Aufschrei der wissenschaftlichen Mitarbeiter: „Professur oder nichts, top oder hopp“
Zwei-Monats-Verträge, Druck vom Chef und die Angst, auf der Straße zu stehen: Wissenschaftliche Mitarbeiter an Universitäten und Forschungsinstituten berichten über ihre Arbeitsverhältnisse.
Zehntausende wissenschaftliche Mitarbeiter arbeiten unter prekären Bedingungen – mit kurzen Vertragslaufzeiten und vielfach nur halben Stellen. Aussichten auf eine Professur haben nur die wenigsten, ansonsten gibt es aber kaum Dauerstellen. Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (CDU) versprach jetzt in der „SZ“ eine baldige Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, mit der Vertragslaufzeiten festgeschrieben werden sollten, die der Projektdauer oder der Qualifikationszeit entsprechen. Für Daueraufgaben an Unis müsse es zudem Dauerstellen geben. „Das würde bedeuten, dass jemand, der 12 Stunden oder mehr unterrichtet, ebenso eine feste Stelle bekommen müsste wie Wissenschaftsmanager, die etwa Drittmittel einwerben“, kommentiert GEW-Vize Andreas Keller.
Die SPD will weiter gehende Regelungen als Wanka und fordert einen „Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs“, mit dem zusätzliche Professuren und mehr feste Mittelbaustellen finanziert werden. Zu hören ist auch, dass Wanka isoliert sei und eine Gesetzesnovelle erst in ihrer Fraktion durchsetzen müsse.
Hier berichten wissenschaftliche Mitarbeiter aus Berlin und Brandenburg, unter welchen Bedingungen sie arbeiten – und worauf sie hoffen.
Meta Kambach (32), bis Mai 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Biologie der Humboldt-Universität:
Die Bilanz meiner HU-Zeit? Neun Verträge seit 2010, zwei kleine Kinder, derzeit arbeitslos. Ich habe Biologie auf Lehramt studiert und vor dem Referendariat als Büroleiterin in der Erlebnispädagogik gearbeitet. Zurück an die Uni kam ich mit einem zweijährigen Stipendium des ProMINT-Kollegs der HU. Finanziert von der Telekom-Stiftung fördert es die Unterrichtsentwicklung in Mathematik, den Natur- und Technikwissenschaften. Parallel mit der Aufbauarbeit begann ich meine Doktorarbeit über die Experimentierfähigkeiten von Lehramtsstudierenden. Neben dem Stipendium, das zwei Mal mit jeweils kürzeren Laufzeiten verlängert wurde, hatte ich zunächst eine 12-Prozent-Stelle beim Humboldt-Bayer-Mobil, einem rollenden Schülerlabor. Ich war Projektleiterin und die Stelle wurde zwischenzeitlich auf bis zu 75 Prozent aufgestockt.
Eine tolle Zeit, zumal mich meine Professorin optimal unterstützt hat, Job, Promotion und Familie mit flexiblen Arbeitszeiten unter einen Hut zu bringen ich mich auch im FiNCA-Programm der HU (Frauen in den Naturwissenschaften am Campus Adlershof) gut vernetzen konnte. Deshalb hoffe ich auch, dass es jetzt mit einem Wiedereinstiegs-Stipendium klappt. Als problematisch erlebe ich die vielen Kurzfrist-Verträge: Jährlich oder halbjährlich neue Verträge auszuhandeln, versetzt uns in ständige Unsicherheit. Dabei wäre es wichtig, mehr Dauerstellen für engagierte Leute mit Interesse an Forschung und Lehre zu schaffen, die etwa in der Entwicklung der Lehre kontinuierlich dranbleiben können.
"Keine Uni kann all diese hoch qualifizierten Leute unterbringen"
Uffa Jensen (45), Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, Historiker im Forschungsbereich „Geschichte der Gefühle“:
Der deutsche Staat gibt viel Geld für die Forschungsförderung aus. Weil die Forschung von Doktoranden und Postdoktoranden getragen wird, führt das zu einem unglaublichen Überschuss an Nachwuchswissenschaftlern. Die Exzellenzinitiative hat diesen Effekt noch einmal verstärkt. Aber keine Universität und kein Forschungsinstitut kann all diese hoch qualifizierten Leute unterbringen, auch wenn sie noch so viel und gut publiziert und gelehrt haben. Denn es gibt unterhalb der sehr begrenzten Zahl der Professuren keine Dauerstellen.
