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Künstliche Befruchtung. Forscher und Ethiker diskutieren, wie stark eine Eizelle verändert werden darf, aus der später ein Mensch heranwachsen soll.
© MAURO FERMARIELLO/SCIENCE PHOTO

Fortpflanzungsmedizin: Keimende Kontroverse

Das Erbgut menschlicher Keimzellen zu verändern, gilt als Tabu. Nun wird diskutiert, ob solche Eingriffe in Einzelfällen erlaubt werden sollen. Tatsächlich wurde die Grenze in den USA bereits überschritten.

Alana sitzt am Klavier. Das 13-jährige Mädchen mit Sommersprossen und blonden Locken greift sicher in die Tasten. „Und sie spielt erst seit einem halben Jahr!“, platzt Sharon Saarinen stolz heraus. Der Applaus der Mutter ist dem Teenager sichtlich peinlich, aber aus Saarinen, Frisörin in einem Vorort von Detroit in den USA spricht nicht nur der übliche Elternstolz. Ihr ist die Erleichterung anzusehen, dass ihre Tochter eine begabte, aber ansonsten ganz normale Jugendliche geworden ist. Denn die Zeugung von Alana war alles andere als normal: Sie hat drei genetische Eltern.

Alanas Geschichte beginnt Ende der 1990er Jahre. Damals half der Reproduktionsmediziner Jacques Cohen am Institute for Reproductive Medicine and Science of St. Barnabas in New Jersey, den Eizellen unfruchtbarer Frauen mit einem Trick auf die Sprünge. Mit einer Pipette saugte er ein wenig Flüssigkeit aus den Eizellen fruchtbarer Frauen, Zellplasma, und spritzte es dann in die Eizellen der unfruchtbaren Frauen. Das funktionierte offenbar gut. 17 gesunde Kinder kamen mithilfe dieser Technik auf die Welt, das älteste ist heute 17 Jahre alt. Andere Reproduktionsmediziner in den USA kopierten die Methode, darunter Saarinens Arzt.

Allerdings hatte Cohens Methode einen Haken. Mit dem fruchtbaren Zellplasma übertrug der Arzt auch tausende darin enthaltene Mitochondrien. Das sind winzige Kraftwerke, die der Zelle ihre Energie liefern. Jedes dieser winzigen Organe hat sein eigenes Erbgut: 37 Gene, die sich von Mensch zu Mensch leicht unterscheiden können. In den Zellen der Kinder, die mit der Cohen’schen Methode gezeugt wurden, ist darum das Erbmaterial von drei Menschen enthalten, den beiden leiblichen Eltern und der Zellplasma-Spenderin.

Das mag nicht dramatisch klingen, doch für viele Ethiker ist damit eine rote Linie überschritten. Zum einen, weil der Genmix so auf natürliche Weise nie entstanden wäre. Zum anderen, weil Mütter die Mitochondrien an ihre Kinder weitergeben. Die Veränderung betrifft also auch folgende Generationen. Genetiker sprechen von einem Eingriff in die Keimbahn. Bislang verbieten das deutsche Embryonenschutzgesetz wie auch die Bioethischen Richtlinien der EU solche Eingriffe.

Ein britisches Expertengremium wird dem Parlament eine Gesetzesänderung empfehlen

Genau daran wird nun gerüttelt. Vermutlich noch in diesem Monat wird ein britisches Expertengremium, die Human Fertility and Embryology Authority (HFEA), dem Parlament eine Gesetzesänderung empfehlen. Der Vorschlag: Der Eingriff in die menschliche Keimbahn soll ausnahmsweise erlaubt werden – und zwar dann, wenn die Kinder von der Mutter defekte Mitochondrien erben würden. Der dadurch entstehende Energiemangel in Muskel-, Nerven- und anderen Zellen kann zu zahlreichen unterschiedlichen Erkrankungen führen. Etwa eines von 4000 Kindern leidet unter einer solchen Mitochondrien-Krankheit. Viele von ihnen sind schwer behindert oder sterben sogar daran. Zumindest einige dieser Kinder könnten davor bewahrt werden, wenn die kranken Mitochondrien der Mutter durch gesunde ersetzt würden. Was bei Alana zufällig passierte, wäre dann eine gezielte Therapie. Doch das Vorgehen ist umstritten.

