Der lange Weg zum Medikament: Die Medizinmacher
Ideen für neue Therapien haben Forscher zuhauf. Doch nur selten wird daraus wirklich ein Medikament. Oft mangelt es an Geld, mitunter aber auch an einer sinnvollen Organisation und Kommunikation. Die Translationsforschung soll das ändern - etwa am Berliner Institut für Gesundheitsforschung.
Am Anfang steht immer der Geistesblitz eines Forschers. Und im Idealfall soll am Ende eine Pille einen Patienten gesund machen. Dazwischen liegt die „Translation“, die Übersetzung medizinischer Forschung in eine Therapie – das heißt gut zehn Jahre Entwicklungsarbeit, unzählige Tests, Zulassungsanträge und hunderte Millionen Euro private und öffentliche Investitionen. Und es entstehen Karrieren wie die von Roland Kreutzer, die 1998 an einem Stehimbiss vor der Universität Bayreuth begann. „Ganz aufgeregt“ las der Molekularbiologe in der Mittagspause einen Artikel im Fachmagazin „Nature“. Dort wurde eine Technik zum Stilllegen von Genen in Fadenwürmern vorgestellt: RNS-Interferenz. „Wenn das beim Fadenwurm funktioniert, dann sollte das auch beim Menschen klappen“, sagten sich Kreutzer und sein Uni-Kollege Stefan Limmer. Zurück im Labor testeten sie die Technik an menschlichen Zellen und nach ein paar Monaten Arbeit fanden sie früher als irgendjemand sonst auf der Welt einen Weg, krank machende menschliche Gene mithilfe der RNS-Interferenz abzuschalten. Die Idee für eine neue Sorte von Medikamenten war geboren.
Euphorisiert von ihrer Entdeckung meldeten sie 1999 das weltweit erste Patent auf RNS-Interferenz am Menschen an und gründeten mit vier Millionen Euro Startkapital im Sommer 2000 die Biotechfirma Ribopharma. Doch inzwischen existiert sie nicht mehr. Stattdessen wird RNS-Interferenz im Ausland zur Therapie weiterentwickelt. Was war passiert? Warum hatte Kreutzers Idee keinen Erfolg?
In Förderanträgen wird gern vom zukünftigen Nutzen für die Medizin geschwärmt
Die Umsetzung biomedizinischer Forschungsergebnisse in Therapien ist kein Automatismus. Im Gegenteil, Forscherträume platzen viel häufiger, als dass sie Realität werden. Betrachtet man nur solche Ansätze, die wenigstens so vielversprechend sind, dass sie in Zellkulturen und Tierexperimenten getestet werden, so schafft es von tausend bestenfalls einer in die klinische Praxis. Wie viele potenziell gute Forscherideen gar nicht erst aufgegriffen und weiterentwickelt werden, weiß indes niemand genau. Zwar weisen Wissenschaftler in ihren Förderanträgen gern darauf hin, dass aus dem Projekt neue Krebs-, Diabetes- oder sonstige Therapien erwachsen könnten. „Aber diese Fernziele werden selten ernsthaft genug verfolgt“, sagt Georg Duda vom Zentrum für Regenerative Therapien an der Charité Berlin. „Weil oft nicht überlegt wird, ob zum Beispiel die Anzahl der Patienten mit dieser Krankheit überhaupt ein für Pharmafirmen interessanter Markt wäre und ob die neue Therapie bezahlbar wäre.“ Der Spaß des Erfindens und Entdeckens sei groß, aber dann müsse das Projekt jemand übernehmen, der weiß, wie man es in die Realität bringt. „Doch dieser Jemand schaut viel zu selten vorbei.“
Um diesen Transfer zu verbessern, wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Translationsforschungsinstitute eingerichtet. Dazu gehört auch das vom Max-Delbrück-Centrum in Berlin-Buch und der Charité getragene Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIG; wichtige Fakten zum BIG, das sich selbst als „Berlin Institute of Health“, BIH, bezeichnet finden Sie hier). Manche sprechen gar von einer „Reformbewegung“ in der biomedizinischen Forschung, die Innovation beflügeln soll. Doch welche Anreize es braucht, damit Forscher, Ärzte, Investoren und Industrie produktiver zusammenarbeiten, weiß niemand so recht. „Da steht die Forschung noch am Anfang“, sagt Dietmar Harhoff vom Münchner Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb. Das liege auch daran, dass sich Erfolg nur schwer messen lässt. „Über einen Zeitraum von 20 oder 30 Jahren kann man sehen, ob die öffentliche Förderung auch einen gesellschaftlichen Ertrag bringt“, sagt Harhoff, der die Expertenkommission Forschung und Innovation der Bundesregierung leitet. Beispielsweise lasse sich zeigen, dass neue Therapien bei Herzerkrankungen dazu beigetragen haben, dass die Lebenserwartung in vielen Ländern gestiegen ist. Aber eine kurzfristige Wirkungsmessung, wie sie für die Evaluation der Arbeit einzelner Institute nötig ist, sei schwierig.
