Prekäres Arbeiten von Wissenschaftlern: Der Nachwuchs forscht ins Leere
Kurzverträge, wenig Perspektiven: Alle wollen jungen Wissenschaftlern helfen. Doch die Pläne zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz und zum "Nachwuchs-Pakt" bleiben vage.
Der akademische Mittelbau war mal was an den Universitäten. Auf eine Professur hatten es die Akademischen Räte, Oberassistenten oder Studienräte im Hochschuldienst zwar nicht geschafft, aber doch auf eine Dauerstelle. Auf der die allermeisten dann ergrauten und zum Sinnbild der personell verkrusteten Universität wurden. Aus Ordinarien mit einem üppigen Stab an „Mittelbauern“ machte die Wissenschaftspolitik leistungsabhängig bezahlte Professuren, die man nur noch mit befristeten Stellen für den „wissenschaftlichen Nachwuchs“ ausstattete. Der sollte sich nun schneller „erneuern“ können als zuvor.
Die Zahl der "WiMis" ist auf Rekordstand
Doch auch der Nachwuchs ergraut auf seinen Stellen, schließlich dürfen wissenschaftliche Mitarbeiter („WiMis“) vor und nach der Promotion insgesamt höchstens zwölf Jahre mit Befristungen arbeiten. Dabei werden sie zunehmend von Existenzängsten geplagt. Denn in der neuen akademischen Arbeitswelt gibt es eben kaum noch einen fest angestellten Mittelbau als Alternative zur raren Professur. In mittleren Jahren noch eine neue Karriere außerhalb des Elfenbeinturms zu starten, ist zumindest ein Abenteuer. Hinzu kommt, dass die Zahl WiMis an deutschen Hochschulen aktuell einen Rekordstand erreicht hat. Vor allem durch die Exzellenzinitiative wurden seit 2005/06 massiv neue befristete Stellen geschaffen.
Heute sind über 90 Prozent des wissenschaftlichen Personals an Hochschulen und außeruniversitären Instituten befristet beschäftigt. Davon laufen die Verträge bei mehr als der Hälfte der WiMis an den Unis nicht einmal ein Jahr.
Dass es sich bei alledem um Fehlentwicklungen handelt, geben selbst die elitärsten Unipräsidenten und Institutschefs zu. Auch in der Politik gibt es einen grundsätzlichen Konsens, etwas gegen das Befristungsunwesen und für planbarere Karrieren tun zu wollen. Die schwarz-rote Bundesregierung schrieb dies 2013 in ihren Koalitionsvertrag. Mittlerweile liegt der Entwurf für eine Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vor. Gleichzeitig verhandeln Bund und Länder über einen „Nachwuchs-Pakt“, der zu besseren Karriereperspektiven und mehr Dauerstellen an Hochschulen führen soll.
Soziale Hängematte oder notwendige Sicherung?
Den breiten Konsens beschworen jetzt bei einer Anhörung im Wissenschaftsausschuss des Bundestages noch einmal alle Experten und Politiker. Doch was die einen als notwendiges Mindestmaß an gesetzlicher Absicherung sehen, gilt anderen als sicherer Weg ins Mittelmaß. Das Bild von der Uni als sozialer Hängematte ruft niemand öffentlich auf. Wohl aber das eines neuen mächtigen Mittelbaus, der Einstiegspositionen für exzellente Hochschulabsolventen wieder verstopft. „Eine Garantie auf den Karriereweg gibt es nur durch Bestenauswahl“, sagte etwa Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Ludwig Kronthaler, Generalsekretär der Max-Planck-Gesellschaft, meinte: „Wissenschaftliche Exzellenz duldet keine Kompromisse, deshalb ist der Wettbewerb ein harter.“
Dabei hatte der Hochschulexperte der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Andreas Keller, im Ausschuss nicht einmal die Maximalforderung der GEW wiederholt: Postdocs dürften nur dann befristet beschäftigt werden, wenn sie einen Tenure Track bekommen, also nach einer positiven Begutachtung ihrer Arbeit auf eine Dauerstelle aufsteigen können.
Dass es mehr Dauerstellen auch unterhalb der Professur geben soll, ist gleichwohl unstrittig. Doch zuerst soll nun das Befristungsgesetz durch den Bundestag. SPD-Wissenschaftspolitiker und die Opposition halten Änderungen des Regierungsentwurfs für unerlässlich.
Die Diskussion um längere Laufzeiten von Verträgen
Die Zauberformel zum Thema Befristungen lautete stets, dass sie sich künftig an der üblichen Promotions- oder Habilitationszeit beziehungsweise an der Projektlaufzeit orientieren sollen. Doch im Gesetzentwurf ist beides nur vage umgesetzt. Zu den WiMi-Stellen, die über den Uni-Haushalt finanziert werden, heißt es: „Die vereinbarte Befristungsdauer ist jeweils so zu bemessen, dass sie der angestrebten Qualifizierung angemessen ist.“ Was als Qualifikationsziel gilt, ist eine Frage der Auslegung. Akademische Arbeitgeber könnten auf die Idee kommen, Mitarbeiter etwa für die Zeit einer Weiterbildung zu befristen oder für ein Semester, in dem sie in der Lehre eingesetzt werden, fürchten Betroffene. Kurzzeitverträge wären weiterhin nicht nur in Ausnahmefällen möglich.
