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Eine junge Wissenschaftlerin hantiert in einem medizinischen Labor mit einer Pipette.
© Doris Spiekerman-Klaas

Appell an die Berlin University Alliance: Junge Forschende wollen vom Publikations-Stress befreit werden

Hoher Druck im Wissenschaftssystem: Promovierende sehen ihre seelische Gesundheit und die Qualität der Forschung in Gefahr - und schreiben einen offenen Brief.

Erwartungen an die Publikationsleistungen junger Forschender sollen heruntergeschraubt werden. Eine exzellente Betreuung von Promovierenden erfordert ein verpflichtendes Programm für Vorgesetzte. Und die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern brauchen ein Coaching zu ihrer Karriereplanung auch außerhalb der Forschung.

Diese Forderungen erheben junge Forschende, die an den Unis und in der Universitätsmedizin der Berlin University Alliance (BUA) promovieren, in einem offenen Brief an die Führungskräfte der BUA. Unterzeichnet ist das Schreiben, das dem Tagesspiegel vorliegt, von sechs Wissenschaftler:innen, deren Projekte von der BUA gefördert werden (hier der Brief im Wortlaut).

In einer ersten Reaktion versprach Sabine Kunst, Präsidentin der Humboldt-Universität und derzeitige BUA-Sprecherin, die Leitung des Universitätsverbunds werde sich "mit dem Anliegen der Nachwuchswissenschaftler*innen befassen und mit ihnen in den Dialog treten".

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Im Zentrum der Forderungen steht die Sorge um das psychische Wohlergehenden der Early Career Researchers (ECR), also der Forschenden auf einer frühen Karrierestufe. "Hinweise auf eine Krise der psychischen Gesundheit unter ECRs haben die Wissenschaft erschüttert", heißt es mit Bezug auf Studien in den USA.

Negativer Einfluss auf psychische Gesundheit

Diese zeigten eine "gegenüber der Normalbevölkerung sechsfach erhöhe Prävalenz von Depressionen und Angstzuständen unter fortgeschrittenen Studierenden".

Während der Promotion seien die Belastungen insbesondere durch den enormen Publikationsdruck so hoch, dass für diese Gruppe ähnliche Ergebnisse zu erwarten seien, schreiben die jungen BUA-Forschenden. Bei einer nicht repräsentativen Umfrage anlässlich einer Berliner Online-Konferenz für ECRs im Oktober 2020 mit rund 100 aktiv Teilnehmenden haben 63 Prozent der Befragten erklärt, die Arbeit an ihrer Dissertation habe einen "negativen Einfluss auf ihre psychische Gesundheit".

Studierende und Wissenschafter:innen laufen durch das Foyer einer Bibliothek.
Immer im Stress. Flüchtige Begegnungen in der geisteswissenschaftlichen Bibliothek der Freien Universität Berlin.
© IMAGO STOCK&PEOPLE

Die Konferenz stand unter dem Motto "(In)Credible Research - for credibility, integrity and reproducibility of research" (sinngemäß: (Un)Glaubwürdige Forschung - für Zuverlässigkeit, Integrität und Reproduzierbarkeit von Forschung). Genau diese Ziele aber sehen die Verfasser:innen des offenen Briefs in Gefahr.

"Das Wissenschaftssystem ist von einem permanenten Wettbewerb um knappe Ressourcen geprägt", heißt es. Das setze Forschende auf allen Karrierestufen unter Druck. Promovierende aber seien umso mehr betroffen, als dass sie auf Unterstützung aus diesem System angewiesen sind.

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Für drei zentrale Probleme müssten Lösungen gefunden werden: für den Termindruck bei der Anfertigung und Abgabe von wissenschaftlichen Publikationen, für fehlende Coachingangebote seitens der Hochschulen und für "unzureichendes Mentoring durch Vorgesetzte, die aufgrund vieler Verpflichtungen überlastet sind".

In der Summe würden diese Probleme zu einem Arbeitsumfeld führen, "dass als schädlich für die psychische Gesundheit und als Ursache für suboptimale Forschung erlebt wird". Gefordert wird deshalb von allen BUA-Einrichtungen, "ihre Anforderungen an eine Promotion kritisch zu hinterfragen und Erwartungen abzubauen, die nicht mit belastbarer, transparenter und glaubwürdiger Forschung vereinbar sind".

"Wir möchten Teil der Bewegung sein"

Darüber hinaus müssten die Universitäten und die Charité allen Promovierenden "sinnhafte Coachingprogramme" für Schlüsselqualifikationen in der wissenschaftlichen Arbeit und für Karrierewege innerhalb sowie außerhalb der Universitäten anbieten. Dafür sollten die BUA-Institutionen verbindliche Regeln aufstellen, nach denen genug Geld und Zeit für solche Angebote eingeplant werden.

Das Ziel der BUA, die Qualität der Forschung zu verbessern, sei den Unterzeichnenden bekannt, sagt Majed Kikhia, PhD-Student in der Experimentellen Neurologie an der Charité und einer der Erstunterzeichner. "Wir möchten jedoch ein Teil dieser Bewegung sein."

Ein Nachbild des Bettenturm und anderer Gebäude der Charité.
Nachts in der Charité. Licht ist auch in vielen Laboren und Arbeitsräumen von Nachwuchswissenschaftler:innen.
© Paul Zinken/dpa-Zentralbild/dpa

Bislang aber sei die Forschung an der BUA - wie im gesamten Wissenschaftssystem - ergebnis- und nicht qualitätsorientiert. "Das System zwingt dich zur Wissenschaftsproduktion minderer Qualität", kritisiert Kikhia.

Unterstützt werden die Promovierenden von Ulrich Dirnagl, Gründungsdirektor des QUEST am Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIG). QUEST steht für „Quality, Ethics, Open Science, Translation“, das Zentrum soll die Qualität und Reproduzierbarkeit von biomedizinischer Forschung steigern.

"Der immense Publikationsdruck, die kurzen Anstellungsverträge und die geringe Aussicht auf eine Dauerstelle im Wissenschaftssystem führt nicht nur zu teils fragwürdigen Forschungsergebnissen, sondern auch zu massiven psychischen Belastungen insbesondere bei den Promovierenden, aber auch den Postdocs und jungen Gruppenleitern", sagte Dirnagl dem Tagesspiegel.

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Der Druck habe in der letzten Dekade kontinuierlich zugenommen "und mittlerweile höchst bedenkliche Ausmaße angenommen". Das führe nicht nur zu massiven Qualitätsproblemen in der Forschung, sagt Dirnagl. "Wir verlieren deshalb auch viele junge Talente, weil sie sich frustriert abwenden und die Wissenschaft verlassen."

"Starke Nachfrage" zum Thema Mental Health

Einige der sehr guten Vorschläge der jungen Forscher seien in der Tat bereits auf der Agenda der BUA. "Wir müssen diese jetzt aber auch ganz konkret und akut umsetzen!", fordert auch Dirnagl.

Die Spitze der Berlin University Alliance zeigt sich offen für Veränderungen: "Als BUA sind wir uns – gerade in Zeiten der Pandemie - bewusst, dass Mental Health ein zunehmend wichtiges Thema in der Hochschullandschaft ist, dem wir innerhalb unseres Schwerpunktthemas „Promoting Talent“ besondere Beachtung schenken", erklärte HU-Präsidentin und BUA-Sprecherin Sabine Kunst auf Anfrage.

Beim bestehenden Bildungsangebot für die Promovierenden hätten die Universitäten bereits "eine starke Nachfrage nach Fragestellungen zum Thema Mental Health wahrgenommen". Im Rahmen der BUA sollten die Promotionsbedingungen harmonisiert und verbessert werden, so Kunst. "Wir sind mit allen beteiligten Verbundpartnerinnen im Gespräch, um konkrete Projekte ins Leben zu rufen, die sich dem Thema langfristig widmen."

Der offene Brief trage mittlerweile die Unterschriften von 57 Teilnehmenden der "(In)Credible Research"-Konferenz, sagt Majed Kikhia. Doch in die Klage der BUA-ECRs würden zweifellos sehr viel mehr junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einstimmen.

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