, dass jemand sein Gesicht nicht zeigt, wenn er zum Demonstriere</SB>n geht oder dass jemand voll verschleiert eine Schule besuchen will, denn der Schleier verhindert Kommunikation und ganzheitliche Bildung.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat also richtig gehandelt?
Ich finde seine Zielrichtung richtig, ein Verbot der Vollverschleierung an bestimmte Funktionen zu knüpfen. Aber die ganze Debatte sieht für mich sehr nach Symbolpolitik aus. Das ist nicht das, was wir zum jetzigen Zeitpunkt zwingend brauchen. Wir müssen uns mit den echten Integrationsproblemen befassen.

Zum Beispiel?
Ich erwarte etwa, dass das schöne Integrationskonzept, das der Berliner Senat entwickelt hat, umgesetzt wird.

Vom Bekenntnis zur Tat?
Von der Willkommenskultur zur Willkommensstruktur! Es muss möglichst schnell die Frage des Wohnraums geklärt werden – für die sozial Schwächeren und für die Flüchtlinge. Die Hangars in Tempelhof zum Beispiel sind ausgelegt für einen kurzfristigen Aufenthalt. Die Menschen sind aber teilweise schon viele Monate dort. Es müssen genügend Plätze in den Kindergärten und Schulen geschaffen werden. Daran wird bereits gearbeitet, aber das muss stringent weiterverfolgt werden.

Was erwarten Sie von eineas erwarten Sie von einemm neuen Berliner Senat?
Dass wir eine arbeitsfähige Koalition bekommen, die sich für eine offene Gesellschaft einsetzt.

Das schließt eine Koalition mit der AfD aus?
Wir Bischöfe geben keine Wahlempfehlungen ab. Aber ich empfehle jedem Berliner, sehr genau hinzuschauen, ob die Partei, die er wählt, Konzepte für das hat, was sie mit Parolen propagiert. Und ob sie von Persönlichkeiten vertreten wird, denen man aufgrund der bisherigen Erfahrung und Bilanz ihres politischen Tuns zutraut, Konzepte tatsächlich umzusetzen.

Haben Sie eine Empfehlung für den Kirchentag 2017 in Berlin? Soll die AfD auf Kirchentagspodien eingeladen werden?
Man darf AfD-Politiker nicht prinzipiell ausgrenzen. Wir müssen uns sachlich auseinandersetzen, auch wenn das schwer fällt mit Politikern, die stark auf Emotionen setzen. Aber ich glaube immer noch an die Kraft der Aufklärung und daran, dass man mit kritischen Rückfragen und besseren Argumenten Menschen überzeugen kann.

Am 31. Oktober wird das 500. Reformationsjubiläum eröffnet. Was hat uns Luther heute noch zu sagen?
Wie lange darf ich reden?

Was sind die wichtigsten Botschaften?
Luther war ein Mensch, der aus seinem innersten Glauben heraus Freiheit gewonnen hat, um Verantwortung zu übernehmen und die Gesellschaft zu gestalten. Solche Menschen brauchen wir auch heute.

Luther war getrieben von Höllenangst. Ist das die Freiheit, die wir heute meinen?
Mit seiner Höllenangst war er Kind seiner Zeit. Aber diese Angst hat er ja gerade überwunden durch seine Erkenntnis, dass Gott ihn liebt, egal, was er leistet oder ist. Deswegen konnte er so befreit vor den Autoritäten der damaligen Gesellschaft auftreten. Das brauchen wir gerade heute, wo sich Menschen erneut von Ängsten derart treiben lassen, dass sie weltweit irrationale Lösungen propagieren.

Was kann ein Trump-Anhänger von Luther lernen?

Luther kann ihn von der Angst befreien, dass ihn die Probleme, die ihm Angst machen, unterpflügen. Er braucht sich nicht in populistische Scheinlösungen zu retten, sondern kann mit einem freien, rationalen Blick und einer biblisch fundierten Ethik sagen: Das sind die Probleme, und das bin ich, und das kann ich zur Problemlösung beitragen.

Das Gespräch führten Claudia Keller und Hans Monath.

Zur Startseite