Diese Blase ist ein Systemfehler, der dringend repariert werden muss, ansonsten droht ein Heer von teuer ausgebildeten Forschern, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben. Deutschland sollte sich Großbritannien zum Vorbild nehmen, wo es nach der Promotion an den Universitäten Stellen für Lecturer gibt. Sie sind zwar nicht so gut bezahlt, aber dafür unbefristet. Und normalerweise kann man auf bessere Stellen aufsteigen und Senior Lecturer, Reader und schließlich Professor werden. Hierzulande wettern die Gewerkschaften dagegen, „Lehrknechte“ ohne Chance auf eigene Forschung zu schaffen. Nur: Gäbe es solche Stellen mit Aufstiegsmöglichkeit, würde sich nahezu jeder meiner Kollegen und Kolleginnen bewerben. Alle hoffen auf einen großen Wurf der Bundesregierung, die nach der Grundgesetzänderung jetzt neue Stellenkategorien an den Unis einrichten kann. Auch für mich stellt sich kurz vor dem Abschluss meiner Habilitation über die „Weltgeschichte der Psychoanalyse“ die Frage, wie es nach 15 Jahren Forschungs- und Lehrtätigkeit im In- und Ausland weitergehen soll. Ich bin zuversichtlich, liebe meine Arbeit als Historiker. Nur muss eine wissenschaftliche Karriere planbar sein, gerade wenn man Familie hat.
"Niemand traut sich, Missstände gegenüber dem Chef anzusprechen"
Anonyma (30), wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem naturwissenschaftlichen Institut der Leibniz-Gemeinschaft:
Die vielen Initiativen, die wissenschaftlichen Mitarbeitern „gute Arbeit“ ermöglichen sollen, sind bei uns tabu. Niemand wagt es bislang, die Missstände gegenüber unserem Chef anzusprechen. Deshalb kann ich hier auch nur anonym auftreten, schließlich will ich die eventuell in Aussicht gestellten Vertragsverlängerungen, die ich bis zu meinem Promotionsabschluss im August dieses Jahres noch brauche, nicht gefährden. Seit einem Jahr hangle ich mich von Vertrag zu Vertrag, der jeweils auf zwei, drei Monate befristet ist. Die Begründung: „Wenn jemand nicht in drei Jahren fertig wird, müssen wir Druck aufbauen.“ Da fühle ich mich als Bittstellerin bei einem Chef, der sich ansonsten nur dafür interessiert, dass meine Forschung zu einer patentierbaren Innovation führt, die dann die Expertise des Instituts vermehrt. Und selbstverständlich steht er als Koautor auf meinen Publikationen.
Doch trotz der kontinuierlichen Forschungsarbeit am Institut und der hier auf drei Jahre angelegten Promotion hatte ich auch vor der Abschlussphase keine längerfristigen Verträge: Begonnen habe ich mit einem Einjahresvertrag, danach gab es jeweils nur halbjährige und noch kürzere Verlängerungen. Dabei ist die Stundenzahl für wissenschaftliche Mitarbeiter von vornherein auf 60 Prozent begrenzt. Die Arbeit an der Promotion gilt als Freizeitvergnügen, für das man uns nicht bezahlen muss. Das führt unter anderem dazu, dass es keine strukturierte Betreuung der Doktorarbeit gibt. Ich fühle mich alleingelassen. Noch brenne ich für die Forschung und will mich auf Postdocstellen bewerben, sehe mich später aber in der Industrie.
"Die Sorge über die Zukunft schwingt im Hintergrund immer mit"
Hilmar Schäfer (37), wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Vergleichende Kultursoziologie der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder:
Grundsätzlich bin ich mit meiner Situation zufrieden: Mein Job macht mir Spaß, ich habe ihn mir bewusst gewählt. Ich arbeite derzeit an meiner Habilitation, erforsche Vorstellungen von Weltkulturerbe: Was bedeutet es, wenn ein Denkmal der gesamten Menschheit gehören soll? Vier Jahre bleiben mir noch, für die gesamte Zeit habe ich eine halbe Stelle an meinem Lehrstuhl. Mein Chef hat mir da eine lange Perspektive gegeben. Jetzt konnte ich mich für ein Forschungssemester an der Uni Lancaster beurlauben lassen. Die Sorge über die Zukunft schwingt im Hintergrund aber immer mit. Nach der Habilitation heißt es: Professur oder nichts, top oder hopp.
Zwar strebe ich eine Professur an, mir fällt aber auch auf, dass nur wenige ausgeschrieben werden. Wenn es einmal nicht mehr weitergehen sollte, wäre man mit Anfang, Mitte 40 sehr alt für den Neuanfang in einem anderen Beruf. Natürlich habe ich die vage Hoffnung, dass Berufswege heute durchlässiger sind, und ich bringe von der Wissenschaft auch andere Qualifikationen mit. Trotzdem: Dieser Flaschenhals ist das große Problem. Attraktiv wäre es, wenn die Unis neben mehr Professuren auch wieder Dauerstellen für wissenschaftliche Mitarbeiter schaffen. Als Student waren einige Dozenten für mich wichtig, die als wissenschaftliche Räte zwar mehr gelehrt haben, aber dennoch Zeit zum Forschen hatten. Warum sollte das heute nicht auch gehen?
