Wie läuft es am Berliner Islam-Institut?: „Muslime müssen endlich selbstverständlicher werden“
Brücken bauen: Das neugegründete Institut für Islamische Theologie an der HU-Berlin ringt um Offenheit und Vielfalt im Alltag. Ein Ortstermin.
Lang gezogene Satteldächer auf zwei mehrstöckigen gelb-roten Ziegelbauten, die durch einen Mitteltrakt verbunden sind: Das hufeisenförmige Ensemble, in dem die Islamische und die Katholische Theologie der Humboldt-Universität im Herbst ihren Studienbetrieb aufgenommen haben, strahlt durchaus etwas Sakrales aus.
Erbaut wurde das Haus indes im 19. Jahrhundert als Rechtsmedizin der Charité. Heute ist es ein lichter Studienort und Begegnungsraum für Muslime und Katholiken, die hier in direkter Nachbarschaft lehren, forschen und lernen. Man geht dieselben Wege, teilt sich Büro- und Seminarräume.
Das Rubrum „Theologie der Vielfalt“, mit dem die Programmatik einer innerislamischen Mehrstimmigkeit aus sunnitischen und schiitischen Perspektiven bezeichnet ist, prägt den Charakter des muslimisch-christlichen Doppelinstituts insgesamt. Dies zeigt sich unter anderem an den Schwerpunktthemen zweier Wissenschaftlerinnen, Almila Akca, Leiterin einer Forschungsgruppe zur „Islamischen Theologie im Kontext von Wissenschaft und Gesellschaft“, und Teresa Schweighofer, Professorin für Praktische Theologie am Katholischen Institut.
Religion von unten am Islam-Institut
Akca forscht zu muslimischer Alltagspraxis in der Bundesrepublik, die zwar in Verbindung mit den schriftlichen Zeugnissen islamischer Überlieferung steht, jedoch oft auch darüber hinausgeht. So entwickeln Menschen ihre religiöse Identität eben nicht nur durch das Lesen und Nachbeten theologischer Literatur, sondern ganz alltäglich, aus ihren gesellschaftlichen Bezügen und ihrer jeweiligen Lebenswelt heraus.
Schweighofer, die von Österreich über Baden-Württemberg nach Berlin gekommen ist, hat sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit viel mit Lebensübergangsritualen jenseits konfessioneller und kanonisierter Abläufe befasst. Was sie erforscht, kann man vielleicht am besten als „Theologie von unten“ bezeichnen. „Bei der Frage, welche Theologien Menschen aus ihrem Lebensalltag heraus gestalten, sehe ich zum Beispiel große Überschneidungen mit der Nachwuchsforschungsgruppe des islamischen Instituts“, sagt die Katholikin. So gebe es nicht nur eine räumliche Nähe, sondern auch viele Anknüpfungspunkte für den theologischen Austausch und geplante gemeinsame Veranstaltungen.
Für einen Geist der Offenheit steht dabei insbesondere auch der Gründungsdirektor des Islam-Instituts, Michael Borgolte, der über viele Monate, in denen um die Repräsentation der konservativ ausgerichteten Islam-Verbände im theologischen Beirat des Instituts gerungen wurde, stets für Anfragen bereitstand. Schließlich hat er gemeinsam mit den Verbänden, der Unileitung und dem Staatssekretär für Wissenschaft einen vorerst gangbaren Weg zur Institutsgründung gefunden. Noch laufen die Berufungsverhandlungen für die meisten der anvisierten sechs Professuren. Immerhin 55 Studierende aber haben im Herbst ihr Studium begonnen.
Skepsis der Studierenden
Jetzt wurde ein Team vom Tagesspiegel auf Anfrage eingeladen, das Doppelinstitut zu besuchen. Journalisten als Zaungäste im Seminar zum Hadith – der Überlieferung von Worten und Taten des Propheten Muhammad? Ein Student kann eine gewisse Skepsis der Presse gegenüber nicht verhehlen, seinen Namen möchte er lieber nicht nennen. Er habe die Erfahrung gemacht, dass viele Medien klischeehaft und verkürzend über Muslime und den Islam berichten, sagt er. Hierfür will er ungern als Stichwortgeber dienen.
Mohammad Gharaibeh, sein Professor, hat Verständnis für die vorsichtige Haltung. Muslime würden in weiten Teilen der Mehrheitsgesellschaft noch immer als „die Anderen“ wahrgenommen, sagt Gharaibeh, der am jüngsten Institut der Humboldt-Uni vorerst noch als Gastprofessor zu Fragen islamischer Ideengeschichte lehrt.
Für viele Akteure aus Politik, Gesellschaft und Medien seien die Attribute „deutsch“ und „muslimisch“ nach wie vor nicht zu vereinbaren. Hierzulande diskutiere man über „die Muslime“ oft nur im Kontext von Sicherheits- und Migrationsfragen, sagt der Theologe. „Muslime müssen endlich selbstverständlicher werden. Ich hoffe, dass die Gründung des Berliner Instituts hierzu einen kleinen Beitrag leisten kann.“
Eurozentrische Betrachtungsweisen
Doch auch gegenüber dem Lehrprogramm des Islam-Instituts selbst äußern Studierende Vorbehalte – etwa den, dass die dezidiert islamtheologischen Stimmen am Institut eventuell zu kurz kommen könnten. Tatsächlich ist zum Beispiel Almila Akcas Forschung zur zeitgenössischen religiösen Alltagspraxis wohl eher ein kulturwissenschaftliches als ein genuin theologisches Unterfangen. So fürchtet ein 20-jähriger Student, der gerade aus NRW nach Berlin gezogen ist, um am BIT Islamische Theologie zu studieren, das Institut könne womöglich unter falscher theologischer Flagge eine Fortsetzung der bekenntnisfreien Islamwissenschaft mit anderen Mitteln betreiben.
Außerdem müsse man darauf achten, dass in den Vorlesungen und Seminaren keine postkolonialen und orientalistischen Diskurse bedient würden, die die Muslime vornehmlich aus westlicher Perspektive, und somit verzerrend, von außen, beschreiben, sagt der junge Mann.
Doch auch wenn er eine gewisse Skepsis hat, was den theologischen Gehalt und einen vermeintlich eurozentrischen „Bias“ des Lehrangebots betrifft, freut sich der Student aus NRW doch über die Gründung des Berliner Instituts. So bald wie möglich will er in den Lehramtsstudiengang für Islamische Theologie wechseln, der im nächsten Wintersemester an den Start gehen soll.
Dabei sei es durchaus bereichernd, mit den katholischen Theologen in einem Haus zu sein, die ihm ohnehin nicht fremd sind, wie er sagt. „In der Debatte werden manchmal Gegensätze konstruiert, die in Wirklichkeit kaum existieren.“ Auch würde er sich über intensiven Austausch mit jüdischen Theologen freuen. Denn gerade in der Religionspädagogik des 21. Jahrhunderts sei Perspektivenvielfalt unbedingt geboten.
Männer und Frauen gemeinsam im Gebetsraum
Für Almila Akca sind Perspektivenvielfalt und „Polyvokalität“ ohnehin die alles entscheidenden Begriffe. Die Sorge der Studierenden vor eurozentrischen Betrachtungsweisen kann die Theologin verstehen – sie hält sie aber dennoch für unbegründet. So könne man mit ethnografischen, kulturwissenschaftlichen und soziologischen Methoden auf religiöse Phänomene schauen, ohne die theologische Bedeutung damit preiszugeben. Um diesen Gedanken anschaulich zu machen, erzählt sie eine Anekdote aus ihrer empirischen Forschung.
Einmal beobachtete Akca, wie sich bei einer Feier in einem Moscheeraum allmählich der blickdichte Vorhang verzog, der Männer und Frauen noch während des Gebets sauber voneinander getrennt hatte. Die beiden Gruppen wurden sichtbar füreinander und mischten sich nach dem Gebet. „Nach normativer Vorstellung ist so etwas in einem Gebetsraum nicht möglich“, sagt die Wissenschaftlerin. In der religiösen Alltagspraxis aber würden die Menschen sich nur selten ausschließlich am Wortlaut von Koran, Bibel oder Tora orientieren.
Anders nun als ein kulturwissenschaftlicher Ansatz, der diesen Umstand lediglich beschreibt, nimmt die Theologie in den Blick, was das konkret für den Glauben bedeutet. Theologisch könnte man schlussfolgern, dass über eine buchstabengetreue Exegese von Texten hinaus eben auch kulturelle Praktiken von Belang sind, wenn man menschliche Beziehungen zu Gott deuten will. „Die Menschen in dem Gebetsraum haben eine Gemeinschaft gefühlt, sie haben aus ihrem alltagskulturellen Handeln heraus eine erbauliche Erfahrung gewonnen“, sagt Akca.
Muslimische Stimmenvielfalt war lange die Regel
Überhaupt diese leidige Sache mit der Wahrheit. Bis zum Anbruch der Moderne war in der islamischen Welt ein bunter Strauß theologischer Perspektiven die Regel. Zentralkirchliche Strukturen und Autoritäten wie im Christentum konnten im Islam zu keiner Zeit reüssieren. Mit Beginn des Kolonialismus sei auch das westliche Prinzip einer exklusiven Wahrheit in die islamischen Gesellschaften importiert worden, sagt Akca. „Natürlich gab es mitunter auch vorher schon Bestrebungen, absolute Wahrheiten durchzusetzen. Mit Beginn der Moderne verstärkt sich dies aber.“ Vor allem von staatlicher Seite sei nun versucht worden, ein allgemeines Religionskonzept zu stricken.
Für einen historischen Blick auf die Theologie plädiert auch Mohammad Gharaibeh. Sein Forschungsfeld ist die islamische Ideengeschichte der postklassischen Epoche, insbesondere die Phase zwischen 1200 und 1800 christlicher Zeitrechnung. Gharaibeh geht es wesentlich darum, genuin religiöse Inhalte – wie die muslimische Ethik – von ihrem historischen Ballast – etwa einer kontextgebundenen Rechtsprechung – zu befreien, die man seinerzeit aus Legitimationsgründen islamtheologisch begründete. „Die Theologie war natürlich von ihrem historischen und sozialen Umfeld beeinflusst und ist nicht einfach eins zu eins auf die heutige Zeit übertragbar“, sagt der Forscher.
Ideologischer Blick in die Vergangenheit
Ein ideologischer Blick in die Vergangenheit laufe letztlich immer Gefahr, Geschichte zu verklären, um aktuellen Lebens- und Handlungsformen den Anschein zeitloser Gültigkeit zu geben. Er selbst will weg von der Frage „was ist oder war der Islam?“. Was Mohammad Gharaibeh vor allem interessiert, ist, welche Umstände das Denken muslimischer Gelehrter jeweils beeinflusst haben; warum diese Ideen sich durchgesetzt haben und andere eben nicht. „Ich möchte die Produktion von Wissen und die Auslegung der Religion vor dem lebensweltlichen Kontext der Akteure analysieren.“ Auf diese Weise könne man die Vielfältigkeit der muslimischen Gelehrtengeschichte sowie die historische Wandelbarkeit und soziale Anpassungsfähigkeit islamischer Theologie aufzeigen, sagt Gharaibeh.
Auch der Austausch zwischen sunnitischen und schiitischen Perspektiven – ein bundesweit einmaliges Programm der Berliner Islamtheologie – sei viel besser möglich, wenn man nicht von nur einer Tradition ausgehe. So ist etwa die Frage, wie man mit dem prophetischen Material umgehen soll, welche Aussprüche auf Muhammad zurückgehen und welche nicht, von Sunniten und Schiiten sehr unterschiedlich beantwortet worden. Beide aber fragen nach der Authentizität überlieferter Worte und Taten.
Das Seminar zur prophetischen Tradition geht zu Ende und der Student mit der skeptischen Haltung zur Presse erklärt den Gästen die Hadith-Analyse: „Es ist wie im Journalismus – am Anfang steht das Überprüfen von Quellen.“
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