„Translation darf nicht nur ein Slogan sein“, sagt Duda. „Nur weil ein Grundlagenforscher und ein Arzt miteinander reden, handelt es sich noch nicht um Translationsforschung.“ Nur weil ein Forscher viele Patente schreibt, heißt das nicht, dass seine Therapieideen die klinischen Tests überstehen. Und nur weil es eine Therapie bis zur Zulassung schafft, behauptet sie sich noch lange nicht auf dem Markt.
Wissenschaftler sollen Labor und Klinik gleichermaßen kennen
Peter Biegelbauer vom Austrian Institute of Technology und der Universität Wien hat verschiedene Translationsprojekte in Deutschland und Österreich analysiert. Die größten Probleme gebe es an den Übergabestellen zwischen öffentlichen Instituten und privaten Firmen, meint der Politikwissenschaftler. Das liege vor allem an den unterschiedlichen Anreizsystemen, Normen und Karrierewegen. „Bei Forschern ist die Anzahl der Publikationen für ihren Erfolg entscheidend, bei Pharmamanagern sind es Umsatzzahlen“, sagt Biegelbauer. „Und die Ministerien, die Translationale Medizin fördern, sind für Forschung oder für Gesundheit oder für Wirtschaft zuständig. Sie haben jeweils ihre eigenen Ziele, sodass unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden.“
Neue Anreizsysteme zu schaffen, ist jedoch schwer. Bei dem inzwischen eingestellten Translationsprojekt Oncotyrol in Innsbruck hatten die Organisatoren versucht, Firmen und Forscher auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören, indem jedes Projekt je zur Hälfte mit öffentlichen und privaten Mitteln finanziert wurde. „Der Wissenstransfer konnte trotzdem nicht wirklich gesteigert werden“, sagt Biegelbauer.
Georg Duda von der Charité will einen anderen Weg gehen. Medizinische Grundlagenforscher sollen von Anfang an über die Grenzen ihres Fachs hinausdenken lernen und mehr mit Experten aus der Industrie, von Krankenkassen und mit Patientenvertretern zusammenkommen. „Wir wollen ein Grundgefühl dafür vermitteln, was für eine erfolgreiche Translation nötig ist und wie man sie in die Wege leitet.“ Dafür setzt er auf „Clinical Scientists“, die sowohl das Labor als auch den Klinikbetrieb kennenlernen.
Forscher sind keine Unternehmer - oder wollen es nicht sein
Die Forderung, Grundlagenforscher stärker in die Pflicht zu nehmen, damit sie aus ihren Ergebnissen „etwas machen“, hält Harhoff hingegen für „aberwitzig". „Sie wollen Wissenschaft betreiben. Nur wenige sind unternehmerisch begabt, und selbst wenn sie es sind, wollen sie noch lange nicht als Unternehmer agieren.“ Er plädiert dafür, Resultate aus der Grundlagenforschung im Team aufzugreifen und weiterzutragen.
