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Ein Geschwisterpaar liegt nebeneinander auf dem Fußboden und schaut gemeinsam in einen Laptop.
© imago images/Action Pictures

Homeschooling im zweiten Anlauf: Lehrkräfte und Schulen sind engagiert, aber planlos

Konventionelle Aufgaben per Mail, Kontakt nicht zu allen Schülern: Was sich bis zum Sommer beim Fernunterricht ändern muss, zeigen zwei aktuelle Umfragen.

Die Schulen in Deutschland öffnen wieder – ein Normalbetrieb wird aber noch lange auf sich warten lassen. Stattdessen wird es auch weiterhin nötig sein, Schülerinnen und Schüler zu Hause zu unterrichten. Doch genau darauf sind viele Schulen in Deutschland offenbar immer noch nicht eingerichtet. Das zumindest ergeben Umfragen zweier Bildungsstiftungen, die dem Tagesspiegel vorab exklusiv vorlagen.

Engagiert, aber konzeptlos: So ungefähr lässt sich der digitale Fernunterricht der Schulen in der Coronakrise etwa nach einer neuen Studie der Vodafone-Stiftung zusammenfassen. In dieser Umfrage geben zwar 83 Prozent der befragten Lehrkräfte an, dass an ihrer Schule für alle oder so gut wie alle Klassen Lernangebote bereitstehen.

Aber 66 Prozent sagen auch, dass ihre Schule nicht über ein Gesamtkonzept für die Lernangebote während der Coronakrise verfügt.

Genau diese systematischen Ansätze, wie Präsenz- und Fernunterricht sinnvoll verknüpft werden, seien für die Zeit bis zu den Sommerferien und für das neue Schuljahr nötig, sagte Birgit Eickelmann, Pädagogik-Professorin an der Uni Paderborn und Leiterin der Studie: „Fertige tragfähige Konzepte hätte ich schon nach den Osterferien erwartet. Wir müssen aufpassen, dass uns da nicht die Zeit davonläuft.“

Die Frage stelle sich umso mehr, als abzusehen sei, dass es auch nach den Sommerferien keinen normalen Schulbetrieb geben werde.

Einer Umfrage der Deutsche Telekom-Stiftung zufolge geben Kinder und Jugendliche in allen Klassenstufen dem Unterricht zu Hause recht gute Noten – im Schnitt eine 3,2 auf einer Skala von eins bis fünf. Besonders schätzen sie, dass sie jetzt mehr mit dem Computer arbeiten können (hier finden Sie die vollständige Studie der Telekom-Stiftung).

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Dabei spielen aber Aufgabenblätter, die sie per E-Mail bekommen, die größte Rolle, nur ein Drittel hat bis jetzt digitale Lernmedien genutzt. Thomas de Maizière, der Vorsitzende der Telekom-Stiftung und ehemalige Kanzleramtschef, fordert deshalb „einen Fernunterricht, der den Namen auch verdient“. Es müssten auch Erklärvideos von Lehrkräften oder interaktive Technologien zum Einsatz kommen.

Hier ein Überblick, wie Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler und Eltern den Fernunterricht wahrnehmen.

Was Lehrkräfte sagen

Es ist ein sehr heterogenes Bild, wie die Schulen den Fernunterricht bewältigen: So sieht es die Umfrage der Vodafone-Stiftung. Befragt wurden von Anfang bis Mitte April – also mehrere Wochen nach den Schulschließungen – 310 Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen. Immerhin 41 Prozent der Befragten können den Unterricht in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen organisieren, 24 Prozent sind dagegen auf sich gestellt. Zwei Drittel verschickten Aufgaben per E-Mail, nur 25 Prozent nutzten eine Lernplattform.

[Die vollständige Studie der Vodafone-Stiftung finden Sie hier.]

Insgesamt gelingt es nur einem guten Drittel, zu sämtlichen ihrer Schülerinnen und Schüler Kontakt zu halten – wobei die meisten erneut E-Mails nutzen, die Hälfte das Telefon, ein Fünftel Videochats. 52 Prozent erreichen immerhin die meisten, zehn Prozent nur wenige Schülerinnen und Schüler. Dabei sagen neun von zehn Lehrkräften, der Kontakt zu den Lernenden sei ihnen überaus wichtig.

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Von den gut 1000 in der zweiten Aprilhälfte befragten Schülerinnen und Schülern der Telekom-Umfrage sagen knapp 60 Prozent, dass sie ihre Aufgaben per Mail an den Klassenverteiler erhalten, jeweils ein Drittel wird über Nachrichten im Gruppenchat und über Lernplattformen versorgt. 20 Prozent finden ihre Aufgabenblätter im Briefkasten und nur 24 Prozent haben einen Live-Austausch mit ihren Lehrkräften.

Gymnasien sind nach der Vodafone-Umfrage vergleichsweise besser auf die neue Situation eingestellt als andere Schulformen. Hier bescheinigten immerhin fast die Hälfte der Befragten, schon vor den Schulschließungen mit digitalen Lehrangeboten „recht weit“ fortgeschritten zu sein. An Grundschulen sagten das nur 18,3 Prozent der Lehrkräfte.

Wie Schüler die Lage sehen

Am besten gefällt Kindern und Jugendlichen am Lernen zu Hause, dass der Schulweg wegfällt – 60 Prozent finden das gut. An zweiter Stelle steht mit 50 Prozent Zustimmung die größere Bedeutung von digitalen Geräten für das Lernen. Den direkten Kontakt zu den Lehrkräften vermissen 37 Prozent, 16 Prozent können gut darauf verzichten, der Rest ist indifferent. Viel größer ist die Sehnsucht nach den Mitschülern – 70 Prozent fehlen sie sehr.

