Vogelgrippe H7N9: „Die Gefahr kommt aus der Natur“
Der Virologe Ron Fouchier plant Experimente mit dem neuen Vogelgrippe-Erreger H7N9 – um ihn besser einschätzen zu können.
Er baue im Labor potenzielle Biowaffen, warfen Kritiker Ron Fouchier vom Erasmus Medical Center in Rotterdam 2011 und 2012 vor. Immer wieder entgegnete er ihnen: Die Gefahr kommt aus der Natur. Trotzdem mussten seine Experimente mit H5N1 ein Jahr pausieren. Nun infizieren sich in China Menschen mit einer neuen Variante der Vogelgrippe, H7N9. Mittlerweile sind 82 Menschen krank geworden, 17 sind gestorben. Und Fouchiers Forschung könnte bei der Beantwortung einer zentralen Frage helfen: Wie übertragbar ist der neue Erreger?
Was machen Grippeexperten, wenn ein neues Virus wie H7N9 auftaucht?
Die Chinesen waren sehr offen. Sie haben zwei Tage nach der ersten Mitteilung der Weltgesundheitsorganisation die ersten Virus-Sequenzen in einer Datenbank publiziert. So konnten wir anfangen, das Erbgut zu analysieren. Einzelne Teile haben wir dann im Labor nachgebaut und mit Teilen anderer Grippeviren kombiniert. Mit dem Mix konnten wir ausprobieren, wie gut H7N9 an die Andockstellen in menschlichen Atemwegen passt. Aber um die Pathogenität und die Übertragbarkeit von H7N9 einzuschätzen, braucht man das Virus selbst. Die angeforderten Proben kommen voraussichtlich jetzt am Donnerstag bei uns an.
Inwiefern helfen Ihnen die Ergebnisse aus den umstrittenen Experimenten mit dem Vogelgrippevirus H5N1?
Diese Experimente gehen ja erst richtig los. Wir wollen verstehen, wie es Viren schaffen, per Tröpfcheninfektion von Säugetier zu Säugetier zu wandern. Das können wir nicht einmal für das bekannte Vogelgrippevirus H5N1 genau sagen. Nun taucht H7N9 auf und die erste und dringendste Frage ist: Ist das Virus unter Säugetieren übertragbar? Niemand kann das im Moment beantworten. Man lernt also bei Ausbrüchen, dass man solche Experimente braucht, nicht nur für H5 und H7, sondern auch für H6, H12 und andere Grippeviren. Dann können wir vielleicht in 20 Jahren anhand der Gensequenz sagen, ob das Virus bereits über die Luft übertragbar ist oder es bald sein wird.
Die bisherigen Ergebnisse sind also nicht auf H7N9 anwendbar?
Wenn wir von unseren H5N1-Studien auf H7 schließen, gibt es interessante Hinweise. Bevor wir im Hochsicherheitslabor die Frettchen mit der Vogelgrippe infiziert haben, haben wir H5N1 leicht verändert: Wir haben eine Mutation eingefügt, die es den Kopiermaschinen des Virus erlaubt, in Säugetieren zu funktionieren. Und wir haben ein Gen für ein Oberflächenmolekül so manipuliert, dass es in menschlichen Atemwegen andocken kann. In den Frettchen hat sich das Virus dann weiter an Säugetiere angepasst. H7N9 hat bereits die Änderungen, die wir bei H5N1 noch künstlich einfügen mussten. Die Natur macht also mitunter das Gleiche wie Forscher im Labor. H7N9 könnte auch lernen, wie die Tröpfcheninfektion gelingt. Wir wissen noch nicht, ob unsere Experimente mit H5N1 auf H7N9 übertragbar sind. Trotzdem macht es Fachleute nervös, diese Veränderungen in der Natur zu sehen. Unseren Studien ist es zu verdanken, dass Experten den Ausbruch sehr ernst nehmen.
Ist H7N9 also schon dabei, sich an Säugetiere anzupassen?
