Philae: Roboter bleibt trotz Harpunen-Fehler auf Kometen
Zum ersten Mal landet mit "Philae" ein Roboter auf einem kosmischen Eisbrocken - aber er verankert sich nicht wie geplant. Der Chef der Rosetta-Mission, Paolo Ferri, geht aber davon aus, dass "Philae" trotzdem auf dem Kometen bleiben wird. Heute morgen gab es wieder eine Funkverbindung.
Eine der spannendsten Weltraummissionen erreichte am Mittwoch ihren Höhepunkt. Zum ersten Mal wurde ein Forschungsroboter sanft auf einem Kometen abgesetzt, um ihn zu erkunden. Wissenschaftler versprechen sich davon zahlreiche Erkenntnisse, etwa darüber, wie das Wasser auf die Erde gekommen ist – und vielleicht sogar das Leben. Sofern der Landeroboter "Philae" festen Stand hat, um mit seinen Geräten den kosmischen Eisbrocken zu untersuchen. Das ist derzeit keinesfalls sicher.
Seit zehn Jahren unterwegs im All
Die Mission der europäischen Raumfahrtagentur Esa begann im März 2004 mit dem Start der Raumsonde „Rosetta“. In weiten Schwüngen kreiste sie mehrfach um die Sonne, holte sich durch Vorbeiflüge an Erde und Mars neuen Schwung und erreichte im August „67P/Tschurjumow-Gerassimenko“. Seitdem umrundet Rosetta den vier Kilometer großen Eisbrocken und beobachtet ihn mit seinen Messinstrumenten. Am Mittwoch warf Rosetta einen rund 100 Kilogramm schweren Roboter namens „Philae“ ab, damit er nach sechs Stunden Flug mit einem Tempo wie bei einem gemütlichen Spaziergang sanft auf der Oberfläche des Kometen aufsetze.
Es war eine Zitterpartie, denn Tests einige Stunden zuvor hatten gezeigt, dass das Landesystem nicht vollständig einsatzbereit war. Der Plan: Beim Aufsetzen sollen Harpunen aktiviert werden, um zu verhindern, dass der Lander zurück in den Weltraum fliegt. Doch das Abfeuern ist ebenfalls ein Impuls, der Philae von der Oberfläche wegdrücken könnte. Als Gegenmittel haben die Konstrukteure ein Kaltgastriebwerk auf der Oberseite vorgesehen.
Es stößt komprimiertes Gas aus und erzeugt damit einen Anpressdruck auf den Kometen. Doch die Tests brachten schlechte Nachrichten. „Das System scheint nicht zu funktionieren“, sagte Stephan Ulamec, Leiter der Landeeinheit beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) am Morgen. Dennoch entschloss man sich, Philae loszuschicken. Gegen halb zehn am Vormittag wurde der Lander von seinem „Mutterschiff“ getrennt. Die Bodenkontrolle, 510 Millionen Kilometer entfernt, erhielt die Nachricht allerdings erst um 10:03 Uhr. Jubel, Beifall, erste Umarmungen.
Tschuri riecht nach faulen Eiern
Es steht viel auf dem Spiel. 1,3 Milliarden Euro kostet die Mission. Zwar verfolgen die Geräte von Rosetta seit August das Wohl und Wehe der „Badeente“, wie 67/P aufgrund seiner Gestalt auch genannt wird. Der Komet spuckt bereits ordentlich Gas und Staub, vor allem im „Nacken“ gibt es eine erhöhte Aktivität. Je näher er der Sonne kommt, umso heftiger werden die Auswürfe sein. In der Dunstwolke haben die Sensoren neben Wasser und Kohlendioxid auch Schwefelwasserstoff entdeckt: Hätte Rosetta eine Nase, würde sie den Geruch fauler Eier wahrnehmen.
Sind Kometen Ursprung des Lebens?
Das Hauptaugenmerk liegt jedoch auf dem Lander Philae, er verspricht die spannendsten Daten zu liefern. Etwa zur Zusammensetzung des Wassers. Ein Massenspektrometer soll herausfinden, ob das Verhältnis der Wasserstoffisotope (verschieden schwere Sorten von Wasserstoffatomen) dem auf der Erde ähnelt. Das wäre ein starker Hinweis darauf, dass das Wasser auf unserem Planeten maßgeblich von Kometen herbeigeschafft worden wäre. Noch spannender wäre es, organische Moleküle in dem Kometenmaterial zu analysieren. Das könnte den Wissenschaftlern die langersehnte Antwort liefern, ob die Bausteine des irdischen Lebens womöglich durch vagabundierende Eisklumpen auf die Erde kamen.