Auch in Deutschland wurde am Donnerstag im Ethikrat teils emotional debattiert. Auf der einen Seite steht der berechtigte Wunsch von Eltern, gesunde Kinder zu bekommen. Vor allem, wenn diese Eltern schon schwerbehinderte Kinder haben. „Alles wäre besser als der Status quo“, sagt die Patientenvertreterin Karin Brosius. Auf der anderen Seite steht der ethische Anspruch, das menschliche Erbgut ungeachtet neuer technischer Eingriffsmöglichkeiten auch für künftige Generationen unangetastet zu lassen. „Es geht um die grundsätzliche ethische Abwägung, ob ein Eingriff in die menschliche Keimbahn überhaupt gestattet werden soll“, sagt Wolf-Michael Catenhusen, Mitglied des Ethikrats und für die SPD einst einer der Konstrukteure des deutschen Embryonenschutzgesetzes. Er befürchtet einen „Dammbruch“: Wenn das Mitochondrien-Erbgut für einen bestimmten Zweck antastbar wird, dann sei kaum noch zu begründen, warum nicht auch Gene des Kerngenoms unter bestimmten Bedingungen verändert werden sollten.

Für Sharon und Alana Saarinen war das ein Glück: „Ohne diese Prozedur hätte ich nie ein Kind bekommen“.

Die neue Methode wurde unter anderem von Mary Herbert an der University of Newcastle entwickelt. Bei der sogenannten Vorkern-Transfer-Technik (siehe Grafik) wird das Erbgut von Vater und Mutter in eine Spendereizelle übertragen, deren Erbgut vorher entfernt wurde. Daraus entsteht ein Embryo, in dem (fast) alle Mitochondrien von der Spenderin stammen – und nicht mehr von der Mutter, deren Mitochondrien defekt sind und die Erbkrankheit übertragen würden. Derzeit nutzt Herberts Team zu Forschungszwecken gespendete menschliche Eizellen, um die Technik zu perfektionieren und zu beobachten, wie sich die manipulierten Embryonen in den ersten sechs bis sieben Tagen entwickeln. Dann werden die Embryonen entsorgt. Herbert will damit „die Information zur Verfügung stellen, die das Parlament braucht, um eine Entscheidung zu treffen.“ Sie glaubt nicht, dass ihre Prozedur das Erbgut substanziell verändert. „Wir ändern nicht das Erbgut, wir tauschen nur die Mitochondrien aus.“

Eine alternative Technik, die Spindel-Transfer-Methode, hat der Forscher Shoukrat Mitalipov von der Oregon Health and Science University in den USA entwickelt, Spindel-Transfer genannt. Dabei werden die defekten Mitochondrien in noch unbefruchteten Eizellen durch gesunde ersetzt. Mitalipov hat die Methode bereits an vier Rhesusaffen getestet, die allem Anschein nach gesund sind. Die zuständige US-Behörde, die Food and Drug Administration (FDA), berät noch, ob die Technik sicher genug ist, um Mitalipov erste klinische Versuche am Menschen zu erlauben. Ob dabei die Keimbahn verändert wird, spielt eine untergeordnete Rolle, denn in den USA gibt es kein Gesetz, das derartige Manipulationen verbietet. Das ist auch der Grund dafür, dass Kinder wie Alana dort überhaupt entstehen konnten.

Für Sharon und Alana Saarinen war das ein Glück: „Ohne diese Prozedur hätte ich nie ein Kind bekommen“, sagt die Mutter. Insgesamt 50 000 Dollar hatte die damals 35-Jährige schon ausgegeben, für elf künstliche Befruchtungen, vier nervenzerreibende künstliche Behandlungszyklen. Zehn Jahre Tortur. Nichts fruchtete. Ihre Eizellen würden aussehen, als hätten sie Löcher, sagte ihr schließlich unverblümt Michael Fakih – ein Reproduktionsmediziner in Saarinens Nachbarschaft, mit gutem Ruf aber „schlechtem Benehmen“. Saarinen bot sich ihm als „Versuchskaninchen“ an. „Wenn dein einziger Fokus ist, ein Kind zu bekommen, dann ist dir alles egal, so furchtbar das klingt.“

