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Menschen in roten Ganzkörperanzügen mit dem Schriftzug "befristet" stehen vor dem Brandenburger Tor.
© GEW/Kay Herschelmann

Wissenschaftsprekariat: Erst Ivy League, nun Hartz IV

Wer im Ausland geforscht hat, kommt schwer an eine deutsche Uni zurück. Der Erfahrungsbericht eines verzweifelten Postdocs.

Schätzungen zufolge arbeiten etwa 10 000 Akademiker aus Deutschland im Ausland. Jedes Jahr wählen Forscher die Exit-Option und verlassen das Land, anstatt zu protestieren oder zu streiken. Das Land zu verlassen, kann ein wichtiger Karriereschritt sein. Regelmäßig aber wird der Weg ins Ausland gewählt, weil das Wissenschaftszeitvertragsgesetz greift: Nach sechs beziehungsweise nach zwölf Jahren erlaubt es keine weitere Verlängerung befristeter Arbeitsverträge.

Auf nach Großbritannien, da gibt es Jobs und gute Unis

Europas Akademiker zieht es besonders nach Großbritannien. Die Universitäten haben einen guten Ruf. Außerdem hat das Land ein akademisches Nachwuchsproblem. Darum gesellten sich zu den Spaniern, Italienern und Griechen auch vermehrt promovierte deutsche Akademiker (Postdocs). So auch ich.

Aber wie kommt man mit Anfang 40 zurück? Im Sommer 2013 bin ich nach sechs Jahren und drei Projektstellen in Großbritannien nach Deutschland zurückgekehrt, denn ich sah meine Chancen schwinden, es sonst überhaupt noch mal zu schaffen. Da es von meinen europäischen Kollegen nur einer Minderheit gelungen war, in ihre Heimatländer zurückzukehren, war ich gewarnt.

Ein Stipendium für Heimkehrwillige - mit gefährlicher Förderlücke

Erste Wahl dafür ist die Marie-Curie-Förderung. Dieses Stipendium hat die EU eigens initiiert, um Heimkehrwilligen den Einstieg zu Hause zu erleichtern. Das Stipendium stellt 75 Prozent des Gehalts. Zusätzlich benötigt man ein aufnehmendes Forschungsinstitut in der Heimat, welches die restlichen 25 Prozent finanziert. Kaum mehr als jeder zehnte Bewerber hat Erfolg.

Ich hatte das Angebot einer Professorin, an einer süddeutschen (Elite-)Universität eine eigene Forschungsgruppe zu etablieren. Als sie jedoch erfuhr, dass ich plante, mit einem Marie-Curie-Stipendium zu kommen, zeigte sie sich enttäuscht. Nur bei einer hundertprozentigen Finanzierung würde das Institut mich aufnehmen können.

Also schwenkte ich um. Da ich konkrete Forschungsideen im Kopf und gute Kontakte in der Hinterhand hatte, würde ich mir eben mit Drittmitteln den Weg nach Hause ebnen. Auf die nächste Ausschreibung hin unterbreitete ich entsprechenden Kollegen und auch der Professorin meine Forschungsidee. Außerdem bot ich an, in die unbezahlte, mindestens einjährige Vorleistung zu gehen.

Die Forschungsidee ist exzellent, doch jetzt fehlt das Heimatinstitut

Meine Forschungsidee stieß unisono auf Zuspruch. Als ich dann aber deutlich machte, dass ich die spätere Koordination des Konsortiums nur aus einem der Institute heraus übernehmen könnte, da ich als in Deutschland nicht institutionell angebundener Wissenschaftler nicht antragsberechtigt sei, verfielen die Kollegen bis zur Ausschreibungs-Deadline in finales Schweigen. Die Professorin empfahl mir aber im Nachgang, künftig keine Forschungsprojekte mehr anzuregen, wenn ich kein koordinierendes Heimatinstitut in Deutschland vorweisen könne. Soziale Exklusion auf akademisch.

Als Deutscher in Großbritannien interessant, als Rückkehrer ausgeschlossen

Das könnte man für einen Einzelfall halten, wenn es sich nicht auch auf Konferenzen, Tagungen et cetera immer wieder so ähnlich zugetragen hätte. Solange Kollegen mich mit meiner vormaligen britischen (Spitzen-)Universität verbanden, wurde sich interessiert nach einer möglichen Zusammenarbeit erkundigt. Sobald ich jedoch deutlich machte, dass ich nunmehr in Deutschland arbeiten wollte, wendete man sich genauso regelmäßig ab – und zwar tatsächlich durchaus mitten im Gespräch! Dies ist mir so oder so ähnlich zig Mal passiert und passiert mir in Onlinenetzwerken noch immer.

Konkurrenz um Mittel und Stellen

Ich muss also nüchtern konstatieren, dass sich die Wahl der Forschungspartner inzwischen danach richtet, ob durch ihn EU-Forschungsmittel zugänglich werden – und nicht nach Forschungsthemen oder individueller Exzellenz. Nur wer Kollegen im EU-Ausland vorweisen kann, darf sich um EU-Forschungsgelder bewerben. Im EU-Ausland sitzende deutsche Wissenschaftler sind bei ihren Kollegen zu Hause also durchaus beliebt, weil man bei ihnen weiß, was man kulturell bekommt. Daheim sind sie hingegen Konkurrenten um Mittel und Stellen.

