Künstliche Befruchtung: Vom Wunsch zur Wunde
Die moderne Fortpflanzungsmedizin wird immer erfolgreicher, aber sie kann längst nicht jedem helfen. Bleibt der Kinderwunsch unerfüllt, kann das seelische Folgen haben.
Zu Beginn der fünf Jahre waren Andrea und Thomas noch ganz entspannt. Sie verzichteten auf Verhütung und ließen es drauf ankommen. Aber es klappte einfach nicht mit dem Kind – und die beiden wurden immer besorgter. Sie suchten Rat in einer fortpflanzungsmedizinischen Praxis, unterzogen sich sechs Mal den Prozeduren einer künstlichen Befruchtung. Erfolglos. „Wenn es nicht klappt und nicht klappt und nicht klappt, wenn es immer nur kompliziert ist und das über einen langen Zeitraum, dann verliert man ein bisschen vom Vertrauen ins Leben“, sagt Thomas heute, im Abstand von einigen Jahren. Er ist einer von vielen ungewollt Kinderlosen, die Millay Hyatt für ihr gerade erschienenes Buch „Ungestillte Sehnsucht. Wenn der Kinderwunsch uns umtreibt“ (Ch. Links Verlag) befragt hat.
Vielen Paaren, bei denen ein Partner unfruchtbar ist, kann heute geholfen werden. In Deutschland erfüllen sich jedes Jahr 8000 Elternpaare ihren Kinderwunsch mithilfe moderner Technik. Jedes 80. Kind verdankt hier sein Leben der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle im Labor eines Fortpflanzungsmediziners. Weltweit seien inzwischen fünf Millionen Menschen zur Welt gekommen, die ihr Leben einer Zeugung im Reagenzglas („in vitro“) verdanken, verkündeten europäische Reproduktionsmediziner jüngst auf einem Treffen in Istanbul. Die Methoden, denen sich die Eltern unterzogen, weil die Kinder nicht von selbst kamen, heißen In-vitro-Fertilisation (IVF) oder Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) (siehe Kasten).
Fünf Millionen Wunschkinder, seit im Jahr 1978 die Engländerin Louise Brown als erstes IvF-Baby das Licht der Welt erblickte. Wunschkinder, die inzwischen teilweise selbst schon Kinder haben. Mit ICSI und Samenspende wurde der Kreis der Paare, denen geholfen werden kann, in den 90er Jahren auf solche ausgedehnt, bei denen es an der Qualität des Samens und damit „am Mann“ liegt. Und mit der (in Deutschland nicht erlaubten) Eizellspende kann heute in vielen Ländern noch mehr Frauen geholfen werden. Die Aufbewahrung tiefgefrorener Eizellen, ob befruchtet oder unbefruchtet (Kryokonservierung), das überwachte Nachreifen von entnommenen Eizellen im Labor (In-vitro-Maturation), das Übertragen nur eines einzelnen Embryos mit der besten Überlebenswahrscheinlichkeit (Single-Embryo-Transfer): Alles Methoden, mit denen die Erfolgschancen für einige Frauen und Paare erhöht, die Risiken aber gesenkt werden können. Und die Medizin entwickelt sich ständig weiter.
So erschien vor zwei Wochen im Wissenschaftsmagazin „Science“ eine Studie, für die Forscher 37 000 Schwangerschaften nach künstlicher Befruchtung ausgewertet hatten. Das Ergebnis: Waren Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib tiefgefroren aufbewahrt worden, so war die Erfolgschance höher. Es kam dann seltener zu Blutungen, Fehl- oder Frühgeburten. Eine mögliche Erklärung, die die Autoren dafür anbieten: Wenn zwischen Befruchtung und Einpflanzung einige Monate liegen, hat die Frau sich von der hormonellen Stimulation erholt, das Ungeborene findet in ihrem Körper „natürlichere“ Verhältnisse vor.
