Drei-Eltern-Baby: Ihr Kinderlein kommet
In Großbritannien ist es nun ausdrücklich erlaubt, Drei-Eltern-Babys auszutragen – wenn es dafür gute Gründe gibt. Eine Zusammenfassung.
Mutter, Vater, Eizellspenderin. Kinder, die mit einer neuen Variante der künstlichen Befruchtung gezeugt werden, werden oft als „Drei-Eltern-Baby“ bezeichnet. Großbritannien hat diese Technik nun als erster Staat weltweit ausdrücklich erlaubt – nach dem Parlament hat die Kontrollbehörde HFEA grünes Licht gegeben, dass solche Embryonen nicht nur im Labor gezeugt, sondern auch ausgetragen werden dürfen. Die Voraussetzungen sind, dass die Eltern sonst ein sehr hohes Risiko hätten, eine tödliche und unbehandelbare Erbkrankheit weiterzugeben, dass die Präimplantationsdiagnostik für sie nicht sinnvoll ist und dass die Gesundheit der Kinder in klinischen Studien beobachtet wird. Britische Kliniken können sich ab sofort um eine entsprechende Lizenz bewerben, im Frühjahr 2017 wollen Experten der Universität Newcastle die ersten Paare behandeln. Die Technik birgt allerdings bioethischen Sprengstoff, schließlich ist es ein Eingriff in die Keimbahn: Mädchen geben die Veränderung an alle künftigen Generationen weiter.
Um welche Erbkrankheiten geht es?
Eines von 5000 Kindern kommt mit fehlerhaften Mitochondrien zur Welt. Mitochondrien haben vor mehr als zwei Milliarden Jahren ihre eigenständige Existenz als Bakterien aufgegeben. Im Laufe der Evolution wurden sie stattdessen zu Mitbewohnern in den Zellen jeder Spinne und jedes Sperlings, jedes Menschen und jedes Marders, jeder Primel und jedes Pilzes. Sie haben die Energieversorgung übernommen, einen enorm wichtigen Dienst. Manche Forscher meinen, dass diese Wohngemeinschaft die Vielfalt des Lebens auf der Erde erst ermöglicht hat. Nach wie vor haben Mitochondrien ihr eigenes Erbgut: 37 Gene. Beim Menschen ist es unter anderem für Herz, Hirn und Muskeln ungünstig, wenn zu viele der durchschnittlich 1000 hilfreichen Hausgäste pro Zelle durch einen Erbgutdefekt zu schwach sind oder ganz ausfallen. Sind mehr als 20 Prozent der Zellkraftwerke betroffen, brechen mitochondriale Krankheiten wie das Leigh-Syndrom aus. Mitunter sind die Kinder bereits als Baby ungewöhnlich still und bewegen sich kaum. Sie können schlecht schlucken und haben Probleme beim Atmen, es kommt zu Entwicklungsverzögerungen und epileptischen Anfällen. Heilung gibt es nicht. In vielen Fällen sind Eltern verdammt, ihrem Kind beim Sterben zuzusehen. Wenn die Mutter abermals schwanger wird, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es ihm ebenso ergehen wird. Damit Eltern diese Lotterie erspart bleibt, haben Forscher um Shoukrat Mitalipov von der Oregon Health and Science University in den USA und Doug Turnbull von der Universität Newcastle in Großbritannien neue Varianten der künstlichen Befruchtung entwickelt. Schätzungen zufolge könnten sie 150 Frauen pro Jahr helfen.
Was sind das für Varianten der künstlichen Befruchtung?