Auch im Forschungsmanagement wird geklüngelt

Aber nicht nur in der Wissenschaft selbst, auch im Forschungsmanagement wird in Deutschland selbstverständlich geklüngelt. Ich hatte Vorstellungsgespräche, die derart tendenziös waren, dass sie auf kein Protokoll gehen würden. In Großbritannien wäre so etwas nicht denkbar. Man platziert in Deutschland so ungeniert Leute der eigenen Disziplin – oder lieber gleich eigene Schüler – in den Netzwerken, dass man sich als externer Bewerber sogar darauf einstellen muss, vorgeführt zu werden. So aber degenerieren forschungsmanagende Institutionen zu Tendenzbetrieben.

Mit Exzellenzrhetorik zum persönlichen Problem erklärt

Für den wissenschaftlichen Nachwuchs ist das schlimm, hat sich seine Situation immer weiter verschärft. Allein zwischen 2013 auf 2015 ist der Anteil der befristet Beschäftigten noch einmal um fast 20 Prozent gestiegen! Der gegenwärtige Anteil von 86 Prozent befristet beschäftigter Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Deutschland lässt alle anderen Industriestaaten hinter sich. Es gibt 50-Prozent-Professuren, befristete sowieso, und die Allianz der großen Wissenschaftsorganisationen, darunter der Wissenschaftsrat, wünscht sich, Befristungen auch beim administrativen Personal auszuweiten. Und nichts deutet angesichts der Schuldenbremse für die Bundesländer darauf hin, dass sich die Situation für Forscher bessern wird. Immer wieder werden die Probleme kleingeredet und mit Exzellenzrhetorik zum persönlichen Problem erklärt.

Eine Professur für zehn Postdocs - und neun Verlierer

Ich bin einmal von einer britischen Staatssekretärin gefragt worden, ob ihr Haus nicht einfach Forschungsergebnisse übersetzen lassen sollte, anstatt eigene Forschung zu finanzieren. Eine durchaus radikale Idee zur Entlastung ihres Haushalts!

Doch Deutschland geht einen noch radikaleren Weg, indem man nur einem von zehn Postdocs eine Professur anbietet, während neun Verlierer bis ans Karriereende auf befristete Verträge und professorales Wohlwollen hoffen dürfen. Es ist erstaunlich, dass dieser mit einer Selektionsrate von 1:9 so offensichtlich ruinöse Wettbewerb noch funktioniert. Bei Kollegen im Ausland jedenfalls löst die faktische Auflösung nahezu aller akademischen Dauerstellen außerhalb der Professur schlicht Fassungslosigkeit aus.

Pendeln als Überlebensstrategie: zwei halbe Stellen in zwei Ländern

Die jüngste Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes traut sich zwar endlich, den Universitäten die Verringerung der Selektionsrate vorzugeben, aber die Abwanderer interessierten dabei von vornherein nicht. Es gibt keine ernsthaften Bemühungen seitens der Politik oder auch der Wirtschaft, hier gezielt zu intervenieren. Ich kenne bereits jetzt Kollegen, die in zwei Ländern zwei halbe Stellen bekleiden und alle zwei Wochen per Flugzeug pendeln.

Wissenschaft als Beruf wird zum Vabanquespiel

Bei alldem ist schwer zu sagen, warum Streiks in der Wissenschaft so unbekannt sind wie etwa im Finanzsektor oder im Profifußball. In der Konsequenz haben wir Wissenschaftler es Politik, Wirtschaft und Gesellschaft leicht gemacht, indem wir abgewandert sind, anstatt von Universitäten und Ländern grundfinanzierte Karrierewege einzufordern. So ist Wissenschaft als Beruf in Deutschland inzwischen zu einem Vabanquespiel verkommen. Und Auswege in den nichtwissenschaftlichen Arbeitsmarkt gibt es kaum. Die Zugänge schließen sich in Deutschland viel zu früh, um Wissenschaftlern sichere Karriereperspektiven anzubieten, denn die Wirtschaft ist ebenso wie die öffentliche Verwaltung voreingenommen und unflexibel.

300 Bewerbungen in drei Jahren

Ich bin nach fast drei Jahren und fast 300 Bewerbungen noch immer arbeitslos. Auf außerwissenschaftliche Stellen hatte ich nur eine Einladung. Nachdem ich ein DAAD-Stipendium hatte, in einer Ivy-League-Uni geforscht habe und vom Bundesministerium und der EU insgesamt eine Millionen Euro Forschungsmittel eingeworben habe, steht als Nächstes Hartz IV an.

Anmerkung der Redaktion: Aus Angst, bei Entscheidungsträgern in der Wissenschaft mit seiner Kritik zur persona ingrata zu werden, möchte der Autor anonym bleiben. Sein Name ist der Redaktion bekannt.

Anonymus

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