Doch trotz der beeindruckenden Erfolge gibt es immer noch viele liebende Paare, denen nicht geholfen werden kann. Nach wie vor kann nur rund die Hälfte der behandelten Frauen damit rechnen, ihr Wunschkind zu bekommen – meist nach mehreren vergeblichen Versuchen. Die Erfolgsrate der einzelnen Behandlung – Mediziner sprechen von der „Baby take home“-Rate – liegt derzeit zwischen elf und 25 Prozent. „Kratzt man ein bisschen an der Oberfläche, quellen sie nur so hervor, die unerfüllten Kinderwünsche“, schreibt Millay Hyatt in ihrem Buch.
Eine Studie, die auf dem Istanbuler Kongress der Gesellschaft der europäischen Reproduktionsmediziner präsentiert wurde, legt nahe, dass die ungestillte Sehnsucht Frauen psychisch krank machen kann. Die dänische Epidemiologin Birgitte Baldur-Felskov hat die Daten von nahezu 100 000 Frauen ausgewertet, die seit den 70er Jahren wegen ihres Kinderwunsches in Behandlung waren, und sie mit Daten aus dem Danish Psychiatric Central Registry zusammengeführt, in dem Diagnosen und Klinikaufenthalte wegen psychischer Leiden dokumentiert sind. Solch eine Studie ist nur in einem Land wie Dänemark möglich, wo jeder Bürger eine persönliche Identifikationsnummer bekommt und Diagnoseregister zu zahlreichen Krankheiten bestehen.
Das Geschick der Däninnen, die mit Fruchtbarkeitsproblemen ärztlichen Rat gesucht hatten, wurde im Schnitt zwölf Jahre lang weiterverfolgt, entweder bis zum Ende der Studie im Jahr 2008 oder bis zum ersten Kontakt mit einer psychiatrischen Einrichtung. Das Ergebnis: Die Frauen, die kinderlos blieben, hatten ein um 18 Prozent höheres Risiko, wegen einer gravierenden psychischen Störung in ein Krankenhaus zu müssen, meist wegen einer Angststörung oder einer Depression. Sie hatten auch häufiger Probleme mit Alkohol und Drogen oder entwickelten eine Essstörung.
Für dieses Ergebnis wäre auch eine andere Erklärung denkbar: Möglicherweise hatten die jungen Frauen schon länger seelische Probleme und wurden deshalb nicht schwanger. Aber Tewes Wischmann vom Institut für Medizinische Psychologie der Universität Heidelberg hält das für abwegig. Die körperlichen Folgen von Essstörungen, vor allem der Magersucht, führten zwar häufig zu Fruchtbarkeitsproblemen, sagt er. „Doch eine echte psychogene Infertiliät gibt es nur höchst selten.“
Am unerfüllten Kinderwunsch leiden beide Geschlechter – auch wenn die Männer in Studien noch nicht vorkommen. Wischmann und seine Arbeitsgruppe bieten im Rahmen der Heidelberger Kinderwunschsprechstunde schon seit 1989 psychologische Beratung für betroffene Paare an. Dank eines Forschungsverbunds mehrerer Unikliniken, den das Bundesministerium für Bildung und Forschung über etliche Jahre gefördert hat, konnten sie in ihrer Studie zu psychosomatischer Diagnostik und Beratung bei Fertilitätsstörungen auch wissenschaftliche Erkenntnisse über Kinderwunsch-Paare gewinnen.
Im Fokus ihrer Aufmerksamkeit standen dabei die Beziehung der Paare einschließlich möglicher Konflikte, ihre Lebenssituation und Lebenszufriedenheit, aber auch ihre ganz persönlichen Gründe für den Wunsch nach einem Kind. Dabei stellte sich heraus, dass sich Paare, die medizinische Hilfe suchen, weil sich keine Schwangerschaft einstellen will, nicht grundlegend von ihren Altersgenossen unterscheiden. Wie nicht weiter erstaunlich, gewinnt bei den Paaren, die schließlich auf eine IvF zurückgreifen, nach und nach der Wunsch aber immer mehr die Oberhand. Schließlich sind sie es, die schon am längsten gewartet haben – und die bereit sind, viel Zeit, gesundheitliches Wohlbefinden und eventuell auch Geld zu investieren.