Der virtuelle Kontakt zu den Lehrkräften schwankt von Fach zu Fach, in Informatik etwa tauschen sich 65 Prozent mit ihnen aus, in Deutsch 44,5 Prozent, in Kunst und Musik nur 21 Prozent. Austausch mit Mitschülern haben in Physik 63 Prozent, in Deutsch 44 Prozent. In Mathematik und Physik geben mit rund 20 Prozent die meisten Schülerinnen und Schüler an, nicht ohne Hilfe der Lehrkräfte auszukommen.

Berichte zu Schulschließungen und Homeschooling

Die IT-Ausstattung zu Hause ist der Umfrage zufolge mit 97 Prozent, die über Computer beziehungsweise Laptops verfügen, sehr gut. 88 Prozent haben sogar „alle Geräte, die sie brauchen“ – inklusive Smartphone, Drucker und Kopierer sowie Digitalkamera. Anzunehmen ist allerdings, dass bei einer Online-Umfrage gerade solche Schüler nicht erfasst werden, die nur unzulänglich ausgestattet sind.

Was die Eltern beitragen

Bei der Zusammensetzung der gut 800 von der Telekom-Stiftung befragten Eltern zeigt sich ein Ungleichgewicht: 58 Prozent haben Abitur, 26 Prozent einen Realschul- und nur 6,3 Prozent einen Hauptschulabschluss.

Überraschend ist, wie stark die Rolle der Mütter ist, wenn es darum geht, wer bei Problemen mit den Aufgaben hilft: 84 Prozent wenden sich an weibliche und nur 63 Prozent an männliche Erziehungsberechtigte. Mütter sind bei der Lernmotivation stärker gefragt, Väter beim technischen Support.

Von den Eltern mit Kindern auf dem Gymnasium finden 61 Prozent, dass das Homeschooling gut läuft, bei Real- oder Hauptschuleltern sind es jeweils nur 47 Prozent, bei Grundschuleltern sogar nur 44 Prozent. Die Zufriedenheit ist abhängig von der Unterstützung durch die Lehrkräfte: An Grundschulen fühlen sich nur 31 Prozent der Eltern gut unterstützt, an Hauptschulen immerhin 48 Prozent, am Gymnasium 46 Prozent.

Was Experten jetzt empfehlen

Ein großes Problem: Auf absehbare Zeit fehlen noch mehr Lehrkräfte als ohnehin durch den vor der Coronakrise ausgiebig diskutieren Lehrkräftemangel – weil die Lerngruppen in den Schulen aufgrund der Hygienevorschriften verkleinert werden müssen, so dass für eine Klasse theoretisch auf einmal doppelt oder dreifach so viel Personal nötig ist. Die Lage wird dadurch verschärft, dass Lehrkräfte, die zu Risikogruppen gehören, nicht für den Präsenzunterricht zur Verfügung stehen.

Birgit Eickelmann schlägt hier vor, ähnlich wie im medizinischen Bereich auf Studierende als Aushilfe zu setzen – und zwar auf die Lehramtsanwärterinnen und -anwärter an den Unis. Viele Studierende hätten ihre Nebenjobs verloren. „Warum machen wir keine Konzepte, welche Aufgaben diese Gruppen übernehmen könnte?“ Der Bund könne das ähnlich wie bei Medizinstudierenden finanziell unterstützen.

Gleichzeitig müsste geklärt werden, welche Aufgaben die Lehrkräfte wahrnehmen, die nicht vor Ort unterrichten. „Hier müssen wir schauen, wie wir diese Gruppe zeitnah mit Fortbildungen und den Austausch von Expertise in den Kollegien gezielt für den Einsatz in digital gestützten Lehr-Lernsettings fitmachen“, sagt Eickelmann.

Thomas de Maizière kritisiert, „dass nur ein Fünftel aller lehrerbildenden Hochschulen den Studierenden Angebote für den Erwerb mediendidaktischer Kompetenzen macht“. Das müsse sich dringend ändern. Da die Kinder technisch gut ausgestattet seien und mit dem Online-Lernen gut klar kämen, dürfe es „bei Schulen und Lehrkräften keine Ausreden mehr geben, das kreative Lehren und Lernen mit digitaler Unterstützung nun endlich auf breiter Front anzugehen“.

Die vom Bund zugesagten 500 Millionen Euro für Geräte sollten in enger Abstimmung mit den Schulen und nach dem tatsächlichen Bedarf ausgegeben werden, fordert de Maizière.

Elke Hannack, die stellvertretende DGB-Vorsitzende, fordert Präsenzangebote für Schülerinnen und Schüler, die zu Hause keine Computer und keine Rückzugsräume haben. Dass die Bundesregierung Kindern aus ärmeren Familie ein Zuschuss von 150 Euro für digitale Endgeräte geben will, "ist ein guter Schritt, reicht aber längst nicht aus", erklärt Hannack. Die Länder müssen diese Summe aufstocken.

Die beiden Stiftungen heben indes die an vielen Schulen vorhandenen Best-Practice-Beispiele für digitalen Unterricht hervor. Diese gelte es nun zu bündeln, zu systematisieren und allen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, sagt Eickelmann.

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