Gentherapie: Briten wollen Drei-Eltern-Baby
Um schwere, unheilbare Erbkrankheiten zu vermeiden, rütteln die Briten an zwei Tabus: den Eingriff in die Keimbahn des Menschen und die Verwendung von Keimzellen dreier Elternteile.
Adam ist elf Jahre alt und sitzt meist im Rollstuhl. Laufen macht ihn schnell müde, Fußballspielen ist für ihn nur ein Traum. Wegen eines seltenen Erbgutfehlers versagen die Energielieferanten seiner Zellen, die Mitochondrien, unter anderem in den Nieren. Das Organ wird immer schwächer. In den nächsten Jahren wird er außerdem ein Spenderherz brauchen. Heilung gibt es nicht.
Die Mitochondrien sind Organellen, die oft mit Kraftwerken oder Batterien verglichen werden. Jede Zelle im Körper braucht sie zum Leben. Unabhängig vom Zellkern, wo ein einzigartiger Erbgutmix von Vater und Mutter abgelegt ist, haben sie einen eigenen, kleinen Satz von 37 Genen. Er wird nur über die Mutter weitergegeben. Fehler in diesem Erbgut können unterschiedliche Folgen haben – je nachdem, ob zum Beispiel die Energieversorgung von Herz- oder Hirnzellen betroffen sind. Bei einem von 5000 Patienten sind sie so schwer, dass dieser Mensch ernsthaft krank wird oder sogar stirbt.
„Die Diagnose war ein Schock“, erzählt Adams Mutter in einem Film der Stiftung Wellcome Trust. „Offenbar bin ich die Überträgerin.“ Auch Adams Geschwister sind betroffen: Sein Bruder ist bereits gestorben. Die siebenjährige Schwester trägt die gleichen Erbanlagen in sich, hat aber bisher keine Symptome.
Die Zukunft solcher Familien könnte sich durch zwei neue Methoden der künstlichen Befruchtung radikal ändern. Sie könnten es beispielsweise Adams Schwester ermöglichen, später gesunde Kinder zur Welt zu bringen. Das ist ein so großer medizinischer Fortschritt, dass die Mehrheit der Briten trotz aller ethischen Klippen dafür ist, berichtete am gestrigen Mittwoch die Aufsichtsbehörde Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA). Sie empfahl der britischen Regierung, die Gesetzgebung im Vereinigten Königreich so zu verändern, dass klinische Studien am Menschen möglich werden.
Die Empfehlung birgt bioethischen Sprengstoff, der weit über deutsche Streitigkeiten zur Präimplantationsdiagnostik oder neue Bluttests für Schwangere hinausgeht. Die Briten würden zur Vermeidung von mitochondrialen Krankheiten gleich mehrere Tabubrüche in Kauf nehmen: den Eingriff in die Keimbahn des Menschen und die Verwendung von Keimzellen dreier Elternteile, also von Vater, Mutter und Eizellspenderin.
Mitochondrien lassen sich nicht austauschen wie Batterien. Will man einem Kind das Leben mit defekten Mitochondrien ersparen, muss man dafür auf den Vorkern-Transfer oder auf den Spindel-Transfer zurückgreifen (siehe Grafik). Beim Vorkern-Transfer werden die Eizellen von Mutter und Spenderin zunächst künstlich befruchtet. Die Eizelle der Spenderin wird entkernt, zurück bleibt eine Hülle mit gesunden Mitochondrien. In diese Hülle werden die Zellkerne der noch nicht verschmolzenen Ei- und Samenzelle von Mutter und Vater übertragen. Aus der manipulierten Zygote entwickelt sich ein Embryo, der – sofern er normal wächst – in den Mutterleib eingesetzt werden kann. Läuft alles nach Plan, hat das Kind nur noch gesunde Mitochondrien und könnte diese an seine Nachkommen weitergeben – eine vererbbare Therapie und somit der Eingriff in die Keimbahn. Diese Methode wird von der Gruppe um Doug Turnbull von der Universität von Newcastle erforscht.
Beim Spindel-Transfer werden die Eizellen von Mutter und Spenderin vor der Befruchtung behandelt, die Technik wird von Shoukrat Mitalipov von der Oregon Health & Science Universität erprobt. Dabei fällt ein ethisches Problem weg: Es werden keine Embryonen (von Vater und Spenderin) zerstört.
Bisher wurden beide Techniken nur im Tiermodell und an menschlichen Zellen erprobt, nicht an Patienten. Man könne sich deshalb noch nicht auf eine Methode festlegen, heißt es in einem wissenschaftlichen Gutachten der HFEA. Es sei unklar, welcher Weg sicherer für das Kind ist. In der öffentlichen Wahrnehmung gibt es jedoch etwas weniger Kritik am Spindel-Transfer. In einer öffentlichen Anhörung in London hieß es, HFEA müsse die „moralischen Unterschiede“ beachten.
Nachdem im Frühjahr 2012 der Nuffield-Rat für Bioethik grünes Licht für die Forschung gegeben hatte, wurde die HFEA beauftragt, den Puls der Öffentlichkeit zu messen. Die Behörde veranstaltete Workshops in drei Städten, Podiumsdiskussionen in London und Manchester, befragte Patienten und ihre Familien und führte eine repräsentative Umfrage unter 979 Briten durch. Außerdem gab sie von September bis Dezember 2012 auf einer Webseite jedem die Möglichkeit, einen Fragebogen auszufüllen zu kontroversen Themen wie dem Gebrauch von menschlichen Embryonen, dem Status der Spenderin, dem Eingriff in die Keimbahn und möglichen Identitätskrisen eines „Kinds dreier Eltern“.
„Es gibt breite Unterstützung für die Zulassung des Mitochondrien-Austauschs, um Risikofamilien die Chance auf ein gesundes Kind zu geben“, sagt Lisa Jardine, die Leiterin von HFEA. Die Behörde rate der Regierung, die Behandlung nur an speziellen Kliniken zuzulassen und die Gesundheit der so entstandenen Kinder lange Zeit zu beobachten. Beide Techniken sollten von der HFEA reguliert werden.
Der Einfluss von Lobbygruppen – und damit besonders vehementer Kritiker – war vor allem bei der Anhörung in London und im Netz zu spüren. Sie verglichen die neuen Techniken unter anderem mit dem Klonen. Die zufällig befragten Bürger standen der Forschung offener gegenüber. Besonders die Patienten und ihre Familien hatten kaum Zweifel: „Alles, was diese Krankheiten eliminieren kann, ist wunderbar.“
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