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Ferne Eiswelt. Ungeahnt schroff ist der Komet „Tschuri“, den die Sonde „Rosetta“ zurzeit erkundet. Vorläufiger Höhepunkt der Mission ist die Landung des Roboters „Philae“ auf dem Eisblock. Die exakte Position des Landers ist nach wie vor unbekannt.
© ESA/Rosetta/NAVCAM

Wissenschaftliche Durchbrüche 2014: Eisige Begegnung im All

Das Wissenschaftsmagazin "Science" kürt die erste Landung auf einem Kometen als größten Erfolg des Jahres. Gefolgt von neun weiteren Fortschritten wie Dinos und Vögeln, junges Blut, kooperierende Roboter, Höhlenkunst, manipulierte Erinnerung und eine Erweiterung des genetischen Alphabets.

Tausende Studien, gewaltige Forschungsgeräte auf der Erde und im Weltraum, unzählige Erkenntnisse – auch in diesem Jahr hat die Redaktion des Fachmagazins „Science“ versucht, aus dieser Flut die wissenschaftlichen „Durchbrüche“ des Jahres herauszufiltern. Den ersten Platz belegt, wenig überraschend, die europäische „Rosetta“-Mission mit der Landung eines Forschungsroboters auf dem Kometen „Tschurjumow-Gerassimenko/67P“ im November. Das Fachblatt „Nature“ adelte die Mission ebenfalls und benannte stellvertretend den Flugdirektor Andrea Accomazzo als einen der zehn einflussreichsten Forscher dieses Jahres. Der Sender „Euronews“ wählte das Rosetta-Team als „Persönlichkeit des Jahres“ und „Physics World“ kürte die Mission zum „Durchbruch des Jahres“.

Lebensbausteine und Wasser - große Fragen an den Kometen

Nach dem Start im März 2004 war die Muttersonde Rosetta zehn Jahre unterwegs, ehe sie den Eisbrocken im August erreichte, eine halbe Milliarde Kilometer von der Erde entfernt. Seitdem erkundet sie ihn mit bisher unerreichter Genauigkeit, kartiert seine unerwartet schroffe Oberfläche und analysiert die ausgestoßenen Gase. Dabei fand sie unter anderem Wasserstoff und Methan sowie einige organische Verbindungen. Die Forscher könnten womöglich aufklären, ob das Leben auf der Erde selbst entstanden ist oder ob wichtige Bausteine von außen – etwa Kometen – auf den Planeten gelangten, heißt es in der Begründung des Magazins. Überraschend ist die Analyse des Wasserstoffs und der darin enthaltenen Isotope. Bislang vermuteten Planetologen, dass das Wasser der Erde auch von Kometen aus dem Kuiper-Gürtel stammt, zu denen auch „Tschuri“ gehört. Jüngste Daten der Rosetta-Mission haben diese These widerlegt, als mutmaßliche Quelle des irdischen Wassers gelten jetzt vorrangig Asteroiden.

Rosetta verfolgt, wie "Tschuri" immer aktiver wird

Das sind nur die ersten Erkenntnisse der Mission. Zwar starb der Lander „Philae“ drei Tage nach dem Aufsetzen den Kältetod, doch er schickte noch zahlreiche Daten, die zurzeit ausgewertet werden. Wo genau der Roboter nach zwei Hüpfern auf der harten Oberfläche zum Stehen kam, wissen die Forscher immer noch nicht. Rosetta umrundet den Kometen weiter, sucht dabei den Landeplatz – und verfolgt natürlich, wie der Komet immer mehr Gas und Staub spuckt. Die größte Aktivität wird für August erwartet. Denn dann kommt Tschuri der Sonne am nächsten.
Die Science-Redaktion wählte darüber hinaus neun weitere Durchbrüche aus, allerdings ohne eine Platzierung:

Dinos, Vögel und junges Blut

Wie aus Dinos Vögel wurden

Evolutionsbiologen konnten 2014 die Entwicklung der Vögel aus den Dinosauriern präzise nachvollziehen. Dabei fanden sie zum Beispiel weitere Belege dafür, dass Federn keine „Erfindung“ der Vögel sind. Schon bevor diese Tiere sich entwickelten, gab es viele verschiedene gefiederte Dinos. Die Federn dienten offenbar nicht nur zum Fliegen, sondern auch als Schutz vor Kälte, als Werbefläche für die Partnerwahl und als Hilfsmittel, um besser die Balance zu halten.