Wobei es nicht jedem Grundlagenforscher an unternehmerischem Bewusstsein mangelt. Einige gründen sogar Firmen in Serie. Auch Roland Kreutzer aus Bayreuth hatte schon länger überlegt, die Uni zu verlassen und sich selbstständig zu machen. Was fehlte, war Geld. Das ist durchaus typisch für Deutschland. Während in den USA 2011 über drei Milliarden Dollar Risikokapital in Biotechunternehmen investiert wurden, waren es hierzulande gerade 150 Millionen Euro. „Wir haben unsere Idee damals bei bestimmt 50 Risikokapitalgesellschaften vorgestellt“, erinnert sich Roland Kreutzer. Keine habe sich getraut, genug Geld bereitzustellen.
Mangel an Risikokapital: Ende eines Traums
2002 wurde Ribopharma von der Bostoner RNS-Interferenz-Firma Alnylam übernommen – die Amerikaner wollten das Patent. Bis 2007 blieb das Labor in Kulmbach als Filiale Alnylams erhalten. Dann übernahm der Schweizer Konzern Roche im Zuge einer milliardenschweren Kooperation mit Alnylam den Kulmbacher Standort noch für ein paar Jahre. 2010 wurde er geschlossen und Kreutzers Traum von einer RNS-Medizin endgültig beerdigt. Seitdem ist die Translation der RNS-Interferenz, „eine in großen Teilen deutsche Idee“, wie der Alnylam-Chef John Maraganore selbst zugibt, keine deutsche Sache mehr.
Translationsforschung muss es schaffen, Therapieideen attraktiver für Investoren zu machen, findet Duda. Das bedeute, dass mithilfe von öffentlich finanzierten klinischen Studien herausgearbeitet werden muss, welche Ideen sicher und wirksam sind. Das erhöht auch ihren Wert, sodass Pharmafirmen mehr für die Lizenz bezahlen. Umso mehr Geld kann in die Finanzierung neuer Forschung zurückfließen.
Duda fordert, dass Deutschland, etwa über das Bundesforschungsministerium, noch mehr in klinische Studienprogramme investiert. Das hätte den Vorteil, dass die Forscher zum einen praktische Erfahrungen sammeln können, zum anderen bei Bedarf zurück ins Labor und etwas verbessern können, wenn die ersten Therapiestudien nicht gut verlaufen sind. Das kann die Industrie nicht leisten, Universitätskliniken aber schon, sagt der Forscher. „Die Lösung, die nach einer solchen Optimierung kommt, ist dann wirklich relevant und für die Industrie wesentlich interessanter.“
Vorn eine Idee, hinten eine Pille? Das Pipeline-Modell hat ausgedient
Das „Pipeline“-Modell von Translation, nach dem vorne eine Idee hineingesteckt und hinten die fertige Pille herausfällt, sei längst überholt. Vielmehr sei es wichtig, dass sich alle Beteiligten austauschen, Fragen und Anregungen hin- und hergeworfen werden. Dazu gehört zum Beispiel, bereits am Anfang diejenigen einzubinden, die eine Therapie am Ende bezahlen sollen. So spricht Duda bereits mit Krankenkassen, um einen Eindruck davon zu bekommen, welche Ideen aus deren Sicht sinnvoll sind und überhaupt eine Chance auf Erstattung haben. „So berücksichtigen wir zum Beispiel in manchen Studien die Arbeitsausfalltage, um später argumentieren zu können, dass eine Therapie sich lohnt, weil sie den Patienten wieder arbeitsfähig macht.“ Ein Detail, an das die Forscher früher wohl nie gedacht hätten.
Ein perfektes Translationssystem, das jede Idee hinreichend prüft und voranbringt, wird es aber wohl nie geben. Doch die guten Ansätze sollten ein funktionierendes Fördersystem vorfinden. „Öffentlich finanzierte Translationszentren können dazu einen Beitrag leisten“, sagt Roland Kreutzer. Ihm fehlte diese Unterstützung, als er die RNS-Interferenztechnik umsetzen wollte – die inzwischen mit dem Nobelpreis geehrt und jetzt in den USA zur Therapie entwickelt wird. Aufgegeben hat Kreutzer trotzdem nicht. Er hat mit seinem Kulmbacher Team eine neue Firma gegründet: Axolabs. Der Name leitet sich vom Axolotl ab. Verliert dieser Molch ein Bein, wächst es ihm einfach wieder nach. Immer und immer wieder.