Im Labor kann man die schadhaften Zellkraftwerke der Mutter gegen die gesunden Mitochondrien einer Eizellspenderin austauschen. Die Väter vererben keine Mitochondrien. Bei Mitalipovs Spindel-Transfer-Methode entfernen Ärzte zunächst aus der Eizelle einer Spenderin alle Chromosomen. Es bleibt nur die Hülle mit den gesunden Energielieferanten im Zellplasma übrig. Aus der Eizelle der Mutter wird dann der Zellkern mit ihrem Erbgut vorsichtig entnommen (dieser Schritt ist auf den Fotos zu sehen). Dieser Zellkern wird in die vorbereitete Hülle eingefügt. Anschließend wird das rekonstruierte Ei künstlich befruchtet. Beim Vorkern-Transfer, den das Team um Turnbull perfektioniert, werden Ei- und Samenzelle der Eltern in der Petrischale verschmolzen. Anschließend wird der Vorkern isoliert und in die leere Hülle einer befruchteten Spender-Eizelle eingefügt. Beide Methoden dürfen nun in Großbritannien angewendet werden.
Haben die Kinder wirklich drei Elternteile?
Wird ein Baby so gezeugt, stammen mehr als 20 000 seiner Gene von Mutter und Vater. Sie werden seine Persönlichkeit formen. Die anonyme Eizellspenderin beeinflusst weder Augenfarbe noch Charakter noch irgendeine andere Eigenschaft. Ihre 37 Mitochondrien-Gene sollen nur dafür sorgen, dass die Zellkraftwerke gesund sind. Es geht um einen so geringen Prozentsatz des Erbguts, dass das Wort vom „Drei-Eltern-Baby“ fragwürdig ist. Dennoch hat es sich international in der öffentlichen Debatte durchgesetzt. Die meisten Wissenschaftler bevorzugen dagegen den weniger emotionalen Begriff „Mitochondrien-Ersatz-Therapie“.
Wie bewerten Ethiker diese Methoden?
In der Debatte geht es weniger um die drei Elternteile. Anders als bei der Präimplantationsdiagnostik (PID) wird auch kein gesunder Embryo ausgewählt und ein kranker Embryo verschmäht. Vielmehr soll ein und derselbe Embryo quasi während der Zeugung geheilt werden. Prinzipielle Einwände in Bezug auf die menschliche Würde oder die Naturwidrigkeit des Eingriffs seien nicht überzeugend, sagt Guido de Wert, Professor für Ethik in der Reproduktionsmedizin an der Universität Maastricht. Allerdings handele es sich um einen Eingriff in die Keimbahn zukünftiger Generationen. Die Veränderungen – egal ob man diese als Austausch von Erbmaterial oder als gentechnischen Eingriff bewertet – kann man nicht mehr rückgängig machen. Mädchen geben sie an alle ihre Nachkommen weiter, auch wenn sich unerwartete Nebenwirkungen ergeben. Eine Kommission der Nationalen Akademien der Wissenschaften in den USA kam daher zu dem Schluss, dass bei der Therapie nur männliche Embryonen ausgetragen werden sollten. So blieben die Auswirkungen auf das jeweilige Kind beschränkt. Die zwei Varianten künstlicher Befruchtung dürfen in den USA allerdings noch nicht angewendet werden, weil der von den Republikanern dominierte Kongress die Zulassungsbehörde FDA blockiert.
Gibt es aus ethischer Sicht einen fundamentalen Unterschied zwischen Interventionen in mitochondriales Erbgut auf der einen Seite und Eingriffen in die Zellkern-DNS auf der anderen, fragt de Wert zudem mit Blick auf die gezielte Veränderung des Erbguts mithilfe der Gen-Schere Crispr, die in Zukunft möglich werden könnte. „Eine bejahende Antwort erscheint mir problematisch.“
Die Risiken für die Kinder sind nicht ausreichend erforscht
Wie kam es zu der Entscheidung in Großbritannien?
2011 begann ein Konsultationsprozess mit öffentlichen Anhörungen, Diskussionen, Bürgerbefragungen und einer Internetplattform. Alle Bürger und Interessengruppen waren aufgerufen, ihre Kommentare abzugeben, die so angestoßene Debatte verlief weitgehend unaufgeregt. Im Februar 2015 haben die Abgeordneten des britischen Unterhauses dann mit 382 zu 128 Stimmen für die „Mitochondrien-Ersatz-Therapie“ votiert. Nachdem die Aufsichtsbehörde HFEA die Risiken des Eingriffs nochmals bewertet hatte, gab sie nun grünes Licht für klinische Studien. Es sei eine „historische Entscheidung“, sagte die HFEA-Vorsitzende Sally Cheshire. Es werde das Leben der betroffenen Familien verändern. Die Behörde erteilt nun nicht nur die Lizenzen für die Kliniken. Ein Komitee wird zusätzlich jeden Einzelfall prüfen.