Dieses H7N9-Virus hat Eigenschaften, die wir noch nie bei einer Vogelgrippe gesehen haben. Das heißt aber nicht, dass diese ungewöhnlichen Veränderungen in Säugetieren zustande kamen. Möglicherweise ist das in einem anderem Tier passiert, wie zum Beispiel in Wachteln. Manchmal bieten sie eine Schnittstelle zwischen Vögeln und Säugetieren. Klar ist, dass H7N9 Eigenschaften eines Säugetier-Virus hat. Es sieht definitiv nicht mehr wie eine normale Vogelgrippe aus.
Wie viele Mutationen braucht es noch, um zur Gefahr zu werden?
H5N1 braucht fünf Mutationen, die drei Eigenschaften verändern: Die Kopiermaschinen des Virus müssen gut funktionieren, obwohl die Temperatur in Säugetierzellen niedriger ist. Es muss Andockstellen in den Atemwegen finden und es muss unter den neuen Umweltbedingungen stabil bleiben. Wenn unsere Ergebnisse zu H5N1 auch für H7N9 gelten, hat die neue Vogelgrippe Schritt eins und zwei bereits getan. Ob das Virus stabil ist, werden vielleicht die nächsten Wochen zeigen. Theoretisch braucht es nur noch einen einzigen Schritt, um zur Gefahr zu werden.
Wie wahrscheinlich ist das?
Jede Pandemie ist unwahrscheinlich, wir sehen sie nur alle 20 bis 30 Jahre. Auf der anderen Seite gibt es unzählige Arten von Vogelgrippe, die nie eine Pandemie verursacht haben. Auch H7N9 nicht, obwohl das Virus seit Jahrhunderten zirkuliert. Aber diese Vogelgrippe hat sich verändert und die Anpassungen erinnern an pandemische Grippeviren. Trotzdem können wir die Evolution nicht vorhersagen, möglicherweise macht das Virus nie den letzten Schritt. Im Moment ist meine Einschätzung: Genau wie bei H5N1 steht eine Pandemie wahrscheinlich nicht unmittelbar bevor.
Ist H7N9 gefährlicher als H5N1?
H5N1 ist sehr tödlich. Bei H7N9 wissen wir noch nicht genau, ob es die Menschen immer derart schwer krank macht oder tötet. Möglicherweise haben etliche Patienten nur milde Symptome oder auch gar keine. Einzelne solcher Fälle sind bereits bekannt. Vermutlich ist da H5N1 gefährlicher. Auf beide trifft zu, dass wir nicht gegen sie immun sind. Wenn sich so ein Vogelgrippevirus über die Luft verbreitet, können wir es wahrscheinlich nicht stoppen. Auch eine Impfung zu produzieren, wird sehr kompliziert. Was H7N9 tückischer macht, ist, dass die Vögel gesund bleiben. Wenn H5N1 im Hühnerstall kursiert, merkt der Bauer das, die Tiere fallen bald um. Mit H7N9 dagegen leben sie glücklich weiter. Es wird also extrem schwer, die Quelle im Tierreich zu orten und zu vernichten.
Welche Experimente planen Sie jetzt mit dem Virus H7N9?
Das kommt darauf an, wie sich die Situation entwickelt. Wenn der Ausbruch in den nächsten zwei Wochen gestoppt wird, kehren wir zu H5N1 zurück. Wenn es aber weiterhin zu Ansteckungen kommt und wenn sich das Virus noch mehr verändert, werden wir analysieren, was diese Veränderungen bewirken. Und wir werden nach weiteren Mutationen suchen, die die Übertragbarkeit beeinflussen. Letzteres wären ähnliche Experimente wie die mit H5N1. Wir würden Frettchen mit H7N9 infizieren, diese Viren auf weitere Frettchen übertragen und schauen, ob das Virus irgendwann von selbst per Husten oder Niesen von Frettchen zu Frettchen springt. Dafür brauchen wir etliche Genehmigungen. Aber wenn der Ausbruch weitergeht, wäre der Aufwand gerechtfertigt. Ich nehme an, die Chinesen machen ohnehin gerade solche Experimente, sie haben selbst sehr gute Hochsicherheitslabore.
- Die Fragen stellte Marieke Degen.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität