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Am Tag der offenen Moscheen 2015 in der Berliner Sehitlik-Moschee spricht ein Vertreter der Moschee mit Besuchern.
© Thilo Rückeis

Neues Berliner Islam-Institut: „Bei uns studiert man eine Theologie der Vielfalt“

Michael Borgolte, Direktor des Islam-Instituts an der Humboldt-Uni, verspricht Professoren, die mit der Gesellschaft „in den Dialog treten“. Ein Interview.

Michael Borgolte ist Mittelalterhistoriker und Gründungsdirektor des neuen Instituts für Islamische Theologie an der Humboldt-Universität, das Anfang Oktober eröffnet wird.

Herr Borgolte, in wenigen Tagen beginnt der Studienbetrieb am neu gegründeten Institut für Islamische Theologie der Humboldt-Universität. Was erwartet die Studierenden dort?
Die Möglichkeit, erstmals in Berlin Islamische Theologie zu studieren – zunächst im Mono- oder Kombinationsbachelor. Der Studiengang ist bundesweit einzigartig, weil man bei uns eine „Theologie der Vielfalt“ studiert. Zum einen werden die sunnitische und die schiitische Strömung vergleichend behandelt, das gibt es bundesweit sonst nirgendwo. Zum anderen ist das Studienprogramm – wie international üblich – historisch ausgerichtet. Aber das soll unsere Studierenden befähigen, sich aufgrund einer soliden Kenntnis der islamischen Geistes- und Kulturgeschichte an aktuellen theologischen und gesellschaftlichen Debatten zu beteiligen.

Der Lehrbetrieb allerdings startet mit Vertretungsprofessuren und Lehrbeauftragten. Warum liegen Sie als Gründungsdirektor beim Zeitplan hinterher?
Das kann man niemandem vorwerfen. Normalerweise dauern Berufungsverfahren, an denen ja verschiedene universitäre Gremien, die Wissenschaftsverwaltung und – in den Theologien – theologische Instanzen beteiligt sind, im Schnitt mindestens zwei Jahre. Wir haben es in einem Jahr und sechs Monaten geschafft. Sowohl der Akademische Senat als auch die Senatskanzlei Wissenschaft haben ungewöhnlich schnell über die Berufungslisten entschieden.

Eine abgeschlossene Berufung können Sie gleichwohl nicht vorweisen.
Zu den drei Gastprofessuren gehören zwei, die jeweils auf Platz eins der Listen stehen und ihre Rufe erhalten haben. Sie sind noch in Verhandlungen mit der Universität, treten aber schon an – als Vertreter ihrer künftigen Professur. Das ist international gang und gäbe. Den Studierenden entsteht dadurch kein Nachteil.

Welche Rolle spielt dabei der Beirat? Von der Opposition im Abgeordnetenhaus, aber auch von den Grünen und von Vertreterinnen des progressiven Islam wurde ja immer wieder kritisiert, dass ausschließlich konservativ ausgerichtete Verbände beteiligt sind. Hat er seine Bewährungsprobe bestanden, als es in den vergangenen Wochen um die theologische Zustimmung zu den Professuren ging?
Wenn es Aufgabe des Beirates ist, über die Berufungsvorschläge des Landes zu befinden, hat er seine Aufgabe erfüllt. Von den bisher vorliegenden sechs Vorschlägen hat der Beirat fünf akzeptiert. Auch diesem Gremium ist nicht vorzuwerfen, dass es diese Vorschläge verschleppt hätte, obwohl die Fristen sehr knapp und insofern diskussionswürdig waren. Dass der sechste Vorschlag noch nicht behandelt worden ist, hat terminliche und keine sachlichen Gründe.

Gab es denn auch sachliche Diskussionen?
Ich bin kein Mitglied des Beirats, aber bei den Sitzungen anwesend. Sagen kann ich, dass die Diskussionen konzentriert und konstruktiv waren. Satzungsgemäß konnte es nur darum gehen, ob gegen Kandidatinnen und Kandidaten religiöse Einwände bestehen. Im Ergebnis hat der Beirat dahingehend allen Vorschlägen zugestimmt. Damit hat sich das Prinzip der Bestenauslese, von dem sich die Berufungskommissionen haben leiten lassen, durchgesetzt. Wenn die Namen aller Berufenen bekannt sind, wird man feststellen, dass ein anders zusammengesetzter Beirat keine bessere Entscheidung hätte treffen können.

