zum Hauptinhalt
Hochsicherheitslabor
© Maurizio Gambarini, picture alliance / dpa

Dual Use: Vorsicht, Missbrauchspotenzial!

Von Superviren bis Cyberwar: Leopoldina und Deutsche Forschungsgemeinschaft setzen bei sicherheitsrelevanter Forschung auf Selbstkontrolle.

Ein Skandal reicht, sagt Jochen Taupitz. Der Jurist von der Universität Mannheim blickt mahnend in die Gesichter der Wissenschaftler, die der Einladung von DFG und Leopoldina nach Berlin gefolgt sind. Schon ein einziger Skandal könne gesetzgeberisches Handeln heraufbeschwören. „Das kann sehr restriktiv für die Forschung werden“, sagt er. „Zumal sich die Dual-Use-Problematik schwer in allgemeingültige Regeln pressen lässt.“

Wissen ist nicht per se gut oder schlecht. Aber manche Ergebnisse der Grundlagenforschung, manche Technologien und Produkte können der Gesellschaft nicht nur nützen, sondern auch schaden (Dual Use). Physik und Chemie haben ihre Sündenfälle längst hinter sich. Andere Fachgebiete entdecken erst, dass sie die seit 2011 erneut schwelende Debatte betrifft. Damals hatte Ron Fouchier vom Erasmus Medical Center in Rotterdam Vogelgrippeviren im Labor so verändert, dass Säugetiere sie beim Husten und Niesen übertragen. Sofort war von „Superviren“ die Rede. Viren, die es in der Natur vermutlich noch nicht gibt.

Blaupause für Bioterror?

Darf man das? Man muss, sagen etliche Virologen. So könne man die Pandemiegefahr besser einschätzen, die von Vogelgrippe, Mers oder Sars ausgeht. Wer die Details solcher Experimente veröffentlicht, liefert eine Blaupause für Bioterror, entgegnen die Kritiker. Andere sorgen sich um Unfälle – und eine Serie von Schlampereien in amerikanischen Hochsicherheitslaboren bestärkt sie. In den USA werden derzeit Experimente wie die von Fouchier nicht staatlich gefördert. Das Moratorium gilt, bis es verbindliche Regeln für die Abwägung von Nutzen und Risiko gibt. Sie sollen in diesem Frühjahr veröffentlicht werden.

In Deutschland setzen die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Nationale Akademie Leopoldina dagegen auf freiwillige Selbstkontrolle. Nach zweijähriger Beratung schlagen sie Unis und außeruniversitären Instituten vor, jeweils vor Ort eine „Kommission für die Ethik sicherheitsrelevanter Forschung“ (KEF) einzurichten. Diese Kommission soll nicht allein für die Lebenswissenschaften zuständig sein, sondern für alle Forscher. Missbrauchspotenzial habe schließlich ebenso ein Roboter, der eigentlich am Meeresgrund nur nach Bodenschätzen suchen soll oder eine Publikation zur IT-Sicherheit, die Kriminellen oder Terroristen Schwachstellen offenbart, mit deren Hilfe sie die Stromversorgung einer Stadt lahmlegen können. Psychologische Expertise kann eingesetzt werden, um Folter zu legitimieren. Wie in Guantanamo.

In der Mikrobiologie gibt es Kriterienkataloge

Während es in der Mikrobiologie bereits Kriterienkataloge gibt, was als „Dual Use Research of Concern“ gilt, ist die Definition über die Disziplinen hinweg ungleich komplizierter. Forscher sollten sich beraten lassen, wenn „erhebliche sicherheitsrelevante Risiken für Menschenwürde, Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Umwelt oder ein friedliches Zusammenleben“ mit dem Projekt verbunden seien, heißt es in der Mustersatzung. Erst recht, wenn Dritte die Ergebnisse „unmittelbar“ missbrauchen können.

Und wo verläuft die Grenze zwischen Technikfolgenabschätzung und einem Fall für die KEF? „Wir behaupten nicht, dass wir abschließende Antworten haben“, sagt der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel von der Universität Hamburg. Man wolle Forschern helfen, der Verantwortung, die ihre Rolle mit sich bringt, gerecht zu werden und rational begründete Pflichten, die die Gesellschaft für geboten hält, zu erfüllen. „Das kann jedoch nicht heißen, dass diese Kommission alles begutachtet, was möglicherweise Unglück über die Menschen bringt.“

Rasch und sachkundig beraten

Im Zweifel können sich sowohl Forscher als auch Whistleblower an das mindestens fünfköpfige Gremium mit unabhängigen Vertretern verschiedener Fächer wenden. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wägen sie Nutzen und Risiken der sensiblen Projekte ab und machen Vorschläge, wie man die Gefahr eindämmen könnte. Ist der Fall von grundlegender Bedeutung, können sie den Gemeinsamen Ausschuss von DFG und Leopoldina einschalten. Mehrheitsentscheidungen und Sondervoten seien möglich, betont Alfons Bora von der Universität Bielefeld. Der Forscher kann die Empfehlungen beherzigen, muss es aber nicht.

Die KEF soll keine weitere bürokratische Hürde sein, sondern rasch und sachkundig beraten. „Das spricht sich rum und wird dann auch genutzt“, sagt Taupitz. Nebenbei erhöhe sich das Bewusstsein für Dual Use. „Wir sollten alle an einem Strang ziehen, um Skandale zu vermeiden.“

Jana Schlütter

Zur Startseite