Von einer zweiten "Mondlandung" ist die Rede
All das setzt voraus, dass Philae sicher zu Boden geht. Von einer zweiten „Mondlandung“ war in den vergangenen Tagen mitunter die Rede. Das mag etwas übertrieben sein. Anspruchsvoll ist das Unterfangen aber allemal. Bisher hat die Menschheit nur auf sechs Himmelskörpern Roboter landen lassen. An einen Kometen hat sie sich noch nicht herangetraut. Bereits die Annäherung an die vergleichsweise kleinen Körper ist weitaus schwieriger als bei Mars oder Mond, man muss sie erst mal finden. Ein Staubschweif, wie er für Kometen typisch ist, macht es schwieriger, die Orientierung zu behalten, sprich auf Kurs zu bleiben.
Tschuri rotiert, das macht die Landung umso schwieriger
Und erst die Landung. Durch wiederkehrende Eruptionen ist das Gelände tief zerklüftet, teilweise überhängend. Die Entscheidung für einen Landeplatz war so etwas wie die Wahl zwischen Pest und Cholera. Und dann dreht sich das Ding auch noch, knapp zwei Mal pro Tag. Für einen Himmelskörper ist das viel. Nur ein paar Minuten zu spät, schon hat sich die avisierte Landestelle weggedreht.
Steht der Lander sicher?
Um 17:03 Uhr traf das ersehnte Signal auf der Erde ein. Touchdown! Doch die Chefs der Mission schauen seltsam angespannt, gehen konzentriert die Daten durch. Zehn nach fünf meldet sich Ulamec zu Wort. „Die Landeeinheit hat den Boden erreicht. Philae spricht zu uns“, sagt er. „Wir sind auf dem Kometen gelandet!“ Die Experten applaudieren, johlen und umarmen einander. Vom Esa-Generaldirektor Jean-Jaques Dordain über die Raumfahrtkoordinatorin der Bundesregierung, Brigitte Zypries, von Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier bis zur Bundesforschungsministerin Johanna Wanka - alle gratulieren zu dem tollen Erfolg.
Später werden Zweifel laut, die Harpunen hätten nicht gefeuert, heißt es. Doch dann trifft das erste Bild von Tschuri ein, das Philae gemacht hat, die Zweifel treten vorübergehend in den Hintergrund. Die Gesichter der Fachleute im Lander-Kontrollzentrum bleiben angespannt. Der Chef des Esa-Flugbetriebs im Satelliten-Kontrollzentrum Esoc in Darmstadt, Paolo Ferri, ging am Donnerstag aber davon aus, dass „Philae“ trotzdem auf dem Kometen bleiben wird.
Verwirrende Daten aus den Tiefen des Alls
Kurz nach acht am Mittwochabend gibt es erneut eine Pressekonferenz. Ulamec, sichtlich gezeichnet von einem langen Tag, ergreift das Wort. Es sei schwierig, auf einem Kometen zu landen. Und, das habe man heute gelernt, es sei ebenso schwierig, zu verstehen, was passiert. "Wir sind gelandet, das ist sicher." Das gehe aus den Daten eindeutig hervor. Die Funkverbindung war stabil und es wurden zahlreiche Messdaten der Instrumente übermittelt.
Aber man wisse auch, dass die Harpunen nicht abgefeuert wurden, der Lander also nicht in der Oberfläche verankert sei. Dazu kommen Schwankungen der Funksignale sowie bei der Leistung der Solarzellen auf der Landeraußenhülle. "Wir haben noch nicht völlig verstanden, was das bedeutet", sagt er.
Vielleicht ist Philae erneut abgehoben
"Man könnte alle Anzeichen so interpretieren, dass Philae wieder abgehoben hat." Und womöglich ein zweites Mal gelandet ist, denn Funkverbindung war bis zum Abend stabil und es wurden viele Daten übermittelt. Doch das sei reine Spekulation, sagt Ulamec.
Gerade jetzt, wo es spannend wird, kommen die Wissenschaftler aber nicht weiter. Philae befindet sich gerade in einem Funkloch. Dass es so kommen wird, wussten die Forscher, sagt Paolo Ferri, Leiter der Mission. "Aber wir haben den Kontakt etwas früher verloren als erwartet." Am nächsten Morgen früh, so hofft er, lasse sich wieder eine Verbindung herstellen.
Tatsächlich gelingt es am Donnerstagmorgen, wieder mit den beiden Sonden in Kontakt zu treten. Die dpa zitiert eine Mitteilung der Esa, wonach die Position des Roboter-Gerätes trotz der Probleme bei der Landung recht stabil zu sein scheint. Weitere Details sollen gegen 14 Uhr bekannt gegeben werden.
Ralf Nestler