Kalter Krieg im All: Der Sputnik-Schock
Vor 60 Jahren schickte die Sowjetunion den ersten Satelliten ins All. Er verkörperte die Überlegenheit des Sozialismus. Sogar der "Trabant"-Zweitakter wurde nach dem "Sputnik" benannt.
Ich war damals gerade sieben Jahre alt. Aber ich erinnere mich noch genau an das Erschrecken meiner Eltern, als sie die Nachricht am Morgen des 5. Oktober 1957 im Radio hörten: Seit heute Nacht fliege eine Kugel namens „Sputnik“ um die Erde. Der Grund des Bestürztseins: Der erste Satellit der Menschheit war nicht von einer Rakete unserer amerikanischen Freunde ins Weltall hinausgetragen worden.
„Soffjett-Russland“, wie Bundeskanzler Konrad Adenauer die Sowjetunion verächtlich zu nennen pflegte, hatte es als erste Nation geschafft. Da saß ich nun in unserem engen Wohnzimmer in einer schwäbischen Kleinstadt, ein Kind im nicht verstandenen, doch sehr wohl gespürten Kalten Krieg, zum Glück aber, wie ich aus den Gesprächen der Erwachsenen heraushörte, auf der richtigen Seite des Eisernen Vorhangs.
Vier Wochen zuvor hatte die CDU/CSU die absolute Mehrheit errungen, nicht zuletzt dank ihres Wirtschaftsministers Ludwig Erhard und seines Programms einer „Sozialen Marktwirtschaft“ mit dem Ziel „Wohlstand für Alle“. Kein leeres Versprechen offenbar. Gerade hatten wir unsere erste elektrische Waschmaschine gekauft und unseren ersten Kühlschrank. Einen Fernseher oder gar ein Auto konnten wir uns zwar noch nicht leisten. Aber selbst diese Früchte des Wirtschaftswunders reiften schon heran, der Bausparvertrag für das eigene Reihenhäuschen füllte sich bereits, einige meiner Klassenkameraden fuhren in den Sommerferien mit ihren Eltern sogar schon nach Italien.
Ein sowjetischer Satellit über Amerika
Bald würden wir so leben wie die Amerikaner in ihrem Konsumparadies. Und da flog nun dieser sowjetische Satellit über unsere Köpfe hinweg und drehte drei Monate lang der kapitalistischen Konkurrenz bei jedem Überflug aus einigen hundert Kilometern Höhe eine lange Nase. Die Piepstöne, die der Sender an Bord von Sputnik ausstrahlte, waren schmerzhafte akustische Nadelstiche für das Überlegenheitsgefühl des Westens. Was für ein Propagandasieg der sozialistischen Planwirtschaft! Seine Botschaft wurde weltweit verstanden. „Der Erste im Weltall wird auch sonst überall der Erste sein.“
Nach ihrem überraschenden Auftaktsieg in dem Wettrennen ins All zwischen Kommunismus und Kapitalismus behielt die Sowjetunion zunächst die Raketenspitze vorn. Nur einen Monat nach Sputnik 1 und pünktlich zum 40. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktober-Revolution stieg schon wieder eine sowjetische Raumkapsel in den Himmel.
In Sputnik 2 flog auch das erste Lebewesen um die Erde. Die Hündin „Laika“, eine auf den Straßen Moskaus aufgegriffene Streunerin, die den erneuten Triumph der russischen Raumfahrt allerdings nicht überlebte. Im Westen was Neues: Angst. Denn statt Hunde ins All konnten die sowjetischen Raketen vermutlich genauso gut Atomsprengköpfe ins Land des Klassenfeinds tragen. Und dies in einer Zeit wachsender Spannungen zwischen Ost und West.
Eine "Raketenlücke" zwischen USA und UdSSR
Zu Beginn des Jahres 1957 sah sich der amerikanische Präsident deshalb genötigt, die nach ihm benannte Eisenhower-Doktrin aufzustellen. Sie versprach allen prowestlichen Ländern Schutz mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vor einer Bedrohung oder gar einem Angriff durch die Sowjetunion. Aber reichten diese Mittel noch? Denn zwischen den Supermächten hatte sich ein „Missile Gap“ geöffnet, eine Raketenlücke. Mit Sputnik 1 hatte die sowjetische Rakete einen Satelliten mit einem Durchmesser von mehr als einem halben Meter und einem Gewicht von fast 100 Kilogramm ins All gewuchtet.
"Pampelmuse" spottete Chruschtschow über US-Satelliten
Sputnik 2 wog bereits über eine halbe Tonne. Die Schubkraft der Rakete, die den ersten amerikanischen Satelliten in eine Erdumlaufbahn tragen sollte, reichte nur aus für ein Kügelchen. Der Satellit „Vanguard“ hatte einen Durchmesser von 16 Zentimetern und ein Gewicht von gerade mal 1,5 Kilogramm. Der sowjetische Ministerpräsident Chruschtschow ließ es sich nicht nehmen, den Satelliten als „Pampelmuse“ zu verspotten.
Zudem erwies sich die von der US-Navy entwickelte Rakete mit neun Fehlstarts bei zwölf Versuchen als notorisch unzuverlässig. Doch nach den beiden Sputnik-Triumphen wollten sowohl Politiker als auch Öffentlichkeit der USA endlich Starttaten sehen. Unter größtem Zeitdruck sollte deshalb bereits am 6. Dezember 1957, nur einen Monat nach Sputnik 2, der Startschuss zur US-amerikanischen Aufholjagd in den Himmel fallen. Er wurde als Großereignis inszeniert und live im Fernsehen übertragen.
