"Drei-Eltern-Baby": Debatte in Großbritannien könnte Vorbild für Deutschland sein
Großbritannien erlaubt weitreichende Manipulation an Embryos. Nun hoffen auch Betroffene aus Deutschland auf Hilfe - und fordern eine offene Diskussion. Dabei ließe sich viel von den Engländern lernen.
Der Beschluss des britischen Unterhauses, in bestimmten Fällen Kinder mit drei genetischen Elternteilen zu ermöglichen, hat starke Reaktionen ausgelöst: Während betroffene Familien erleichtert waren, übten deutsche Kirchenvertreter Kritik. Mit 382 zu 128 Stimmen haben die Abgeordneten am Dienstag einer ethisch umstrittenen Methode der Reproduktionsmedizin zugestimmt. Demnächst wird das Oberhaus darüber beraten, eine Zustimmung gilt als sicher. Damit ist Großbritannien auf dem Weg, das erste Land zu sein, in dem Embryos erzeugt werden dürfen, die das Erbgut von drei Menschen tragen – wobei der Anteil des dritten deutlich unter einem Prozent liegt und keinen Einfluss auf Merkmale wie Augenfarbe, Größe, Intelligenz oder Charakter hat.
Erbgut von Mutter und Vater, die Zellkraftwerke kommen von einer Spenderin
Ausgangspunkt sind Defekte am Erbgut der Mitochondrien, den Kraftwerken der Zellen. Arbeiten sie nicht richtig, können sich etwa Muskeln und Gehirn nicht richtig entwickeln. Betroffene Kinder sind teils schwer behindert, oft sterben sie in jungen Jahren. Das Erbgut der Mitochondrien enthält lediglich 37 Gene und gehört nicht zur DNS im Zellkern, der die überwiegende Zahl der Erbinformationen enthält. Es wird ausschließlich durch die Mutter vererbt. Um eine Erkrankung der Kinder zu verhindern, wurde die „Vorkern-Transfer-Methode“ entwickelt. Dabei entsteht ein Embryo aus dem Erbgut von Mutter und Vater, die Zellkraftwerke kommen von einer Eizellspenderin.
Betroffene reagierten nach dem Beschluss erleichtert, obgleich es noch Hürden gibt. Kliniken, die das Verfahren anbieten wollen, benötigen eine Genehmigung der Behörde für Reproduktionsmedizin HFEA (Human Fertilisation and Embryology Authority). Weiterhin ist denkbar, dass die HFEA zusätzliche Belege verlangt, dass die Methode sicher ist und vorerst nur Einzelfallgenehmigungen erteilt.
Deutsche Familien wollen sich in Großbritannien behandeln lassen
„Wir begrüßen die Entscheidung sehr“, sagt Karin Brosius von der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke. Sie hofft, dass sich damit auch für deutsche Paare eine Chance ergibt, sich in Großbritannien helfen zu lassen. Ob bei den ersten Studien, sofern sie tatsächlich erlaubt werden, ausländische Paare berücksichtigt werden, ist noch unklar.
Die Zahl der Betroffenen ist sehr klein, die der Interessenten noch geringer. In Großbritannien geht man von höchstens 120 Fällen im Jahr aus. „In unserer Selbsthilfegruppe kommt rund ein Dutzend Familien infrage, landesweit mögen es 30 im Jahr sein“, sagt Brosius. Sie hofft, dass nun auch in Deutschland offen über dieses Thema diskutiert wird - nicht nur im Ethikrat, wie im vergangenen Jahr.
Bürgerbeteiligung und Transparenz sind vorbildhaft
Vorbild könnte Großbritannien sein, wo es Konsultationen über mehrere Jahre gab. „Besser hätte man es kaum machen können“, sagt Alena Buyx, Medizinethikerin an der Universität Kiel und bis 2012 stellvertretende Direktorin des englischen Ethikrates, der einen Bericht zum Thema verfasst hat. „Jeder Interessierte konnte zu jeder Zeit erfahren, was der Stand der Diskussion ist“, sagt sie. Es gab öffentliche Anhörungen, Diskussionen, Bürgerbefragungen, eine Internetplattform: alle Bürger und Interessengruppen waren ausdrücklich aufgerufen, ihre Kommentare abzugeben. „Bemerkenswert war, dass die Debatte überwiegend unaufgeregt ablief“, sagt Buyx.
Das liegt ihrer Meinung nach daran, dass viele Informationen veröffentlicht wurden. Etwa über die geringe Zahl der Fälle, was konkret gemacht wird, dass eine genaue Nachverfolgung der Paare geplant sei. „Wenn man das alles weiß, ist es einfacher zu verstehen, dass da nichts Monströses heranwächst, sondern dass es um eine enge und klar abgegrenzte medizinische Fragestellung geht, die Menschen helfen soll.“ Deutschland könne sich in Bezug auf Bürgerbeteiligung und Transparenz viel abschauen, findet Buyx.
Nationale Verbote bringen wenig
Neben den ethischen Fragen stehen auch medizinische. Der Biologe Klaus Reinhardt warnte im vergangenen Jahr, dass die Gene in den Mitochondrien in ständigem Austausch mit denen des Zellkerns sind. Werde ein Teil entfernt, funktioniere die Abstimmung nicht mehr. Bei Fruchtfliegen etwa führte ein fehlerhaftes Zusammenspiel zu Unfruchtbarkeit der männlichen Nachkommen.
Am Ende haben nationale Regeln, insbesondere Verbote, dennoch nur eine geringe Wirkung, wie Brosius deutlich macht: „Glauben Sie, dass eine Frau, die die Möglichkeit hat, ein gesundes Kind zu bekommen, sich von Grenzen aufhalten lässt?“