Die Forscher aus Newcastle, die in ihrem Zentrum für mitochondriale Krankheiten unter anderem das Schicksal von rund 1300 Patienten verfolgen, wollen sich umgehend um eine Lizenz bewerben. Ihr Ziel ist es, ab März 2017 jährlich rund 25 Paaren zu einem gesunden, genetisch verwandten Kind zu verhelfen. Die Paare würden ausführlich beraten, ihnen wird eine pränatale Diagnostik angeboten, außerdem werde die Gesundheit der Kinder langfristig dokumentiert. „Die Mitochondrienspende sollte zu einem vom National Health Service finanzierten Paket für Familien mit mitochondrialen Leiden gehören“, sagte Doug Turnbull von der Universität Newcastle dem „Guardian“.
Wäre das in Deutschland erlaubt?
Zwar verbietet das deutsche Embryonenschutzgesetz die Verwendung einer menschlichen Keimzelle mit künstlich veränderter Erbinformation zur Befruchtung. Doch als Strafgesetz muss es wortwörtlich ausgelegt werden, betont Jochen Taupitz, Jurist an der Universität Mannheim. Schon über die Frage, ob der isolierte Zellkern einer unbefruchteten Eizelle noch als Keimzelle zu werten sei, werde gestritten. Ähnlich kontrovers werde diskutiert, ob bei der Technik eine Veränderung des Erbguts im Sinne des Gesetzes stattfinde oder nicht vielmehr ein Austausch. „Mit anderen Worten: Die Rechtslage ist keineswegs klar“, sagt er. Verboten sei dagegen die Eizellspende einer anderen Frau und der Vorkern-Transfer. Schließlich werde dabei, sofern sich die Membrane des Vorkerns in der gespendeten Zelle bereits aufgelöst haben, ein Embryo zerstört. „Das wäre ein Verstoß gegen das Verbot der missbräuchlichen Verwendung von Embryonen“, sagt Taupitz.
Welche Risiken gibt es für die Kinder?
Bisherige Experimente an Zelllinien, Mäusen und Affen reichten nicht aus, um drohende Gesundheitsschäden für die Kinder einzuschätzen, warnt Klaus Reinhardt, Evolutionsbiologe an der Technischen Universität Dresden. „Die Gene in den Mitochondrien und im Zellkern beeinflussen sich gegenseitig.“ Passen sie nicht zueinander, könne ihr ständiger Informationsaustausch gestört werden. Bei Taufliegen führe das zum Beispiel zu Unfruchtbarkeit. Er plädiert für einen Test ähnlich wie bei Organspenden, damit die verwendete Eizellhülle ein ähnliches genetisches Profil wie die Zellen der Mutter hat.
Der Abgleich könnte aus einem weiteren Grund wichtig werden. Denn es werden immer einige „kranke“ Mitochondrien der Mutter mit der Pipette angesaugt und geraten als Trittbrettfahrer in die Eizellhülle der Spenderin. Bei geübten Forschern sind das zwar weniger als zwei Prozent. Trotzdem können sich die kranken Mitochondrien in seltenen Fällen durchsetzen, berichteten Mitalipov und seine Kollegen kürzlich im Fachblatt „Nature“. Mitalipovs Team hatte den Spindel-Transfer mit Eizellen von vier Patientinnen und elf gesunden Frauen erprobt. Die Embryonen durften nicht ausgetragen werden, deshalb haben die Forscher stattdessen Stammzellen daraus gewonnen und wochenlang beobachtet. In 13 Zelllinien betrug der Anteil der kranken Mitochondrien am Ende des Experiments weniger als ein Prozent. Doch zwei Zelllinien waren nur vorübergehend gesund, dann haben sie sich in den kranken Zustand zurückverwandelt. Die Mitochondrien der Mutter hatten offenbar einen Wettbewerbsvorteil und konnten sich besser vermehren. „Der Prozess ist komplexer, als wir dachten“, sagt Mitalipov. Er hofft, dass das Phänomen den künstlichen Bedingungen im Labor geschuldet ist. Bei Versuchen mit Makaken und Mäusen habe sein Team so etwas noch nie gesehen. Dennoch müsse man die Patientinnen darauf aufmerksam machen, dass die Behandlung schiefgehen kann. „Wir wollen nun verstehen, wie es zu der Rückverwandlung kommt und sie in Zukunft mithilfe eines Kompatibilitätstests verhindern“, sagt er.