"Für volle Arbeit nur eine halbe Stelle - das demotiviert"
Antonie Schmiz (34) arbeitet derzeit an der Ryerson University in Toronto. Davor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Geographischen Institut der Humboldt-Universität:
Derzeit bin ich mit einer DAAD-Förderung für ein Jahr in Kanada – die Rückkehr nach Deutschland wird wieder eine Rückkehr in die Unsicherheit bedeuten. Als prekär empfinde ich in Deutschland gar nicht so sehr die Höhe des Lohns von wissenschaftlichen Mitarbeitern. Das Prekäre sind die mangelnde Berechenbarkeit des Berufswegs und die Arbeitsumstände. In Berlin habe ich als Postdoc auf einer halben Stelle gearbeitet. Die einzige Möglichkeit, im System zu bestehen, ist aber, deutlich mehr zu arbeiten. Neben der Forschung – ich habilitiere zu der Frage, welchen Wert Migration für Städte haben kann – schreibe ich Projektanträge, engagiere mich in Gremien und gebe Seminare. Es sind die wissenschaftlichen Mitarbeiter, die an deutschen Unis einen Großteil der Lehre stemmen und die folgende Generation ausbilden.
Für volle Arbeit nur eine halbe Stelle zu haben, demotiviert extrem. Zudem weiß man nie, ob ein Anschlussvertrag möglich ist. In meiner Postdoczeit liefen meine Befristungen über 16 Monate, dreieinhalb Jahre sowie aktuell 18 Monate. Die damit verbundene Prekarität wird mir derzeit noch deutlicher, da ich in Kanada von jungen Kollegen mit Tenure-Stream-Positionen, das heißt planbaren Karrierewegen umgeben bin. Obwohl immer für familienfreundliche Unis geworben wird, erschwert es die Sache dennoch sehr, wenn man wie ich früh in der Doktorandenzeit Kinder bekommt. Fairerweise muss man sagen, dass die Professoren sich meistens um ihre Mitarbeiter sehr bemühen, selbst wenn ihnen finanziell und hochschulpolitisch die Hände gebunden sind.
"Bin ich zu breit aufgestellt?"
Alexander Knoth (31), Uni Potsdam, wissenschaftlicher Mitarbeiter und E-Learning-Koordinator:
Alle reden über die Schwierigkeiten auf dem Weg zur Professur: Was du alles publizieren müsstest, welche Netzwerke du brauchst. Und darüber, was du vermeiden musst: Bloß nicht zu viel Engagement in der Lehre und nicht für nette Projekte einfangen lassen – also eigentlich alles, was Spaß macht. Mich haben diese Diskussionen schwer verunsichert. Bin ich zu breit aufgestellt? Als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Geschlechersoziologie und als E-Learning-Koordinator unserer Fakultät fülle ich zwei halbe Stellen aus. Neben meiner Diss. über die soziale Konstruktion des (Staats-)Bürgers forsche ich derzeit in unserem Graduiertenkolleg zur Gleichstellung beim Promovieren. Für das E-Learning entwickle ich unter anderem Lern-Apps. Gerade starte ich mit einem Anglistikkollegen eine Veranstaltungsreihe zu Digital Humanities, halte Vorträge und publiziere.
Nein sagen kann ich auch nicht, wenn die Uni-Gremien rufen, um mich für bessere Arbeitsbedingungen im Mittelbau einzusetzen. Nur den Online-Handel mit Outdoorausrüstungen habe ich mittlerweile aufgegeben.
Vor einem Jahr habe ich mich dann zu einem Karrierecoaching angemeldet. Auf der Din-A4-Seite mit Kriterien für eine akademische Karriere – Publizieren, Lehren, internationale Kontakte, hochschuldidaktische Projekte, breit angelegte Forschungstätigkeit etc. – konnte ich vieles ankreuzen. Ich mache es also doch richtig, auch wenn ich dafür oft länger als acht Stunden am Tag arbeiten muss. Jetzt sitze ich an der Endfassung meiner Dissertation, parallel entstehen Überlegungen für ein Postdoc-Forschungsvorhaben zur Gesellschaftserforschung unter den Bedingungen des digitalen Wandels. Damit komme ich mit meinen scheinbar so diversen Projekten doch wieder in der Soziologie heraus.
Protokolliert von Amory Burchard und Tilmann Warnecke.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität