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Samenzellen aus der Retorte könnten unfruchtbaren Männern helfen.
© picture-alliance / dpa

Erfolg bei Zeugung mit Spermien aus der Retorte: Werden Männer entbehrlich?

Chinesische Forscher züchten Spermien aus embryonalen Stammzellen und zeugen damit gesunde Mäuse. Eine Technik, die den Mann überflüssig machen könnte.

Aus embryonalen Stammzellen der Maus haben chinesische Forscher erstmals Spermien gezüchtet und gesunde Mäuse gezeugt. Sollte es gelingen, die Prozedur mit menschlichen Stammzellen zu wiederholen, könnte damit nicht nur Männern geholfen werden, in deren Hoden keine befruchtungsfähigen Spermien reifen. Unter Umständen könnten Frauen damit eigene Spermien herstellen und ohne männliches Zutun genetisch verwandte Töchter zeugen.

Rezeptur für Retortensperma

Seit einigen Jahren versuchen Forscher, aus embryonalen Stammzellen Ei- und Samenzellen zu züchten. Theoretisch sollte das möglich sein, weil die Alleskönnerzellen nahezu jedes menschliche Gewebe bilden. Doch in der Petrischale die Bedingungen nachzustellen, die in Hoden und Eierstöcken aus Vorläuferzellen die Keimzellen heranreifen lassen, stellte sich als besonders schwierig heraus. Vor allem das komplexe Halbieren des Chromosomensatzes nachzuahmen, die Meiose, gelang nicht. Das Forscherteam um Jiahao Sha von der Medizinischen Universität Nanjing scheint diese Hürde nun überwunden zu haben, zumindest bei Mäusen.

Mit Hilfe eines Molekül-Cocktails verwandelten die Forscher die embryonalen Stammzellen zunächst in Vorläuferzellen für Spermien. In einem zweiten Schritt badeten sie diese Urkeimzellen dann in Testosteron und betteten sie zusätzlich in Hodengewebe von Mäusen ein. Mit dem daraus sprießenden Sperma konnte Shas Team dann Eizellen befruchten und sogar gesunde Mäuse zeugen, schreiben die Forscher im Fachblatt „Cell Stem Cell“.

Erbgut der künstlichen Spermien offenbar normal

„Entscheidend ist, ob diese Technik verlässlich genug ist, um genetisch normale Nachkommen zu erzeugen“, sagt Terry Hassold, Molekularbiologe an der Washington State University. Zwar hätten die chinesischen Kollegen eine Reihe von Tests durchgeführt, um das zu belegen. Doch weitere Untersuchungen seien nötig, ob die Meiose normal ablaufe und die Spermien die richtige Anzahl von Chromosomen haben. Sollten andere Labors bestätigen, dass die Technik funktioniert, könne das allerdings die Behandlung von Unfruchtbarkeit grundlegend verändern. „Befruchtungskliniken werden sich darauf stürzen.“

Allerdings dürfte es noch sehr lange dauern, bis das Verfahren mit menschlichen Stammzellen wiederholt und in die Nähe einer Anwendung gebracht werden kann, sagt der Berliner Reproduktionsmediziner Heribert Kentenich. „Es muss sichergestellt sein, dass das Aktivitätsmuster der Spermiengene durch das Verfahren nicht verändert wird und auch die nächste Generation Mäuse gesund ist, bevor es beim Menschen einsetzbar ist.“

Einsatz künstlicher Samenzellen wären in Deutschland legal

Außerdem muss das Verfahren noch weiterentwickelt werden. Denn für die Behandlung männlicher Unfruchtbarkeit macht es keinen Sinn, irgendeine embryonale Stammzelllinie als Ausgangspunkt einer Spermienzucht zu wählen: Die embryonalen Zellen wären genetisch genauso verschieden wie die Spermien irgendeines Samenspenders. Deshalb arbeiten die chinesischen Forscher bereits daran, die Prozedur mit einem besonderen Typ von Stammzellen zu wiederholen, ips-Zellen, die aus Haut oder anderen Gewebeproben eines Patienten hergestellt werden können. Spermien, die aus solchen ips-Zellen gezüchtet werden, wären von natürlichen Samenzellen des Patienten nicht zu unterscheiden.

Ob die künstlichen Spermien nun aus ips- oder embryonalen Stammzellkulturen stammten – zulässig wäre beides nach dem deutschen Embryonenschutzgesetz, sagt Jochen Taupitz, Jurist und Mitglied des Ethikrates. Zwar sei es verboten, menschliche Embryonen nur für Forschungszwecke herzustellen. Ist das Ziel aber, eine Schwangerschaft herbeizuführen, wäre das Verfahren erlaubt.

Auch Erbgutveränderungen wären machbar

Nach geltendem Gesetz wäre es sogar möglich, die Stammzellen gentechnisch zu verändern, um beispielsweise eine Erbkrankheit zu tilgen, bevor sie anschließend in Samen- oder Eizellen umgewandelt werden. „Zwar stellt das Embryonenschutzgesetz das Verändern von Keimzellen unter Strafe“, sagt Taupitz. „Aber wenn die Genveränderung zu einem Zeitpunkt erfolgt, wo die Zelle noch gar keine Keimzelle war, also als Stammzelle, dann ist das vom Gesetz nicht ausdrücklich geregelt.“ Nicht umsonst fordern Taupitz und der Ethikrat schon seit einiger Zeit, die neuen Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin gesellschaftlich zu diskutieren und die sich aus dem technologischen Fortschritt ergebenden Lücken in dem inzwischen fast drei Jahrzehnte alten Gesetz zu schließen.

Prinzipiell würde die Technik der Chinesen es Frauen zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte ermöglichen, ohne männliches Beiwerk Kinder zu zeugen. Dazu müsste nur eine ips-Zellkultur aus Hautzellen der Frau hergestellt werden, aus der sich dann Spermien züchten ließen, mit denen sie die eigenen Eizellen befruchten könnte. Auch das wäre nach deutschem Recht zulässig.

Heribert Kentenich würde das trotzdem nicht machen. „Als Reproduktionsmediziner verlassen wir oft angestammte Pfade und behandeln lesbische Paare oder alleinstehende Frauen“, sagt der Chef des Fertilitycenters Berlin. „Wenn aber eine Frau unbedingt Spermien aus den eigenen Hautzellen herstellen lassen wollte und Samenspende ablehnt, würde ich das erst einmal psychologisch hinterfragen, ob das ein nachvollziehbarer Wunsch ist.“ Dass es Kollegen geben könnte, die das anders handhaben würden, sei nicht ausschließen. „Irgendwo findet sich immer jemand, der für jeden Unsinn zu haben ist.“

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