Wischmann, der in seinem Buch „Der Traum vom eigenen Kind“ psychologische Hilfen bei unerfülltem Kinderwunsch gibt, unterscheidet idealtypisch Paare mit zwei verschiedenen Vorgeschichten: Die einen haben bisher vor allem im Beruf hart gekämpft. Nun haben sie endlich auch einen Partner, mit dem sie sich ein Kind wünschen, und machen die Erfahrung, auch darum kämpfen zu müssen. Bei den anderen lief bisher alles eher mühelos und wie geplant. Nun setzen sie die Pille ab und machen die Erfahrung: „Die wesentlichen Dinge sind im Leben doch nicht planbar.“
Von rund 1000 Paaren, die Wischmann und seine Arbeitsgruppe in ihre erste Studie aufnahmen, bekamen 377 gezielte psychologische Beratung, 35 Paare machten eine zehnstündige Paartherapie, in der das Kinderthema im Mittelpunkt stand. Die Auswertung ergab, dass beides den Paaren messbar half. Auf die Schwangerschaftsrate hatte es allerdings keinen Einfluss.
Bei der Mehrheit der Paare sei therapeutische Hilfe nicht nötig, betont Wischmann. „Sie verfügen über genügend eigene Ressourcen in ihrem persönlichen Umfeld“, sagt er. Die Ressourcen werden dringend gebraucht. „Das ist die bisher schwerste Krise meines Lebens“, sagt die Hälfte der Frauen, die sich gerade in fortpflanzungsmedizinischer Behandlung befinden. Wischmann findet es wichtig, dass Ärzte, Psychotherapeuten, aber auch Freunde und Familie das nicht einfach abtun. „Für eine Frau, deren Monatsblutung immer wieder nach den Behandlungszyklen einsetzt, ist das schlimm, und auch ihr Partner leidet.“
Die Gefühle fahren Achterbahn, eine Runde dauert vier Wochen. Tröstlich ist allerdings die Erkenntnis, dass die Beziehungen ungewollt Kinderloser genauso dauerhaft sind wie die der Paare, die Eltern werden. „Viele schweißt es sogar zusammen, diese schwierige Zeit gemeinsam zu erleben.“
Einige Punkte helfen dabei, sie heil zu überstehen – auch wenn der gewünschte Erfolg sich schließlich nicht einstellt. Zunächst sollte man sich nicht ausgerechnet in der schlauchenden Behandlungszeit beruflich und privat noch weitere neue Aufgaben aufbürden. „Eine Baustelle genügt“, mahnt der Psychologe und Psychotherapeut. Zweitens: Die Behandlung auf eine bestimmte Zeit oder Anzahl von Zyklen begrenzen. Und drittens, eng damit verbunden: „Ich rate allen Paaren von Anfang an, rechtzeitig einen Plan B auszuarbeiten.“ Für ein Leben ohne (eigene) Kinder.
Auch früher kannte jeder ein paar Menschen, die keine Kinder hatten und doch sehr gern welche gehabt hätten. In den Zeiten vor Louise Brown galt das als Schicksal – wie einige Jahrzehnte zuvor auch die Empfängnis. Doch heute verspricht, wenn es nach den von der Weltgesundheitsorganisation veranschlagten ein bis zwei Jahren ungeschützten Geschlechtsverkehrs nicht klappt, die moderne Fortpflanzungsmedizin Lösungen – notfalls, wie die Eizellspende, auch im Ausland.
Wenn überhaupt, dann hört man von Prominenten solche Geschichten nur anlässlich des Happy Ends, wenn sie sich mit Babybauch oder Kind auf dem Arm präsentieren können. Wischmann kennt auch viele der anderen Paare. „Bei mir sind, anders als bei den Ärzten in unserer Kinderwunschsprechstunde, ja keine Babyfotos an der Wand.“
Buchautorin Millay Hyatt hat den Frauen, die die Sehnsucht nach einem Kind jahrelang umtreibt, die ein ungünstiges Geschick dazu zwingt, jahrelang über einen Wunsch nachzudenken, der anderen von selbst erfüllt wird, eine Stimme gegeben, aus eigener Erfahrung. Sie spricht von einer Grube, in der der Schmerz wohnt. „Dort kann man irgendwann dann auch entdecken: Ich kann, auch wenn dem eine große Trauer vorausgehen würde, ohne eigenes Kind glücklich sein.“
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