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Die frisch sanierte Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin mit weißen Fassaden.
© imago images / Schöning

Was Hochschulen von der Politik erwarten: Grundlagenforschung stärken, Unis sanieren und digitalisieren

Hochschulen sollen wichtige Zukunftsfelder mitgestalten. Dafür müssen sie aber besser ausgestattet werden, fordert der HRK-Chef in einem Gastbeitrag.

Die Wissenschaft kommt im derzeitigen Wahlkampf kaum vor, weder in den Medien noch in den öffentlichen Kampagnen der im Bundestag vertretenen Parteien. In ihren Wahlprogrammen finden sich immerhin entsprechende Themenblöcke zu Innovations- und Forschungspolitik.

Fast alle wollen in Digitalisierung, Wasserstofftechnologien und Quantencomputing investieren. Dass wir Alternativen zum Verbrennungsmotor und neue Formen der Stromerzeugung benötigen, betonen die meisten Parteien. Aber wie schaffen wir den Wandel? Und welche Rolle spielen dabei die Hochschulen? Vier Antworten dazu, die auch als Leitlinien für eine neue Bundesregierung gelten können.

Seit der Erfolgsgeschichte von Biontech wird hierzulande wieder das Loblied der Grundlagenforschung angestimmt. Das ist gut so, muss aber auch zu entsprechenden Prioritäten führen. In den letzten vier Jahren hat das Bundesforschungsministerium ähnlich wie die EU eine missionsorientierte Förderpolitik betrieben.

Sie war stark auf Schlüsselthemen und Anwendungsbezug ausgerichtet. Auch die Einrichtung der „Agentur für Sprunginnovationen“ zielt vorrangig auf die Beschleunigung des Transfers von guten Ideen in die Umsetzung.

Tüfteln, aber bitte nicht zulasten der Grundlagenforschung

Kurz nach ihrem Amtsantritt hatte Anja Karliczek in einem Interview konstatiert, das Land der Dichter und Denker benötige wieder mehr „Tüftler und Bastler“. In den kommenden vier Jahren sollte die bisherige Ausrichtung auf die großen Industrieprojekte einer anwendungsnahen Wissenschaft aber nicht mehr zulasten der Grundlagenforschung gehen.

Deren Herzstück bleiben die Universitäten mit ihrer Vielfalt der Disziplinen, der produktiven Kombination unterschiedlicher Methoden und der Diversität ihrer intellektuellen Milieus. Als Zentren der Forschung benötigen die Universitäten neben einem Aufwuchs ihrer Grundbudgets für mehr Dauerstellen jenseits der Professur eine verlässliche Förderung ihrer Exzellenzprogramme.

Ein Porträtbild von Peter-André Alt.
Unser Gastautor Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK).
© HRK/David Ausserhofer

Hier geht es um eine gute Balance der Finanzierung, die das erfolgreich Bestehende und das vielversprechende Neue gleichermaßen belohnt. Auch die Rahmenbedingungen für große Drittmittelprojekte müssen stimmen; daher sollte die Politik sicherstellen, dass die Hochschulen bei Kooperationsvorhaben von der Umsatzsteuer befreit und bei ihrer Durchführung nicht von den stetig anwachsenden Nebenkosten erdrückt werden.

Zur Absicherung der Infrastruktur ist die sogenannte Programmpauschale der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die derzeit 22 Prozent der Fördergelder umfasst, deutlich anzuheben.

Unübersichtliche Programme für Anwendungsforschung

Ein zweites Handlungsfeld bildet der Bereich der anwendungsorientierten Forschung, wo trotz der verstärkten Aktivitäten von Bund und Ländern in den letzten Jahren nicht alles zum Besten steht. Hier sind im Lauf der Zeit zahlreiche Programme aufgelegt worden, die der regionalen Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft, der industriellen Großforschung und der Unterstützung wissenschaftsbasierter Startups dienen.

