Corona-Vakzine nehmen wichtige Hürde: So weit sind die vielversprechenden Impfstoff-Kandidaten
Die Forschung an einer Impfung gegen Covid-19 nimmt eine wichtige Hürde. Dennoch gibt es Stolpersteine. Fragen und Antworten zu den wichtigsten Kandidaten.
Es erscheint wie ein Kopf-an-Kopf-Rennen, China gegen Großbritannien, das chinesische Biotechnik-Unternehmen Sinovac gegen das britisch-schwedische Pharmaunternehmen AstraZeneca und die britische Universität Oxford. Im Fachjournal „The Lancet“ melden zwei Forschungsteams, dass sie einen „sicheren“ Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 gefunden haben, „der eine Immunantwort hervorruft“.
Ein dritter Impfstoff, der in Deutschland entwickelt wird, ist fast genauso weit: Das Mainzer Unternehmen BioNTech postet eine Studie auf einem Preprint-Server, in der sich sein Erbgut-basierter Impfstoff als sicher und wirksam erweist. Die fachliche Begutachtung der Ergebnisse steht jedoch noch aus.
Vor dem Hintergrund der Erfolgsmeldungen erscheint es nur als eine Frage der Zeit, ob ein Impfstoff die Covid-19-Pandemie entscheidend bremsen kann. Aber die entscheidende Frage ist weiterhin offen.
Kann ein Impfstoff Menschen vor Covid-19 schützen?
Bislang belegt keine Studie, dass eine Impfung Menschen dauerhaft vor Infektionen mit Sars-CoV-2 schützt. Sieben Monate nach dem ersten Nachweis des neuartigen Coronavirus ist das nicht zu erwarten. Sechs-monatiger Immunschutz gilt als Mindestanforderung für wirksame Impfprogramme. Erst Nachfolgestudien werden zeigen, ob die neuen Impfstoffe dies leisten.
Impfstoffe dienen als Sparringspartner für die Körperabwehr. Die Wirkstoffe haben Eigenschaften des Krankheitserregers, lösen aber keine Erkrankung aus. Bei der britischen und bei der chinesischen Entwicklung handelt es sich um Vektor-Impfstoffe. Das sind die Hüllen von harmlosen Viren, die Teile des Erbguts von Sars-CoV-2 transportieren: zu wenig, um eine Infektion in Gang zu setzen, aber genug, um das Immunsystem mit Strukturen des Virus in Berührung zu bringen.
Der deutsche Impfstoff besteht aus dem Erbgut des Virus in Form von RNA-Molekülen. Anhand dieser Baupläne werden im Körper Teile der Proteinhülle des Virus zusammengesetzt. RNA-Impfstoffe sind eine neue Art von Vakzinen. Das Prinzip der Impfung ist aber altbewährt: Das Immunsystem hat Gelegenheit, Eigenschaften des Erregers zu erkennen.
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Kommt der Körper nach der Impfung mit dem echten Erreger in Berührung, ist er vorbereitet. Die Vermehrung der Erreger wird von Antikörpern und weißen Blutkörperchen gestoppt. Fachleute erwarten, dass erst weltweite Impfprogramme mit einem wirksamen Impfstoff die Covid-19-Pandemie beenden werden.
Was können die drei neuen Impfstoffkandidaten?
Das chinesische und das britische Team präsentieren Impfstoffe, die die Produktion neutralisierender Antikörper hervorrufen. Diese Abwehrproteine des Körpers können sich an die Viren heften und die Infektion weiterer Zellen in Zellkulturen verhindern. Außerdem wurden bei Probanden in beiden Studien spezifische T-Zell-Antworten auf Sars-CoV-2 gemessen. T-Zellen sind Teil der zellulären Immunabwehr. Sie erkennen und töten körpereigene Zellen, die von Viren infiziert wurden. Ein anderer Typ dieser Zellen regt die Antikörper-Produktion an.
