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Dem Immunsystem helfen. T-Zellen haben eingebaute molekulare Bremsen. Sie schwächen ihre Angriffskraft. Werden die Bremsen entfernt, können T-Zellen Tumoren besser attackieren. Im Bild greifen T-Zellen (weiß) Krebszellen (gelb) an.
© mauritius images

Krebsmedizin zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Was darf das Leben kosten?

Neue Krebstherapien könnten bald unbezahlbar werden, warnt der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach in seinem neuen Buch. Er prangert vor allem die Goldgräberstimmung der Pharmakonzerne an, beklagt aber auch falsche Anreize im Gesundheitssystem. Doch wer macht eigentlich die Regeln? Ein Kommentar.

Was darf das Leben kosten? Ein zusätzlicher Monat, den man dem Krebs abringt? Ein halbes Jahr? Stellen Sie sich vor, Sie haben Knochenmarkkrebs. Die Krankheit ist so weit fortgeschritten, dass es keine Hoffnung auf Heilung gibt – die Ärzte können nur das Sterben hinauszögern. Sie haben bereits eine Knochenmarktransplantation hinter sich, eine Operation, die nicht jeder überlebt und von der Sie sich nur langsam erholt haben. Kosten: etwa 100 000 Euro. Nun nehmen Sie einen Immunmodulator namens Revlimid. 21 Tabletten pro Monat, der Preis jeder einzelnen liegt über 300 Euro. Nicht jeder Tag ist ein guter Tag. Aber immerhin, Sie leben noch.

50 000 bis 150 000 Euro pro Jahr, solche Summen werden in der Krebsmedizin künftig keine Seltenheit sein. Forscher verstehen inzwischen besser, wie Krebs entsteht. Sie versuchen, gezielt in diese Mechanismen einzugreifen. Die größte Hoffnung ist die Immuntherapie, die selbst ein metastasiertes Melanom und bestimmte Formen von Lungenkrebs kontrollieren kann. Möglicherweise hilft sie auch bei anderen Krebsarten. Die Nachteile: Die Therapie schlägt bisher nur bei jedem Fünften an, dafür hat jeder Dritte Nebenwirkungen. Und in der Pharmaindustrie ist eine Art „Goldgräberstimmung“ ausgebrochen. Die Preise für die Mittel, die ersten stehen in Europa kurz vor der Zulassung, werden horrend sein. Sie können die Gesundheitssysteme sprengen, warnt der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach in seinem Buch „Die Krebsindustrie“.

Pharmaunternehmen haben nicht das Allgemeinwohl im Sinn

England schiebt dem einen Riegel vor. Es gilt eine Obergrenze, bei deren Berechnung die Lebensqualität berücksichtigt wird. Jedes „gute“ gewonnene Jahr darf mit 40 000 Euro zu Buche schlagen, sonst zahlt das staatliche Gesundheitssystem die Behandlung nicht. Das ist brutal, aber transparent. Solche Berechnungen sind hierzulande keine Option, betont Lauterbach. Politisch nicht durchsetzbar, ethisch kaum zu begründen. Rationierung solle es nicht geben. Dabei hat sie längst begonnen, still und leise. Bei einer Befragung von Intensivmedizinern und Kardiologen gaben fast 80 Prozent an, dass sie in den letzten sechs Monaten Patienten Leistungen aus Budgetgründen vorenthalten haben.

Falsche Anreize im Gesundheitssystem beklagt Lauterbach durchaus. An den Pranger stellt er jedoch vor allem die Pharmaunternehmen. Die Preise hätten nichts mit dem tatsächlichen Nutzen zu tun, bei todkranken Patienten würden unrealistische Erwartungen geweckt. Die Preise seien auch nicht mit den Entwicklungskosten zu rechtfertigen, die grundlegenden Entdeckungen machten Forscher an Universitäten. Die Konzerne missbrauchten ihre Marktmacht und manipulierten in den Studien, wo es nur geht.

Nun wird niemand bestreiten, dass die Konzerne ihren Gewinn und nicht das Allgemeinwohl im Sinn haben. Es sind wahrlich keine Chorknaben. Doch wer reguliert sie und macht die Gesetze? Wer lässt zu, dass sie mit ihren Fantasiepreisen durchkommen?

Gesundheitspolitiker sollten Missstände nicht nur benennen, sondern sie beseitigen

Lauterbach schwebt ein europäischer Einheitspreis für neue Medikamente vor, schließlich sei die Zulassung ebenfalls auf europäischer Ebene geregelt. Statt die Mittel möglichst schnell auf den Markt zu bringen, sollten Lebensqualität und Überleben der Patienten in die Prüfung einfließen. Das Patentrecht könne man so verändern, dass nur jene Innovationen besonderen Schutz genießen, die einen grundsätzlich neuen Wirkmechanismus eröffnen. Wie er das durchsetzen will, bleibt sein Geheimnis.

Er verschweigt auch, dass der Einstieg in die „personalisierte Medizin“ in Deutschland mitunter durch eine abstrus anmutende Bürokratie erschwert wird. So erkranken jedes Jahr 70 000 Patientinnen an Brustkrebs. Einem großen Teil von ihnen nützt eine herkömmliche Chemotherapie nichts. Sie erbrechen, verlieren Haare, manche tragen Langzeitschäden davon – für nichts und wieder nichts. Dabei kann man diese Frauen mit einem Gentest erkennen. Er kostet etwa 3000 Euro und wird selbst in England erstattet. Fast zehn Jahre lang hat man international Erfahrungen damit gesammelt, doch hier wägt man immer noch ab. Das grenzt an Körperverletzung.

Ja, es geht einiges schief in der Krebsmedizin. Doch Gesundheitspolitiker wie Lauterbach haben die Macht, Missstände nicht nur zu benennen, sondern sie zu beseitigen. Und irgendwann werden sie wohl eine furchtbare Frage beantworten müssen: Was darf das Leben kosten?

Jana Schlütter

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