Bildungsverständnis von Kindern und Jugendlichen: Sie lernen nicht durchs Leben, sondern in der Schule - das aber ungern
Bei der Wissensvermittlung setzen 10- bis 16 Jährige voll auf die Schule, trauen aber ihren Lehrkräften wenig zu. Eine Umfrage mit überraschenden Ergebnissen.
Nur ein Drittel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland lernt gern für die Schule. Und lediglich 21 Prozent erleben ihre Lehrkräfte als wichtigste Unterstützung beim Lernen.
Dieses schlechte Zeugnis stellen Schülerinnen und Schüler der 5. bis 10. Klassen ihren Bildungseinrichtungen einer Allensbach-Umfrage zufolge aus, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.
Ziel der Studie im Auftrag der Telekom-Stiftung ist es, erstmals mit einer solchen Umfrage das "Lernverständnis der heutigen Schülergeneration" zu ergründen. Für die Umfrage wurden zwischen Dezember 2019 und Februar 2020 - also vor der Coronakrise - in persönlichen Interviews 1048 Schülerinnen und Schüler im Alter von zehn bis 16 Jahren befragt. Ergänzend führten die Meinungsforscher gut 500 Interviews mit Eltern, die Kinder in dieser Altersgruppe haben.
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Die Umfrage zeichnet zunächst ein gradliniges Bild vom Lernkonzept der Kinder und Jugendlichen - die Schule steht als Lernort im Mittelpunkt. 86 Prozent stimmen zu, dass für sie "in den Schulunterricht gehen" die Hauptquelle des Lernens sei. "Hausaufgaben zu machen und sich den Schulstoff anzueignen“ ist für 94 Prozent der Befragten die Hauptaktivität beim Lernen.
Eltern helfen viel, konkurrieren aber mit dem Internet
Wenn jedoch die Lehrkräfte als Unterstützer beim Lernen nur für jeden fünften zentral sind - müssen dann die Eltern einspringen? Die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler sieht das durchaus so, 73 Prozent nennen sie als wichtigste Hilfe beim Lernen und bei den Hausaufgaben. 67 Prozent sehen ihre Eltern auch als maßgebliche Wissens-Vermittler.
Mütter und Väter konkurrieren aber mit dem Internet als Hauptquelle des Lernens (55 Prozent) und dort besonders mit Erklärvideos (53 Prozent). Nur 46 Prozent dagegen sagen, dass sie zu Büchern greifen, "wenn mich ein Thema näher interessiert" und nur 14 Prozent suchen für sie relevante Informationen gezielt in Zeitschriften und Zeitungen.
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Überraschungen bieten die Antworten auf die Frage, welche Kompetenzen die Zehn- bis 16-Jährigen wichtig finden. An erster Stelle steht mit 66 Prozent die gute Beherrschung von Rechtschreibung und Grammatik, mit einem kleinen Abstand (59 Prozent) folgt der Umgang mit Computer, Internet und Handy.
Englisch wichtig, Mathe und Naturwissenschaften weniger
Für ebenso viele Schülerinnen und Schüler sind Englischkenntnisse wichtig. Auch die Fähigkeit, die eigene Meinung vertreten und diskutieren zu können, steht für 55 Prozent hoch im Kurs.
Werden also sprachliche Kompetenzen insgesamt hoch eingeschätzt, fallen mathematisch-naturwissenschaftliche dagegen ab. Gute Mathematikkenntnisse finden noch 46 Prozent wichtig, in den Naturwissenschaften ist es nur ein Viertel - und "Programmieren können" halten lediglich zehn Prozent für erstrebenswert.
Auch außerschulische Lernorte zählen weniger als die Schule - obwohl sie von vielen so negativ eingeschätzt wird. Mit Zustimmungswerten von 33 beziehungsweise 18 Prozent verstehen die Kinder und Jugendlichen das Spielen eines Instruments oder Museumsbesuche deutlich weniger als Lernaktivitäten. Reisen bildet? Das sieht nur jeder Fünfte so.