Gewachsen ist aber auch die Unübersichtlichkeit der Förderinitiativen, deren Vielfalt kaum noch jemand überschaut. Erforderlich wäre daher ihre Bündelung unter einem Dach, mit der Perspektive der Aufstockung der Budgets. Eine neue Organisationseinheit für die Förderung anwendungsorientierter Forschung sollte allen Hochschultypen offenstehen und könnte deren Zusammenarbeit intensivieren – ein unbedingt wünschenswertes Ziel.

Der Bund muss in die Campus-Sanierung einsteigen

Dringend geboten ist – drittens – der Einstieg des Bundes in eine nachhaltige Campus-Sanierung. Selbstverständlich bleibt der Hochschulbau Ländersache, aber schon heute geht vielerorts nichts mehr ohne die Unterstützung entsprechender Bundesprogramme, zum Beispiel im Sektor innovativer Forschungsneubauten.

Der Bund sollte sich in der kommenden Legislaturperiode gezielt für die ökologische Erneuerung der Campi einsetzen und entsprechende Maßnahmen finanzieren. Der Sanierungsstau beläuft sich auf geschätzte 35 Milliarden Euro, und nur eine gemeinsame Kraftanstrengung wird dafür sorgen, dass er sich allmählich verringert.

Studierende arbeiten in einem Hörsaal mit Tablet und Collegeheften.
Studierende sind mit digitalen Geräten in der Regel gut ausgerüstet, doch an den Hochschulen fehlt noch Vieles für das digitale Zeitalter.
© picture alliance / Waltraud Grub

Viertens brauchen die Hochschulen ein Digitalisierungsprogramm, das von Bund und Ländern gemeinsam zu finanzieren ist. Seine Grundlage sollte eine von der Studierendenzahl abhängige Pauschale bilden, die den Ausbau digitaler Infrastrukturen und Services erlaubt. Die Pandemie-Krise hat gezeigt, dass die meisten Hochschulen digitale Lehre auf elementarem Niveau anbieten können, aber bei deren Weiterentwicklung unterstützt werden müssen.

Das Unterrichtssystem der Zukunft wird hybride Lösungen offerieren – Vorlesungen, die man alternativ im Hörsaal besuchen oder digital streamen kann, Seminare mit Aufteilung in virtuelle und Präsenz-Komponenten, Praktika, die abwechselnd von zu Hause oder im Labor wahrgenommen werden können.

Eine Digitalisierungspauschale von 92 Euro pro Student:in

Für derartige Konzepte benötigen die Hochschulen eine bessere technische Infrastruktur, neue Expertinnen und Experten in der Unterrichtsadministration und Mittel für die ständige Weiterqualifizierung der Lehrkräfte. Eine von Bund und Ländern bereitgestellte Pauschale von jährlich rund 270 Millionen Euro – das entspräche 92 Euro pro Studentin beziehungsweise Student – würde dieses Programm umsetzen helfen.

Nichts wäre falscher, als jetzt mit Blick auf die Schuldenreduktion nach der sozial unabdingbaren Ausgabenpolitik der letzten 15 Monate die Hochschulen zur Kasse zu bitten. Das Gegenteil muss der Fall sein – die Coronasituation hat uns die Notwendigkeit massiver Investitionen gerade im Bereich der medizinischen Grundlagenprojekte klar vor Augen geführt.

„Vom Stand der Forschung hängen Vollbeschäftigung und Lebensstandard ab. Wir werden Wissenschaft und Forschung großzügig fördern.“ Mit diesen Sätzen schließt das Wahlprogramm der SPD. Nicht das von 2021, sondern das von 1969 unter der Ägide Willy Brandts.

Es umfasste damals nur zehn Seiten, die den weitreichendsten politischen Reformprozess einleiteten, der je in der Geschichte der Bundesrepublik in Gang gesetzt wurde. Große Projekte brauchen nicht viele Worte. So gesehen würden dem Wissenschaftssystem statt schöner Ankündigungen vor allem Taten helfen.

Peter-André Alt

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