Die Reaktionen konnten 28 Tage nach der Impfung festgestellt werden, im Falle der britischen Entwicklung sogar bis zu 56 Tage. Der RNA-Impfstoff von BioNTech konnte ebenfalls Antikörper- und T-Zell-Reaktionen auf das in der RNA kodierte Virusprotein hervorrufen.
Keines der Forscherteams berichtet von schweren Nebenwirkungen. Schmerzen an der Injektionsstelle, Kopfschmerzen, Müdigkeit und Fieber sind aufgetreten, konnten aber mit Paracetamol behandelt werden. Für den kurzen Zeitraum, den die Studien laufen, können die getesteten Impfstoffe also als wirksam und sicher bezeichnet werden.
Ist das wirklich ein Meilenstein?
Ja. Alle drei Impfstoffentwicklungen wurden mit positiven Ergebnissen an Menschen getestet. Die chinesische und die britische Entwicklung können nun in die nächste Erprobungsphase gehen. Dabei sollen mehrere Tausend gesunde Probanden geimpft werden.
Anschließend wird beobachtet, ob es in der Gruppe zu Infektionen mit Sars-CoV-2 kommt. Diese dritte klinische Phase dauert normalerweise vier bis sieben Jahre. Positiv getestete Impfstoffe gegen Covid-19 sollen aber schneller, vielleicht schon im Jahr 2021 eingesetzt werden.
„Auch wenn diese Ergebnisse in die richtige Richtung deuten, muss der endgültige Nachweis der klinischen Wirksamkeit von Impfstoffen mit Geduld abgewartet werden“, sagt Clemens Wendtner von der München Klinik Schwabing.
Welche Stolpersteine gibt es?
Jeder Impfstoff muss sich auch in den langfristig angelegten klinischen Studien als sicher und wirksam erweisen. Im Fall von Covid-19 hatten Berichte über erneute Erkrankungen von Genesenen und auch Antikörperstudien längerfristige Immunität infrage gestellt. Ein beschleunigt, vielleicht schon im Jahr 2021 zugelassener wirksamer Impfstoff könnte Hunderttausende Menschenleben retten. Aber der Einsatz wird nicht risikolos sein.
Diese Impfstoffe befinden sich derzeit in der Testphase III - ein Überblick:
- Oxford/AstraZeneca - hier arbeitet das schwedische Unternehmen mit der britischen Eliteuni zusammen. Der Impfstoff wird aktuell in England, Brasilien und Südafrika getestet.
- Das private chinesische Unternehmen Sinovac testet seinen Impfstoff seit Juli in Brasilien.
- Das staatliche chinesische Unternehmen Sinopharm arbeitet mit Forschern in Peking und Wuhan an Impfstoffen. Einer davon wird seit Juli in den Vereinigten Arabischen Emiraten getestet.
- Die "New York Times" listet außerdem eine Tuberkoluse-Impfung auf, die ein Institut in Australien derzeit in der Phase III gegen Sars-CoV-2 testet.
„Unter gewissen Umständen können Antikörper die Viruserkrankung verschlechtern", sagt Andreas Bergthaler, Virologe vom Forschungsinstitut für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Das Phänomen „Antikörper-abhängige Verstärkung“ (antibody-dependent enhancement, ADE) ist von anderen Infektionen bekannt.
Da es erst auftritt, wenn Geimpfte infiziert werden, kann es für Covid-19-Erkrankungen noch nicht ausgeschlossen werden. Statt die Viren zur Zerstörung an Immunzellen zu übergeben, schleusen die Antikörper sie in diese Zellen ein. Die Erkrankungserscheinungen können bei Geimpften dann stärker sein als bei Nicht-Geimpften. Anhaltspunkte dafür, dass ADE bei Covid-19 auftritt, gibt es laut Bergthaler jedoch nicht.
Hat sich die Bundesregierung schon Margen des Oxfords-Impfstoffs gesichert?