"Konzentration" und "Druck" beim Lernen
Das alles bedeutet nicht, dass Schülerinnen und Schüler das von der Schule dominierte Lernen durchweg mit negativen Gefühlen verbinden. An positiven Assoziationen nennt die überwiegende Mehrheit "Konzentration" (84 Prozent) und "Neues erfahren" (75 Prozent). "Erfolgserlebnisse" zu haben, verbinden dagegen nur 66 Prozent mit dem Lernen und nicht einmal ein Drittel (28 Prozent) verbinden es mit "Spannung", 23 Prozent mit "Spaß" - und nur acht Prozent mit "Freiheit".
Auf der Seite der "negativen Assoziationen" überwiegen die "Anstrengung" (76 Prozent), der hohe "Zeitaufwand" (69 Prozent) und der "Druck" (51 Prozent).
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Die Eltern schreiben der Schule vor allem die Vermittlung von Fachwissen zu. Die Telekom-Stiftung hebt hervor, dass sie "Fertigkeiten wie Urteilskraft oder Kreativität beizubringen" dagegen kaum als Aufgabe der Schulen, sondern als ihre eigene sehen.
Die Rolle der Eltern
In welchem Ausmaß Eltern ihren Kinder bei schulischen Dingen helfen können, hängt auch aus ihrer eigenen Perspektive von ihrem Bildungsabschluss ab. Zwar sagt die Hälfte der Mütter und Väter mit einem einfachen oder mittleren Abschluss, sie könnten ihre Kinder so unterstützen, wie sie es möchten. Bei den Eltern mit Abitur oder auch einem Studienabschluss sind es aber mit 75 Prozent deutlich mehr.
Während 59 Prozent der höher Gebildeten angeben, ihr Kind zum Lesen zu ermutigen, tun dies nur 38 Prozent der Befragten mit niedrigeren Abschlüssen.
Keinen Unterschied macht die Vorbildung der Eltern indes beim Stellenwert, den sie einem "guten Schulabschluss" ihrer Kinder beimessen - für jeweils 67 Prozent beider Gruppen ist er sehr hoch.
Die Telekom-Studie zeigt auch Auswege aus dem Schulfrust der Lernenden. Wenn Kinder und Jugendliche im Unterricht über Themen und die Art der Bearbeitung mitbestimmen können - 43 Prozent geben an, dass das "ab und zu" der Fall ist - sind die positiven Assoziationen ausgeprägter. Sie haben mehr Erfolgserlebnisse und Spaß, leiden weniger unter Druck und Zwang und erleben weniger Frust.
Wer in der Schule mitbestimmen kann, sieht vieles positiver
Während ansonsten Schülerinnen und Schüler an Schularten unterhalb des Gymnasiums negativer über ihre Lernsituation urteilen, wirkt der positive Effekt des selbstbestimmten Lernens unabhängig von der besuchten Schule. Dass selbstbestimmtes Lernen motivierender ist, zeigt indes auch dieser Befund: 85 Prozent der Befragten lernen gerne außerhalb der Schule, wenn es zum Beispiel um Fertigkeiten für ein Hobby geht.
„Solch ein Hebel muss im Sinne der Kinder und Jugendlichen genutzt werden“, erklärt dazu Thomas de Maizière, der Vorsitzende der Telekom-Stiftung.
"Junge Menschen brauchen Erprobungsräume. Sie müssen Teilhabe erleben und mehr Verantwortung für ihr Lernen, ihr eigenes Leben übernehmen können."
Die Telekom-Stiftung bezeichnet ihre Studie als eine Art "Nullmessung" für das Lernverständnis. Ob es sich durch das Homeschooling in der Coronakrise nachhaltig verändert, will die Stiftung mit weiteren Umfragen nachverfolgen.
"Glasklar ist jedenfalls, dass die Schulen sich nicht damit zufriedengeben dürfen, dass nur ein Drittel der Kinder und Jugendlichen gern für die Schule lernt", resümiert de Maizière. "Dafür ist dieser Ort zu wichtig und entscheidend für Bildungskarrieren."
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