Missbrauch von Forschung soll verhindert werden: Ethikrat fordert neue Regeln für Forschung an Krankheitserregern
Neue Gesetze sollen Experimente stoppen, die Bioterroristen in die Hände spielen könnten. Doch die Pläne werden kritisiert.
In bester Absicht hatte der niederländische Forscher Ron Fouchier 2012 Vogelgrippeviren so verändert, dass sich Frettchen untereinander leichter anstecken – er wollte wissen, welche Veränderungen im Virenerbgut dazu führen könnten, dass das Vogelgrippevirus H5N1 über die Luft übertragbar und damit für den Menschen gefährlicher wird. Mit diesem Wissen, so Fouchier, könnten Forscher rechtzeitig Alarm geben, sollten in der Natur Viren mit diesen Mutationen auftauchen. Doch statt Anerkennung hagelte es Kritik. Sicherheitsbehörden sahen in den Experimenten vor allem eine Gebrauchsanweisung für Bioterroristen, wie man aus harmlosen gefährliche Viren basteln kann. Eine weltweite Diskussion über die Grenzen biologischer Forschung kam in Gang. Jetzt hat der Deutsche Ethikrat eine Empfehlung vorgelegt, wie künftig in Deutschland mit Dual Use Research of Concern (DURC) umgegangen werden soll – also Forschung, deren Missbrauch die öffentliche Gesundheit oder die nationale Sicherheit bedrohen könnte.
Der Rat schlägt vor, zuerst das Bewusstsein für DURC zu schärfen, durch Fortbildung als auch schon in der Ausbildung. "Wissen ist neutral, es kann für gute und schlechte Zwecke eingesetzt werden", sagt Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung, die das Gutachten des Ethikrates 2012 mit beauftragte. "Es gilt, die Missbrauchspotenziale zu erkennen, und das können nur die Forscher selbst." Ein bundesweit gültiger Kodex soll deshalb das Bewusstsein für und den Umgang mit biosicherheitsrelevanter Forschung regeln. Nur Wissenschaftler, die sich diesem Kodex verpflichten, sollen öffentliche Fördergelder erhalten. Es gelte, eine "Kultur der Verantwortung" zu entwickeln, so Silja Vöneky, Rechtsexpertin im Ethikrat. Darüber hinaus fordert der Ethikrat den Bundestag auf, ein Gesetz zu erlassen, in dem unter anderem DURC definiert und jeder Forscher dazu verpflichtet werden soll, sich bei der Planung eines biosicherheitsrelevanten Forschungsprojekts von einer zentralen „DURC-Kommission“ beraten zu lassen.
Nicht nur Forscher sollen über Dual-Use-Experimente entscheiden
„Nach vier Jahren soll evaluiert werden, ob Beratung ausreicht oder ob doch ein Genehmigungsverfahren nötig ist“, sagt Vöneky. Die Kommission soll nicht nur Experten aus den Lebenswissenschaften und der Biosicherheit umfassen, sondern auch „Expertise aus der Zivilgesellschaft“ einbeziehen. Ob die Kommission lediglich Bedenken gegenüber kritischen Forschungsprojekten äußern und den Forschern Hinweise zur Risikominimierung für die Veröffentlichung sicherheitsrelevanter Informationen machen soll oder gar Verbote aussprechen soll, war innerhalb des Ethikrates ein strittiger Punkt. Bislang soll die Kommission nur beratende Funktion haben, beispielsweise bezüglich der Veröffentlichungspraxis. So könnte die Kommission darauf drängen, dass die Ergebnisse von DURC-relevanten Projekten nur teilweise in öffentlich zugänglichen Fachmagazinen erscheinen und kritische Daten interessierten Forschern nur in persönlichem Kontakt zur Verfügung gestellt werden, meint Christiane Woopen, Medizinethikerin und Vorsitzende des Ethikrates, auf Nachfrage. Häufig wird sich die DURC-Kommission allerdings nicht mit biosicherheitsrelevanten Forschungsprojekten beschäftigen müssen: "In den USA werden (...) zehn Forschungsvorhaben diesem Bereich zugeordnet, in Deutschland könnte man demnach mit eher weniger als zehn Vorhaben rechnen", heißt es im Gutachten des Ethikrates.