Junges Blut für Herz und Hirn

Auf der Suche nach dem Quell ewiger Jugend nähten Wissenschaftler bereits vor 150 Jahren die Haut von zwei Mäusen zusammen. Sie wollten die Blutkreisläufe verbinden, denn im Blut vermuteten sie einen regelrechten Jungbrunnen. Vor etwa 15 Jahren wiederholten Stammzellforscher das bizarr anmutende Experiment. Ihr Ergebnis: Durch das Blut junger Mäuse konnten ältere Tiere wieder mehr Muskelstammzellen bilden. In diesem Jahr hat das Team um Amy Wagers von der Universität Harvard eine Erklärung dafür gefunden. Der Wachstumsfaktor GDF 11 – ein Eiweiß, das im Blut von Jungtieren im Überfluss vorkommt und später rar wird – kann anscheinend Alterungsprozesse zurückdrehen. Das Eiweiß verjüngt nicht nur das Herz, so dass ältere Mäuse zum Beispiel wieder länger laufen konnten. Es lässt sogar Nervenzellen im Gehirn wachsen. Sowohl der Geruchssinn als auch die räumliche Orientierung verbesserten sich. Forscher suchen nun nach weiteren Eiweißen mit ähnlichen Aufgaben. Ob das berechtigte Hoffnung oder Hype ist, müssen Studien am Menschen zeigen. 18 Alzheimer-Patienten bekamen bereits eine Transfusion mit dem Plasma junger Blutspender.

Roboter arbeiten zusammen

Nach wie vor sind Roboter wesentlich dümmer als es die Science-fiction-erfahrene Menschheit vermutet. Einige Fortschritte wurden erzielt, wenn es darum geht, dass Robos zusammenarbeiten, ohne dass ein Mensch von außen eingreift. So haben Forscher tausend kleine Krabbel-Maschinen dazu gebracht, dass sie selbstständig geometrische Figuren und Buchstaben bilden. In einer anderen Studie haben zehn Quadrocopter einander ihre Positionen mitgeteilt und ihre Flugbewegungen so angepasst, dass sie Formationen flogen, ohne zu kollidieren.

Schlau im Schwarm. Die einzelnen Roboter - "Kilobotsw" genannt - bewegen sich durch Vibrationen fort.
Schlau im Schwarm. Die einzelnen Roboter - "Kilobotsw" genannt - bewegen sich durch Vibrationen fort.
© REUTERS/Mike Rubenstein and Science/AAAS

Rechnen wie das Gehirn

Das Gehirn mit seinen 100 Milliarden Nervenzellen verbraucht weniger Energie als eine Glühbirne, kann Schäden erstaunlich gut ausgleichen, kommt ohne einen zentralen Prozessor aus und kann trotzdem mit manchen seiner Fähigkeiten die besten Supercomputer in die Knie zwingen. Informatiker versuchen deshalb, die Architektur von Nervennetzwerken nachzuahmen. In diesem Jahr gelang das unter anderem der Firma IBM mit ihrem neuromorphen Chip TrueNorth. Mithilfe von 5,4 Milliarden Transistoren (Schaltstellen) erreicht der Chip die Leistung von einer Million Neuronen mit 256 Millionen Synapsen (Verbindungstellen zwischen Nervenzellen). Sie sind in 4096 Strukturen gebündelt, die Daten lagern, verarbeiten und übertragen können. Verglichen mit dem Gehirn sind das bescheidene Anfänge. Doch komplexere Netzwerke sind geplant. Interessant ist die Technik für alle Anwendungen, die riesige Datenberge bewältigen müssen.

Kunst in Höhlen, falsche Erinnerungen und winzige Satelliten

Zellen gegen den Zucker

Wer zuckerkrank ist, dem mangelt es an Insulin. Das Hormon wird in den Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse gebildet. Es schleust den „Brennstoff“ Traubenzucker aus dem Blutstrom zu den „Verbrauchern“, den Zellen. Seit mehr als einem Jahrzehnt haben Forscher versucht, insulinproduzierende Beta-Zellen aus embryonalen Stammzellen zu züchten. Sie könnten eines Tages die bei der Zuckerkrankheit zerstörten Beta-Zellen ersetzen. In diesem Jahr taten zwei Forscherteams den ersten Schritt. Aus verschiedenen Arten von Stammzellen entstanden insulinbildende Zellen. Noch können sie nicht beim Menschen eingesetzt werden, weil sie vermutlich von der Körperabwehr des Kranken zerstört würden. Aber zumindest lässt sich die Zuckerkrankheit Diabetes mit ihrer Hilfe genauer studieren.

Europa hat kein Monopol für frühe Kunst

Höhlenpopcorn hat nicht nur einen interessanten Namen. Den stalaktitenartigen Strukturen verdankt die Wissenschaft in diesem Jahr eine Erkenntnis zur Entwicklung des menschlichen Geistes. Denn in den Maroshöhlen auf der Insel Sulawesi in Indonesien wachsen die Gebilde auf uralten Höhlenmalereien. Und zwar seit 35.000 bis 40.000 Jahren, wie eine Analyse der Uran- und Thoriumisotope ergab. Damit sind Handumrisse, Schweine und Büffel vier Mal so alt wie bisher gedacht. Sie können ohne Weiteres mit der Chauvet-Höhle in Frankreich oder der Höhle El Castillo in Spanien mithalten. Die Datierung widerlegt die These, dass der Mensch erst zu abstraktem Denken und symbolischen Abbildungen fähig war, als er Europa erreichte. Entweder entwickelte sich diese Form der Kunst bereits bevor der Mensch aus Afrika auswanderte. Oder sie entstand an zwei Orten unabhängig voneinander.

Falsche Erinnerungen

Es klingt wie das Skript eines Science-Fiction-Films. Wissenschaftler gelang es 2013, Erinnerungen zu löschen und durch neue zu ersetzen. In diesem Jahr gingen sie noch einen Schritt weiter, indem sie den gefühlsmäßigen Inhalt der Erinnerung von gut zu schlecht (und umgekehrt) manipulierten. Allerdings gelang das alles bislang nur bei Mäusen. Diese nahmen einen Raum, in denen ihnen zuvor leichte Elektroschocks verabreicht worden waren, plötzlich als positiv wahr. Die Forscher nutzten eine Technik namens Optogenetik, um das Gedächtnis zu manipulieren. Die Optogenetik steuert mit Hilfe von Licht die Impulse von Nervenzellen des Gehirns. Irgendwann könnte sie eingesetzt werden, um traumatische Erinnerungen zu entschärfen. Aber das ist wirklich Science fiction.

Ein Heer von Satellitchen

Als richtige Satelliten galten lange Zeit Blechkameraden vom Format eines Pkw, randvoll mit Technik und Treibstoff, millionenschwer. Vor allem an Universitäten wurden dagegen Cubesats entwickelt, gerade zehn mal zehn mal zehn Zentimeter groß. Sie konnten nicht viel, außer den Studis die Grundlagen der Steuerung und Kommunikation zu demonstrieren. Das hat sich gravierend geändert. Cubesats machen inzwischen Fotos und einfache Messungen. Ihre Stärke ist die Kooperation: Als Flotte können sie die Erde viel besser in den Blick nehmen als ein einzelner Großer. Und sie sind billiger, nicht zuletzt, weil sie keine eigenen Startraketen brauchen, sondern bei anderen Missionen mitfliegen. Mehr als 75 Cubesats wurden dieses Jahr gestartet. Ihre Zahl dürfte in den nächsten Jahren weiter steigen. Einer der Treiber auf diesem Gebiet ist übrigens die Technische Universität Berlin.

Darf’s ein bisschen mehr sein?

Man@ stelle sich §vor, un§ser Alphabet würde plötz@lich um ein paar zusätzliche Buch@staben erweitert. Auf den ersten Blick ergibt das nicht viel Sinn. Doch dem genetischen Code von Bakterien zusätzlich zu den bekannten vier Ziffern ACGT noch X und Y hinzuzufügen, gibt Biotechnologen die Möglichkeit, Proteine nicht mehr nur aus den 20 natürlichen Aminosäuren zusammenzubauen, sondern um künstliche Bausteine zu ergänzen. So lassen sich Wirkstoffe herstellen, die heute nur sehr aufwändig synthetisiert werden könnten. Bedenken, dass die Bakterien der Umwelt schaden könnten, sind unbegründet, denn@ da drauss§§en wü@rde sie eh@ niema§§nd versteh@en.

Sascha Karberg, Ralf Nestler, Jana Schlütter, Hartmut Wewetzer

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