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In Großbritannien sollen Forscher künftig das Erbgut menschlicher Embryonen gezielt verändern dürfen.
© dpa

Genomchirurgie bei Embryonen: Kühle Abwägung statt moralischer Entrüstung

Am Erbgut menschlicher Embryonen herumzuschneiden, klingt nach Science Fiction. Doch was britische Forscher jetzt vorhaben, sollte man nicht gleich verdammen, meint unsere Autorin. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jana Schlütter

Mithilfe von Gen-Scheren werden Forscher in London bald am Erbgut menschlicher Embryonen herumschneiden. Die zuständige Behörde hat es abgesegnet, als erste weltweit. Sind die Briten verrückt geworden? Im Gegenteil, die Entscheidung zeugt von kühler Abwägung. Im Vereinigten Königreich gelten keine vorgestanzten Denkschablonen moralischer Entrüstung. Die Balance zwischen Ethik und dem Ehrgeiz, sich neue Forschungsgebiete zu erschließen, wird immer wieder aufs Neue austariert.

Die Forscher um Kathy Niakan wollen keine Designerbabys schaffen. Es geht ihnen auch nicht darum, Erbkrankheiten in der Petrischale zu „heilen“ und irgendwann genmanipulierte Embryonen von einer Frau austragen zu lassen. Beides wäre ein Dammbruch – ein Eingriff in die Keimbahn des Menschen, den man nicht rückgängig machen kann, weil die Veränderung an Kinder und Kindeskinder weitergegeben wird. Für einen solchen Schritt ist es viel zu früh, beschlossen internationale Genforscher im Dezember bei einem Gipfeltreffen in Washington. Die Technik sei zu ungenau. Vor allem jedoch müssten sich Forscher, Gesellschaft und Gesetzgeber – die Weltgemeinschaft – zuvor über die Rahmenbedingungen einigen. Grundlagenforschung dagegen solle möglich bleiben. Forschung, wie sie bald im Labor von Niakan beginnt.

Menschliche Fortpflanzung ist nicht effektiv

Niakan und ihre Kollegen wollen die allerersten Stadien menschlicher Entwicklung besser verstehen – und damit die Ursachen für Unfruchtbarkeit oder wiederholte Fehlgeburten. Wer sich die erste Woche nach der Befruchtung eine Eizelle anschaut, kann sich nur wundern, dass überhaupt Kinder geboren werden. Aus einer einzelnen Zelle werden 250. Manche gehören zu der Hülle, die den Embryo umschließt. Sie ist lebenswichtig, denn daraus wird die Plazenta. Wieder andere bilden den Eisack. Und der Rest sind jene Zellen, aus denen sich der winzige Körper entwickelt. Jede einzelne Ausdifferenzierung wird durch Gene gesteuert und kann schiefgehen. Die Hälfte der Embryonen überlebt die erste Woche nicht, schätzen Forscher. Nur ein Viertel übersteht die ersten drei Monate der Schwangerschaft. Menschliche Fortpflanzung ist nicht effektiv.

Einige Gene sind für die gesunde Entwicklung besonders wichtig, vermutet Niakan. Um das zu beweisen, will sie mithilfe der Gen-Scheren eines nach dem anderen ausschneiden und beobachten, was dann passiert. Nach sieben Tagen werden die Forscher den jeweiligen Embryo abtöten und seine Struktur analysieren. Es werden nur überzählige Embryonen aus Kinderwunschkliniken verwendet, die Paare ausdrücklich der Forschung gespendet haben. Oft sind es Paare, die kinderlos geblieben sind. Die Keimbahn wird nicht angetastet.

Wir dürfen uns der Debatte um die Genchirurgie nicht verschließen

So gewonnene Erkenntnisse sind Basiswissen – Fakten, die man nicht in Tierversuchen sammeln kann. Möglicherweise versteht man damit besser, welche Nährflüssigkeit Embryonen bei einer künstlichen Befruchtung brauchen. Möglicherweise kann man das wiederholte Hoffen und Bangen bei den Kinderwunschbehandlungen verkürzen, indem man mithilfe der Präimplantationsdiagnostik einen Embryo auswählt, der sich besser einnisten kann. Verschiebt das die rote Linie? Das kommt auf die Definition an. Umso wichtiger ist es, dass wir uns der Debatte rund um die Genchirurgie beim Menschen nicht durch eine allzu vehemente Abwehrhaltung verschließen.

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