Als Träger der Kommission schlägt der Rat das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin vor. Lars Schaade, Vizepräsident des RKI, sieht das kritisch: „Eine Genehmigungsbehörde am RKI würde ich nicht favorisieren“, sagt der Wissenschaftler, der langjährige Erfahrung in der Genehmigungspraxis für gentechnische Forschungsprojekte hat. „Wir sind selbst eine forschende Einrichtung, die auch mit pathogenen Erregern arbeitet. Es könnte der Eindruck entstehen, dass das RKI anderen Instituten Vorschriften macht und sich die eigenen Forschungsprojekte genehmigt.“
Grundsätzlich unterstützt Schaade die Ethikrat-Empfehlung, es nicht mehr allein dem einzelnen Forscher zu überlassen, das Risikopotenzial seiner Experimente einzuschätzen. Vorhaben wie die von Fouchiers hätten eine gesellschaftliche Dimension. Auch andere Forscher müssten dazu Stellung nehmen können. „Ob das gesetzlich geregelt werden muss, da bin ich eher skeptisch“, sagt Schaade. Er hält einen bundesweiten Kodex, dem sich alle Forschungseinrichtungen verpflichten, für ausreichend. Dessen Einhaltung könne an die Vergabe von Fördermitteln gekoppelt werden. Einzelne Organisationen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Max-Planck-Gesellschaft, die Leibniz-Gemeinschaft und das RKI haben bereits ihre eigenen Kodices entwickelt.
Einschränkung der Forschungsfreiheit "legitim"
„Ich denke nicht, dass wir eine zentrale DURC-Kommission brauchen“, ergänzt er. Die Bewertung von Forschungsrisiken sollte eine Zusatzaufgabe der lokalen Ethikkommissionen sein, ergänzt um Biosicherheitsexpertise. „Das hätte den Vorteil, dass so das Bewusstsein der Forscher für biosicherheitsrelevante Fragen im ganzen Land besser gefördert würde, als wenn eine Kommission im fernen Berlin die Entscheidungen trifft.“ Die DFG will sich zu den Vorschlägen des Ethikrates derzeit nicht äußern. Man bereite gerade gemeinsam mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina ein eigenes Papier vor, das im Juni veröffentlicht werden soll, heißt es.
Eine behördliche Genehmigung von Projekten oder gar das Verbot zur Veröffentlichung von Forschungsergebnissen wäre zwar ein Eingriff in die grundgesetzlich verankerte Forschungsfreiheit. „Die Gesellschaft hat aber ein Recht, auf Forschungsprojekte Einfluss zu nehmen, wenn sie der Meinung ist, dass hier Risiken entstehen, die die gesamte Gesellschaft betreffen“, meint Schaade. „Das mag zu gewissen Einschränkungen der Forschungsfreiheit führen, ist aber legitim.“ Im Ethikrat selbst hatte es bis zuletzt Diskussionen gegeben, wie sehr die Freiheit der Forschung eingeschränkt werden darf.
Regulieren will der Ethikrat nur solche Forschungsvorhaben, in denen konkrete Gefahr besteht, dass pathogene Organismen verschärft werden – nicht aber die Methoden der Biotechnik. Ein Forscher, der an harmlosen Darmbakterien eine Technik entwickelt und veröffentlicht, wird von den geplanten Regulierungen nicht erfasst.
Biotechniken nicht regulierbar
Das könnte ein Problem werden. Schließlich sind es gerade die modernen Biotechniken, die für sinnvolle Zwecke wie die Grundlagenforschung oder neue Medikamente entwickelt wurden, aber auch zum Zusammenbasteln des Polio-Virus oder dem Scharfmachen eines Grippeerregers taugen. Mithilfe der Synthetischen Biologie können Organismen in völlig neuem Ausmaß neue Eigenschaften verliehen werden. Aktuell verkünden zum Beispiel Forscher des Scripps Institute im kalifornischen La Jolla im Fachblatt „Nature“, dass sie den genetischen Code aus vier Buchstaben um zwei künstliche ergänzt haben. So entstand das erste vermehrungsfähige Bakterium der Welt, das einem anderen Code folgt als natürliches Leben. Auch die Technik des Harvard-Professors George Church, die Hunderte und Tausende von Veränderungen im Erbgut von Bakterien ermöglicht, wurde veröffentlicht – und könnte folglich ebenfalls missbraucht werden.
Solche Techniken nicht mehr zu entwickeln oder zu veröffentlichen, wäre weder machbar noch verhältnismäßig. Bislang hat es keinen einzigen Bioterror-Fall gegeben, bei dem gentechnische Methoden dazu geführt hätten, dass ein Krankheitserreger verschärft und als Biowaffe eingesetzt wurde. „Man kann nie gegen alle Risiken hundertprozentig vorsorgen“, sagt Schaade. „Alle unsere Bemühungen sind der Versuch, Risiken zu minimieren.“
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