Werden 2017 die ersten Drei-Eltern-Babys geboren?
Im April 2016 ist bereits ein augenscheinlich gesunder Junge zur Welt gekommen, der mithilfe des Spindel-Transfers gezeugt worden ist. Seine Mutter hatte zuvor vier Fehlgeburten, berichtete der „New Scientist“. Ein Baby verlor sie mit acht Monaten, eine Tochter wurde sechs Jahre alt. Beide litten am Leigh-Syndrom. Das jordanische Paar wollte trotzdem noch ein Kind und wandte sich an das Team um John Zhang vom New Hope Fertility Center in New York. Seine Kollegen und er könnten ihnen in Mexiko helfen, sagte er. Nach fünf Versuchen entstand ein gesunder Embryo, ihn setzten Forscher um Alejandro Chavez-Badiola vom mexikanischen New Hope Fertility Center der Frau ein. Der Anteil der versehentlich übertragenen kranken Mitochondrien lag bei rund fünf Prozent, berichtete Zhang auf einem Kongress der amerikanischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin. Nach der Geburt sei der Anteil in manchen Geweben auf 9,2 Prozent gestiegen, in anderen waren die kranken Mitochondrien gar nicht nachweisbar. Wo es wirklich darauf ankommt – in Herz und Hirn –, konnten die Forscher dem Baby freilich keine Proben entnehmen. Sie werten das Ergebnis als Erfolg. 2017 sollen an der Klinik 20 weitere Frauen behandelt werden, kündigte Chavez-Badiola in der Zeitschrift „New Scientist“ an.
Wie haben andere Forscher auf das Voranpreschen reagiert?
Das Ausweichmanöver nach Mexiko, wo es keine expliziten Vorschriften für den Mitochondrien-Transfer und künstliche Befruchtungen gibt, löste heftige Kritik aus. Andere Fruchtbarkeitskliniken könnten ebenfalls vorpreschen, kommentierte der Stammzellforscher Dusko Ilic vom King’s College London. „Das könnte gefährlich sein, weil Patienten dann dort Hilfe suchen, wo es die wenigsten Regeln gibt.“ Das bestätigen Berichte aus der Ukraine. Ärzte in Kiew haben den Vorkern-Transfer Frauen angeboten, deren Embryonen sich nach der ersten Zellteilung nicht mehr entwickelten. Ihren Eizellen fehlten möglicherweise wichtige Enzyme, die im Zellplasma der gespendeten Eizellhülle enthalten wären, so die nicht belegte These der Ärzte. Zwei Frauen seien dank dieser Variante der künstlichen Befruchtung nun schwanger und würden Anfang 2017 einen Jungen und ein Mädchen gebären. Etliche weitere stünden bereits auf einer Warteliste. Diese Anwendung würde die experimentelle Technik in ein Feld katapultieren, das deutlich mehr Frauen betrifft als mitochondriale Leiden. Etwa die Hälfte aller künstlichen Befruchtungen scheitert, weil der Embryo nicht wächst. Reinhardt hält alle diese Versuche für verfrüht: „Hier wird der Wunsch der Eltern nach einem eigenen Kind über das Kindeswohl gestellt.“