Michael Borgolte, Mittelalterhistoriker und Gründungsdirektor des neuen Instituts für Islamische Theologie an der Humboldt-Universität.
Michael Borgolte ist Gründungsdirektor des neuen Instituts für Islamische Theologie an der Humboldt-Universität.
© Matthias Heyde/HU

Wie erleben Sie die verbandsunabhängigen muslimischen Vertreter im Beirat? Von Jamal Malik, Professor für Islamwissenschaft an der Universität Erfurt, und Schirin Amir-Moazami, Professorin am Institut für Islamwissenschaft an der FU Berlin, wurde erwartet, dass sie als liberales Gegengewicht zu den konservativen Verbänden fungieren könnten.
Die Erwartung, dass die unabhängigen Vertreter ihre wissenschaftliche und religiöse Kompetenz einbringen können, ist voll erfüllt worden. Man kann aber nicht von Parteibildungen im Beirat sprechen. Es geht sichtbar allen Mitgliedern darum, das Institut aus der Taufe zu heben und alle Fragen möglichst sachlich zu regeln. Zur konstruktiven Atmosphäre haben auch die Vertreter der Humboldt-Uni, Altbischof Wolfgang Huber und Vizepräsidentin Eva Inés Obergfell, erheblich beigetragen.

Was bedeuten die bisher diskutierten und abgesegneten Berufungen für die Zukunft des Instituts – wie wird es auf Professorenseite ausgerichtet sein?
Wenn die sechs Personen, die jeweils auf Platz eins stehen, ihre Rufe annehmen, haben wir eine optimale Zusammensetzung von drei erfahrenen Professorinnen und Professoren und drei jüngeren. Nach dem jetzigen Stand sind es zwei Frauen und vier Männer. Das oberste Kriterium bei der Auswahl war wissenschaftliche Exzellenz. Hinzu kam, dass sie an ihrer Bereitschaft zur vergleichenden Theologie zwischen den Glaubensrichtungen und zur starken historischen Dimension mit dem Fokus auf gegenwärtige gesellschaftliche Probleme gemessen wurden. Wichtig war uns auch, dass die Kandidaten bereit und in der Lage sind, mit der interessierten und kritischen Öffentlichkeit – der muslimischen ebenso wie der nichtmuslimischen – in den Dialog zu treten. Und dass sie mit den anderen Theologien kooperieren wollen.

Was können Sie über die beiden Gastprofessoren sagen, die sich ab Oktober selbst vertreten?
Serdar Kurnaz, der islamisches Recht lehrt, ist Juniorprofessor an der Akademie der Weltreligionen in Hamburg. Er kommt von der Universität Frankfurt und war nach der Promotion zunächst Leiter eines islamtheologischen Instituts in Fribourg in der Schweiz. Zwischenzeitlich war Kurnaz als Einziger unserer Lehrenden auch als Imam tätig. Mohammad Gharaibeh, der Islamische Ideengeschichte unterrichten wird, kommt aus Bonn, wobei er zuletzt eine Professur in Hamburg vertreten hat. Er ist geisteswissenschaftlich ausgerichtet. Sein Schwerpunkt ist die wenig erforschte postklassische Periode ab dem 12. Jahrhundert.

Wie wird die Studierendenschaft aussehen?
Die Studierenden werden wir erst zu Beginn des Semesters kennenlernen. Beworben hatten sich 350, 250 sind zugelassen worden. Von ihnen haben sich aber wie in allen Fächern üblich viele für verschiedene Fachrichtungen beworben. Bis Mitte September hatten sich 40 bei uns immatrikuliert und wir rechnen damit, dass sich diese Zahl mindestens noch verdoppelt.

Wie viele von ihnen wollen ins Lehramt? Der geplante Studiengang für spätere Sekundar- und Gymnasiallehrkräfte musste ja vorläufig abgesagt werden, weil die Praxisplätze an den Schulen noch fehlen. Im kommenden Jahr soll dafür das Lehramtsstudium für die Grundschulen starten.
Wer von den Studierenden erst einmal mit dem Bachelor in Islamischer Theologie beginnt und dann die Lehramtsoption hinzuwählen will, muss sich noch zeigen. Es gibt am Institut einen Referenten, der die Studienberatung zu dieser Frage übernimmt und auch die weiteren Studiengänge mitentwickelt. Jedenfalls wollen wir von Institutsseite das Versprechen halten, dass das Grundschullehramt Herbst 2020 starten kann.

An der Humboldt-Universität werden keine Imame ausgebildet. Dass dies an den seit 2011 in Deutschland begründeten Islam-Theologien geschehen soll, ist ein populäres Missverständnis. Imame brauchen zwar eine theologische Ausbildung, müssen aber gleichzeitig von ihren Glaubensgemeinschaften und Moscheegemeinden auf das Amt vorbereitet werden. Gibt es Zeichen aus den Berliner Moscheegemeinden, dass sie potenzielle Imame an die HU entsenden wollen?
Dafür ist es noch zu früh. Das Institut muss erst einmal nachweisen, dass es gut arbeitet. Die Frage nach einer Imamausbildung mit Beteiligung staatlicher Universitäten drängt sich zwar auf, sie ist aber international nicht geklärt. In Analogie etwa zu den Priesterseminaren der katholischen Kirche müsste es auch in Deutschland islamisch-theologische Ausbildungsinstitute geben, mit denen wir dann eng kooperieren könnten. Anfang Oktober findet dazu eine internationale Tagung in Berlin statt, ausgerichtet von der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft in Frankfurt am Main.

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