Schneller als China und die USA: Hat Russland den Corona-Impfstoff schon?
Wichtige Wirksamkeits- und Sicherheitstests stehen noch aus. Trotzdem bekommen Ärzte und Lehrer bald das Covid-19-Vakzin des Moskauer Gamaleya-Instituts.
Hat Russland bereits einen wirksamen, sicheren und damit zulassungsfähigen Impfstoff gegen Covid-19?
Diesen Eindruck erweckt der Gesundheitsminister des Landes, Michael Muraschko, laut Meldungen der staatlichen Nachrichtenagentur Tass.
Bereits am 10. August solle das Vakzin genehmigt werden, im Oktober werde mit den Impfungen begonnen – zunächst Ärzte und Lehrer, dann schrittweise der Rest der Bevölkerung.
Offenbar handelt es sich um einen Impfstoff des Moskauer Gamaleya-Instituts für Epidemiologie und Mikrobiologie, der institutseigenen Mitteilungen zufolge Immunität gegen Sars-CoV-2 vermittle und in ersten Tests keine Nebenwirkungen gezeigt habe.
Keine wissenschaftlichen Informationen über den Impfstoff zu finden
Wissenschaftliche, von unabhängigen Forschern geprüfte Veröffentlichungen zu dem Impfstoff gibt es jedoch nicht. Lediglich auf der Website „Clinicaltrials.gov“, auf der Forscher und Pharmafirmen weltweit alle klinischen Studien und Ergebnissen einpflegen sollen, gibt es seit 18. Juni einen Eintrag des Gamaleya-Instituts: „Eine Untersuchung der Sicherheit, Verträglichkeit und Immunogenität des Impfstoffs Gam-Covid-Vac gegen Covid-19“ („An Open Study of the Safety, Tolerability and Immunogenicity of the Drug ,Gam-COVID-Vac’ Vaccine Against COVID-19“, NCT04436471).
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Den Angaben nach handelt es sich dabei einen Impfstoff, der mit Hilfe des Gens für das S-Protein des Sars-CoV-2-Virus eine Immunität bei Geimpften erreichen will. Viele andere der über 150 in Entwicklung befindlichen Impfstoffe weltweit nutzen dieses Gen ebenfalls. Es enthält die Information für die „Stachel“ („Spikes“) in der Virushülle, mit denen der Erreger an menschliche Zellen andockt und in sie eindringt.
Das Gen verpacken die Gamaleya-Forscher den Angaben zufolge in Adenoviren des Typs 26 und 5 – harmlose Schnupfenviren. Sie dienen als „Transporter“ des Impfstoffs. In dem veröffentlichten Phase-1/Phase-2-Studienprotokoll heißt es, dass 38 Testpersonen zunächst eine Dosis mit dem Adenovirus 26 in den Muskel gespritzt und nach drei Wochen eine zweite Impfung mit dem Adenovirus 5 bekommen.
Doch den Website-Angaben zufolge, die zuletzt am 7. Juli aktualisiert wurden, seien diese Probanden noch nicht rekrutiert worden. Der Abschluss der Studie werde am 15. August erwartet.
Impfstoffforschung als Politikum
Doch für eine Zulassung müsste „Gam-Covid-Vac“ erst noch eine dritte Prüfphase durchlaufen, in der das Vakzin an mehreren zehntausend Probanden getestet wird. Nur so kann die Schutzwirkung und vor allem die Unbedenklichkeit eines Impfstoffs mit einiger Sicherheit festgestellt werden.
Selbst die am weitesten fortgeschrittenen Impfstoffprogramme in Großbritannien und den USA rechnen daher nicht vor Oktober/November mit ersten Ergebnissen dieser Zulassungsstudien.
[Mehr zum Thema: Diese 23 Impfstoff-Kandidaten werden erprobt. Hier finden Sie einen Überblick.]
Verschiedenen Medienberichten zufolge soll der russische Impfstoff in diesen Tagen die Phase 2 der klinischen Prüfung abschließen und dann – entgegen dem üblichen Verfahren – parallel zur Impfkampagne an medizinischem und Lehrpersonal in die dritte Testphase starten.
Trotz dieser riskanten Vorgehensweise hätten bereits mehr als 20 Länder, darunter Indien, Brasilien und Saudi-Arabien, Interesse an dem Vakzin angemeldet, will der Nachrichtensender CNN von „russischen Offiziellen“ erfahren haben.
Dass bei Russlands Eile auch politische Erwägungen eine Rolle spielen dürften, zeigen Äußerungen von Kirill Dmitriev, dem Chef des „Russian Direct Investment Fund“, eines 10-Milliarden-Dollar-Staatsfonds der russischen Regierung, der die Impfstoffforschung des Landes mitfinanziert: „Es ist ein Sputnik-Moment“, sagte Dmitriev CNN. 1957 brachte die Sowjetunion den ersten Satelliten ins All, jetzt habe Russland den Covid-19-Impfstoff zuerst.