Ja. Deutschland hat sich mit Frankreich, Italien und den Niederlanden zur „Inklusiven Impfallianz“ zusammengeschlossen und einen Vorvertrag mit AstraZeneca vereinbart, die den in Oxford entstehenden Impfstoff produzieren wollen. AstraZeneca verpflichtet sich 300 Millionen Dosen des Impfstoffes zu liefern, sollte dieser in der EU eine Zulassung erhalten.
Laut der Nachrichtenagentur Reuters zahlen die Staaten dafür 750 Millionen Euro. Sie haben außerdem die Option, weitere 100 Millionen Dosen zu erwerben. Auf die Frage, wie viele Impfstoff-Dosen laut Vereinbarung am Ende Deutschland zur Verfügung stehen würden, antwortet das Bundesgesundheitsministerium am Dienstag nicht.
Um ihren Verpflichtungen nachzukommen, muss AstraZeneca bereits vor der Zulassung mit der Produktion des Vakzins beginnen. Für einen Impfstoff, dessen Wirksamkeit noch gar nicht abschließend bewiesen ist, sei das ein absolut ungewöhnlicher Vorgang und der aktuellen Krisensituation geschuldet, sagte ein Sprecher des Verbands forschender Pharmaunternehmen dem Tagesspiegel.
Welche Länder haben sich bei welchen der Impfstoff-Kandidaten eingekauft?
Der Konzern AstraZeneca hat auch Vorverträge mit den USA, der Koalition für Innovationen in der Epidemievorbeugung (CEPI), der Impfallianz Gavi sowie eine Lizenzvereinbarung mit dem Serum Institute of India getroffen. Insgesamt belaufe sich die vertraglich vereinbarte Produktionskapazität des Impfstoffes auf über zwei Milliarden Dosen, teilte das Unternehmen mit.
Am Montag wurde bekannt, dass sich die britische Regierung durch Vorverträge den Zugriff auf zwei weitere Impfstoffkandidaten gesichert hat – unter anderem auf jenen des Mainzer Unternehmens Biontech.
Oft ist auch schon die Förderung der Impfstoff-Forschung mit bestimmten Vorrechten verknüpft. So bestätigte der Vorstandsvorsitzende des Pharmakonzerns Sanofi unlängst, dass durch die Förderung der amerikanischen Behörde Biomedical Advanced Research and Development Authority (BARDA), die USA „als erste“ beliefert würden.
Gibt es für Deutschland einen Plan, wer als erstes geimpft wird?
Sollte in Deutschland ein Impfstoff gegen Sars-CoV-2 zugelassen werden, ist davon auszugehen, dass nicht sofort alle Menschen geimpft werden können. Wer soll das Mittel also als erstes bekommen? Eine Arbeitsgruppe der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-Instituts arbeitet an einer Impfstrategie, die sich auf Parameter wie Impfstoffeffektiviät und Erkrankungsrisiko stützt.
Zu erwarten ist, dass die identifizierte Risikogruppen für einen schweren Verlauf sowie Menschen mit einem erhöhten Infektionsrisiko, zum Beispiel Ärzte und Pflegepersonal, zuerst geimpft werden.
Was machen wir, wenn es keinen Impfstoff gibt?
Die Behandlung von Covid-19 hat in den vergangenen Monaten Fortschritte gemacht. Medikamente verkürzen die Zeit bis zur Genesung und mindern auch die Sterblichkeit. Hergestellte Antikörper könnten auch immunschwachen Patienten helfen. Im Kampf gegen das Virus würden aber Infektionsschutzmaßnahmen entscheidend sein. Die wichtigste Maßnahme ist die Isolierung Erkrankter.
Darauf zu warten, dass ein ausreichend großer Anteil der Bevölkerung nach einer durchlaufenen Erkrankung immun wird, würde bedeuten, Todesfälle in Kauf zu nehmen. Herdenimmunität ließe sich statt dessen mit Impfprogrammen mit einer wirksamen Vakzine herbeiführen. (mit smc)
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