Gewerkschaften und Mitarbeiter-Vertretungen fordern deshalb echte Qualifikationsziele – wie die Promotion – zu benennen und eine Mindestlaufzeit von drei oder wenigstens zwei Jahren festzulegen. Hochschulen und Forschungsinstitute pochen dagegen auf Flexibilität und wollen sich lediglich Leitlinien zum Umgang mit ihrem Personal geben, deren hehre Grundsätze wiederum nicht verbindlich wären. Kommt hier keine klarere Formulierung ins Gesetz, werden in Streitfällen die Arbeitsgerichte zu entscheiden haben, was „der Qualifizierung angemessen“ ist und was nicht, warnt nicht nur der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller. Auch Rektoren-Chef Hippler sieht die „Rechtsunsicherheit“, ist aber gegen Mindestlaufzeiten.
Trickreich: Die Formulierung für Drittmittelprojekte
Trickreich, dafür rechtssicher erscheint die Formulierung bei den Stellen, die über Drittmittel finanziert werden. Statt der Projektlaufzeit soll laut Gesetzentwurf die „Dauer der Mittelbewilligung“ zur Richtschnur werden. Der Haken: Projekte laufen zwar in aller Regel über mehrere Jahre – bei einem Sonderforschungsbereich der DFG sind das immerhin sechs Jahre. Die Mittel dafür werden aber oft von Jahr zu Jahr bereitgestellt. Damit blieben für die Projektmitarbeiter Kurzzeitverträge weiterhin legitim. Wenig überraschend fordern Gewerkschaften und Opposition, aber auch die DFG, das Gesetz hier umzuformulieren.
Abschied nach zwölf Jahren
An der Höchstbefristungsdauer scheiden sich weiterhin die Geister. In der Regel – und ohne Zusatzjahre für Kinder – beträgt sie sechs Jahre vor und sechs Jahre nach der Promotion, in der Medizin sind es sechs plus neun Jahre, in der „sachgrundlose“ Befristungen zulässig sind. Dann kommt es zur Entscheidung: Schafft man nach zwölf oder etwas mehr Jahren im Wissenschaftsbetrieb den rettenden Sprung auf eine der wenigen Dauerstellen im Mittelbau oder auf eine Professur? Oder müssen sich die knapp unter oder über 40-jährigen „Nachwuchswissenschaftler“ auf dem Arbeitsmarkt ganz neu orientieren? WiMi-Vertreter Matthias Goldmann von der Max-Planck-Gesellschaft fordert zumindest eine Anhebung der Gesamtzeit auf 14 Jahre. Das würde den heute verlängerten Qualifikationszeiten entsprechen. Eigentlich notwendig sei ein grundlegender „Umbau des Wissenschaftssystems“ – hin zu viel mehr Professuren und sonstigen Dauerstellen. Doch nach dem Willen der Politik soll es bei der Grundregel sechs plus sechs Jahre bleiben.
Mehr Dauerstellen
Der grundsätzliche Konsens in der Großen Koalition ist bei der Dauerstellen-Frage noch wackliger als bei den Befristungen. Die Union will mit dem im Frühjahr von beiden Fraktionen beschlossenen Nachwuchsprogramm – eine Milliarde Euro von 2017 bis 2027 – zusätzlich 1000 Junior- beziehungsweise Assistenzprofessuren schaffen. Sie sollen mit einem Tenure Track, also der gesicherten Karriereperspektive, versehen werden.
Die SPD-Fraktion und zwölf Länder, in denen die Wissenschaftsministerien von der SPD oder den Grünen geführt werden, wollen außerdem den Ausbau neuer Dauerstellen für den Mittelbau an Hochschulen forcieren. Der Weg dahin soll über einen finanziell attraktiven Wettbewerb für entsprechende Personalkonzepte und Nachwuchsstrategien führen. Die SPD-Fraktion im Bundestag macht sich dafür stark, dabei auch den Weg für Tenure Track-Stellen im hochqualifizierten Mittelbau freizumachen und die Zahl der zusätzlichen Juniorprofessuren flexibel halten. Die Union will aber nur die Juniorprofessur ausbauen.
Ungeklärt bleibt die langfristige Finanzierung. Die Verstetigung der Stellen zu finanzieren, auch derer im Mittelbau, sei Ländersache, ist sich zumindest SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil mit Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (CDU) einig. Der Vorschlag, die Bafög-Mittel dafür einzusetzen, verfängt bei den Ländern bislang aber nicht.
Der Weg des Gesetzes
„Ich bin mir sicher, dass sich noch etwas ändern lässt“, ermutigte Simone Raatz, Hochschulexpertin der SPD-Fraktion die kritischen Experten in der Anhörung. „Notwendige Korrekturen“ am Gesetzentwurf zu den Zeitverträgen müssten etwa die Rechtsunsicherheit bei den Qualifikationszielen ausräumen. Die Koalitionsfraktionen wollen bis zum 2. Dezember Änderungsvorschläge einbringen. Die Union äußert sich aber noch vorsichtig. Aus dem Büro von Alexandra Dinges-Dierig (CDU) heißt es, die Anhörung werde nun ausgewertet. Grundsätzlich sei aber schon mit der jetzigen Fassung „eine gute Lösung zwischen Flexibilität und Transparenz für die Mitarbeiter“ gefunden worden. Es bleibt also spannend, in welcher Form das Gesetz am Ende in Kraft tritt.