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Abgeschirmt. Mit gefährlichen Krankheitskeimen darf nur in Hochsicherheitslabors gearbeitet werden.
© picture-alliance/ dpa

Medizin: Superviren aus dem Labor

Forscher haben damit begonnen, potenziell gefährliche Grippeviren zu erzeugen. Dürfen sie das, oder müssen sie es sogar, um uns besser zu schützen? Der Deutsche Ethikrat debattiert über die Frage, wie man künftig mit Forschung, die sowohl schaden als auch nützen kann, umgehen soll.

Am Anfang stand ein pointierter Vortrag, gehalten vor Grippespezialisten, die sich im Herbst 2011 auf der Insel Malta versammelt hatten. Der Referent: Ron Fouchier vom Erasmus Medical Center in Rotterdam. Sein Thema: Vogelgrippeviren (H5N1), die durch einige Veränderungen in seinem Labor gelernt hatten, per Tröpfcheninfektion von Frettchen zu Frettchen zu springen. „Jeder verließ den Saal mit dem Gefühl, dass hier etwas sehr Gefährliches geschaffen wurde“, sagte der Grippeforscher Hans-Dieter Klenk von der Universität Marburg bei einer Anhörung des Deutschen Ethikrats zum Thema „Biosicherheit – Freiheit und Verantwortung in der Wissenschaft“. Erst die Publikation der Ergebnisse im Sommer 2012 hätte den Eindruck widerlegt.

Bis dahin schossen Gerüchte um die „Frankenstein-Viren“ ins Kraut. Fouchier hatte eine Biowaffendebatte losgetreten, die sein Labor und ähnliche Arbeiten von Kollegen ein Jahr lang lahmlegte. Nicht nur die Medien, sondern auch verschiedene Kommissionen in den USA, bei der Weltgesundheitsorganisation und aus der Wissenschaft schalteten sich ein. Sie alle bewegten ähnliche Fragen: Darf man Forschungsergebnisse, die den Menschen sowohl schaden als auch nützen können („dual use“), veröffentlichen? Wer soll darüber entscheiden? Darf man Viren überhaupt gefährlicher machen, als sie ohnehin sind? Und unter welchen Bedingungen? In Deutschland soll nun der Ethikrat sein Votum abgeben, wie Forschungsfreiheit und Schutz der Bevölkerung abgewogen werden können.

Internationale Regeln dazu fehlen bis heute, auch wenn die Studien nach langem Hin und Her veröffentlicht wurden und das Moratorium im Januar 2013 mit der Begründung aufgehoben wurde, dass die Arbeit an den gentechnisch veränderten Vogelgrippeviren zwar nicht ohne Risiko, das Nichtstun aber gefährlicher sei. Schließlich könne auch in der Natur ein solches Vogelgrippevirus entstehen, das über die Atemluft unter Säugetieren übertragbar ist und eine Pandemie auslösen kann.

Tatsächlich starrt die Welt derzeit auf ein neues Vogelgrippevirus, H7N9, das in China bereits mehr als 100 Menschen schwer krank gemacht und etwa ein Fünftel von ihnen getötet hat. Das „Labor“, in dem das Virus entstand, waren wahrscheinlich die Geflügelmärkte der Region. In seinem Erbgut trägt es Mutationen, die auch Fouchiers Version von H5N1 leichter übertragbar machen. Dass Experten den Ausbruch sehr ernst nehmen, habe man seinen Studien zu verdanken, behauptet nun Fouchier.

Um besser zu verstehen, was aus einer Vogelgrippe einen potenziellen Auslöser einer Pandemie macht, seien Experimente wie die von Fouchier unersetzlich, sagte Klenk bei der Ethikratanhörung. Die Arbeit an waffenfähigen Erregern wie Milzbrand, Pest und Pocken zu reglementieren, sei vergleichsweise einfach. Komplizierter werde es, wenn die Viren große Bedeutung für Wissenschaft und Gesundheitsschutz haben.

Ein Veröffentlichungsverbot ist für Klenk nicht akzeptabel, erst auf der Grundlage könne man die Ergebnisse überprüfen statt zu spekulieren. Vielmehr solle Nutzen und Risiko vor dem Start der Experimente sorgfältig abgewogen werden. Nur wenn wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse zu erwarten seien, dürfe man Viren im Labor gefährlicher machen. „Ebola zum Beispiel ist in der Natur noch nie über die Luft übertragen worden. Dieses Virus entsprechend zu verändern, ist unnötig“, sagte er. Nachdem für ein Experiment grünes Licht gegeben wurde, müssten die Sicherheitsvorschriften streng eingehalten werden. In Deutschland darf man an veränderten Vogelgrippeviren seit Anfang des Jahres nur noch in Hochsicherheitslaboren der Stufe 4 arbeiten.

Die Grundrechte auf Forschungsfreiheit und Lebensschutz seien kaum voneinander zu trennen, betonte Thomas Würtenberger, Staatsrechtler an der Uni Freiburg. Beides könne gleichzeitig kollidieren und sich gegenseitig verstärken. Schließlich führe Forschungsfreiheit zu medizinischem Fortschritt. Nur wenn konkrete Gefahren drohen, dürfe sie eingeschränkt werden – so wie die Privatsphäre nur im Ausnahmefall durch eine Rasterfahndung verletzt werden darf. Wird die Entscheidung über ein Experiment einer Ethikkommission überlassen, so müsse deren Arbeit gesetzlich sorgfältig geregelt werden, sagte er. „Ohne gerichtliche Kontrolle geht das nicht.“

„Wie ein Experiment bewertet wird, ändert sich je nach Kontext“, sagte Petra Dickmann, Expertin für Risikokommunikation an der London School of Econmics. Als in den 90er Jahren die Spanische Grippe im Labor wiedererstand, sei es als Fortschritt gefeiert worden. Nach dem 11. September galt dieselbe Forschung als gefährlich – nur um während der Pandemie 2009 wieder wichtig zu werden. Forschung an wichtigen Infektionskrankheiten allzu strikte Restriktionen aufzuerlegen, sei kurzsichtig. Stattdessen brauche man stabile wissenschaftliche Netzwerke, in denen Informationen schnell und zuverlässig geteilt werden, so wie jetzt bei H7N9. Vor allem müsse die Bevölkerung lernen, mit Unsicherheit umzugehen. „Dazu müssen wir die Öffentlichkeit einbinden“, sagte Dickmann.

Im Labor von Ron Fouchier ist derweil ein Päckchen mit H7N9-Viren angekommen. Er will untersuchen, wie sie mutieren und sich ausbreiten. Solches Wissen sei keine Biowaffe, sagt er. Im Gegenteil: Es mache die Welt sicherer.

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