Kurz nach Alanas Geburt untersagte die amerikanische Zulassungsbehörde FDA die Technik

Kurz nach Alanas Geburt untersagte die amerikanische Zulassungsbehörde FDA die weitere Anwendung der Technik. Zum einen überschreite die Prozedur eine Grenze, die viele Forscher und Bioethiker vor der Veränderung des genetischen Profils ungeborener Kinder ziehen, hieß es zur Begründung. Zum anderen sei unklar, ob der Mitochondrien-Mix für die Nachkommen doch gefährlich sein könnte. Systematische Untersuchungen von Alana und anderen Kindern mit künstlich herbeigeführtem Mitochondrien-Mix gibt es nicht. Diese Ergebnisse fehlen jetzt, um einschätzen zu können, ob Spindel- oder Vorkerntransfer, bei denen ebenfalls ein Mitochondrien-Mix entsteht, Risiken bergen.

Eine Befürchtung ist, dass die Gene in den Mitochondrien nach einem Austausch nicht mehr zu den Genen im Zellkern passen, sagt Klaus Reinhardt, Evolutionsbiologe an der Universität Tübingen. Zellkern- und Mitochondrien-Erbgut seien eine „funktionelle Einheit“, meint der Forscher. Denn das Mitochondrien-Genom steht in ständigem Informationsaustausch mit den Genen im Zellkern. Werden nun plötzlich die Mitochondrien ausgetauscht, funktioniert diese Abstimmung nicht mehr. „Vermutlich gibt es gar keine ‚normalen’ Mitochondrien, sondern nur im Austausch mit dem passenden Zellkern stellt sich dieses genetische Gleichgewicht ein.“

Reinhardt befürchtet, dass manche Neukombinationen von Mitochondrien- und Zellkern-Genom nicht zusammenpassen könnten. Er hat die HFEA auf Forschungsergebnisse hingewiesen, bei denen so ein fehlerhaftes Zusammenspiel zum Beispiel bei Fruchtfliegen zu Unfruchtbarkeit der männlichen Nachkommen führte. Außerdem zeigen Mäuse mit zwei verschiedenen Mitochondrien-Typen in ihren Zellen Lern- und Verhaltensstörungen und neigen im Alter stärker als üblich zu Fettsucht, Diabetes und Herzerkrankungen. Reinhardt meint, dass mit dem Einsatz der Technik zumindest so lange gewartet werden sollte, bis die Affen in Mitalipovs Labor fortpflanzungsfähig sind und gesunde Nachkommen produzieren. Und es sollten Eizellspender gewählt werden, deren Mitochondrien-Typ dem der betroffenen Mütter genetisch möglichst ähnlich ist, um Inkompatibilitäten zu verhindern.

Die britische HFEA kanzelte Reinhardts Kritik bislang recht barsch ab und sieht „keinen Grund zur Sorge.“ Wie vielen Paaren die Technik helfen könnte, ist umstritten, einige reden von 10, andere von 200 pro Jahr. „Angesichts der Tatsache, dass man in Großbritannien jetzt in die Phase der Gesetzgebung kommt, sind wir gut beraten, möglichst bald die Diskussion in Deutschland zu beginnen“, sagt Catenhusen. Deshalb habe sich auch der Ethikrat dieses Themas angenommen.

Alana scheint der Mitochondrien-Gen-Mix in ihren Zellen bislang nicht geschadet zu haben. Von dem einen oder anderen Schnupfen abgesehen, sei Alana immer kerngesund gewesen, sagt Mutter Saarinen. Ein wenig unsicher ist sie trotzdem, ob sie mit ihrer Waghalsigkeit ihrer Tochter oder nachfolgenden Generationen vielleicht doch geschadet hat. „Ich sorge mich um die Fortpflanzungsfähigkeit meiner Tochter“, sagt sie. „Wie gesund werden ihre Eizellen wohl sein?“

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