"Flopnik" statt "Sputnik": US-Raketen neigten zu Fehlstarts
Auf Youtube kann man sich anschauen, warum das keine gute Idee war. Weil das Triebwerk versagte, stürzte die Rakete schon aus wenigen Metern Höhe wieder auf die Startrampe und explodierte. Als eine Rakete dieser Bauart, von der Presse bereits „Flopnik“ getauft, am 17. März 1958 schließlich doch den ersten Vanguard-Satelliten in eine Erdumlaufbahn beförderte, hatte die US-Navy auch noch den inneramerikanischen Raketenkonkurrenzkampf verloren. Denn schon am 1. Februar 1958 hatte eine andere, unter der Leitung des Deutschen Wernher von Braun von der US-Army entwickelte Rakete von Cape Canaveral aus den Satelliten „Explorer 1“ ins All getragen.
Auch Explorer 1 wog nur knapp 14 Kilogramm. Immerhin beförderte dieser erste amerikanische Satellit im All erstmals wissenschaftliche Messgeräte in den Kosmos. Die Magnetometer entdeckten den Van-Allen-Strahlungsgürtel, einen Ring hochenergetischer Elementarteilchen, die vom Magnetfeld der Erde eingefangen werden.
Der sieben Wochen später gestartete Vanguard 1, nun schon die Nummer 4 im Himmel der Erde, umrundet als einziger all dieser Satelliten aus den Anfangsjahren der Raumfahrt noch heute die Erde. Noch mindestens zwei Jahrtausende wird er daran erinnern, wie der kalte Weltraum zum Schlachtfeld des Kalten Kriegs wurde.
Dies alles ist nun sechs Jahrzehnte her. Sputnik 1 ist längst verglüht. Auch das Land, das ihn erschaffen hat, ist vergangen. Selbst der Ort, an dem das große Wettrennen ins All so erfolgreich begonnen hatte, das Kosmodrom bei Baikonur, liegt nach dem Zerfall der Sowjetunion außerhalb Russlands in Kasachstan. Seine Erbauer müssen eine Pacht dafür bezahlen, dass sie es immer noch nutzen als Startplatz für ihre „Sojus“-Raketen. Nicht selten fliegen dabei Astronauten aus den USA zusammen mit ihren russischen Kosmonauten-Kollegen zur Internationalen Raumstation ISS.
In Berlin erinnert seit 1964 ein Nachbau von Sputnik 1 in Originalgröße auf dem Dach des Café Moskau an der Karl-Marx-Allee daran, aus welchem Land der erste künstliche Himmelskörper stammte. Wer hochblickt zu dieser kleinen Kugel mit ihren vier Antennenstäben, kann sich kaum vorstellen, welchen wissenschaftlichen, technischen und politischen Triumph sie einst für den Ostblock bedeutete. Und wer sieht noch, wie vom damaligen Chefarchitekten der DDR Hermann Henselmann beabsichtigt, einen Sputnik als Symbol des Sozialismus im Berliner Himmel hängen, wenn er die Kugel des Fernsehturms betrachtet?
„Spree-Sputnik“ schlug das „Neue Deutschland“ 1965 als neuen Namen für den „Turm der Signale“ vor. Vergeblich, wie wir heute wissen. Eine andere Idee wurde dagegen verwirklicht. Den Stolz über die ruhmreiche Raumfahrt der Sowjetunion fortan auch mit den Autos durch Städte und Dörfer rollen zu lassen, die ab 1959 in der DDR gebaut wurden: „Trabant“ ist nichts anderes als das deutsche Wort für „Sputnik“.
Der Schock wurde zum Weckruf für Amerika
Ganz anders die Reaktionen auf der westlichen Seite. Der künstliche „Rote Mond“ versetzte insbesondere die USA in einen tiefen politpsychologischen und kulturellen „Sputnik-Schock“. Das Musterland industriell-technologischen Erfolgs hatte, buchstäblich aus heiterem Himmel, eine gewaltige Schlappe erlitten. Und dies auch noch auf dem Gebiet der beginnenden Weltraumfahrt, dem Inbegriff von Innovation und Fortschritt.
Doch schnell zeigte der vom Kommunismus herausgeforderte Kapitalismus, welche Kräfte in ihm steckten. Als Hauptursache für den Raketenrückstand der USA wurde ihr Bildungsrückstand gegenüber der Sowjetunion in Sachen Wissenschaft und Technik erkannt. Um diesen „Education Gap“ als Ursache des „Missile Gap“ zu schließen, bauten die USA innerhalb kürzester Zeit und mit großem Geldeinsatz ihr gesamtes Wissenschafts- und Bildungssystem um.
Der Name des dafür verabschiedeten Gesetzes, der National Defense Education Act, verdeutlichte ohne jede Beschönigung das Ziel. Ein wachsendes Heer von gut ausgebildeten Wissenschaftlern und Ingenieuren sollte fortan seinen Beitrag zur Verteidigung des Landes gegen die Bedrohung durch den technischen Vorsprung des Ostblocks leisten. In jener Zeit wurde auch die Weltraumagentur Nasa gegründet. Als Folge der wissenschafts- und bildungspolitischen Maßnahmen verwandelten sich die USA in die moderne Hightech-Nation heutiger Prägung, deren entfesselte Innovationskräfte schnell zu wirken begannen. Nur zwölf Jahre nach Sputnik 1 betraten erstmals Menschen den Boden des Mondes. Es waren zwei Amerikaner.