zum Hauptinhalt
An der Universität Halle wird ein Professor bei seiner Vorlesung in einem naturwissenschaftlichen Hörsaal gefilmt.
© Waltraud Grubitzsch/dpa-Zentralbild/ZB

Erzwungene Digitalisierung der Hochschulen: „Ein großes Hurra seitens der Lehrenden gab es bisher nicht“

Digitale und analoge Lehre lassen sich hervorragend kombinieren, sagt E-Learning-Experte Nicolas Apostolopoulos. Die Unis müssten die Chance nur ergreifen.

Nicolas Apostolopoulos ist Honorarprofessor für Medienpädagogik an der Freien Universität Berlin. Von 1998 bis 2017 war er als Gründer und Leiter des Centers für Digitale Systeme verantwortlich für den Aufbau der E-Learning-Plattformen und -Angebote an der FU. Mit ihm sprach Astrid Herbold.

Herr Apostolopoulos, wir erleben das größte hochschuldidaktische Realexperiment aller Zeiten. Ist die Verlagerung der Lehre ins Internet halbwegs gelungen?
Die gesamte akademische Welt in Deutschland hat die aktuelle Situation als eine Herausforderung empfunden und aus meiner Sicht das Beste daraus gemacht. Den ersten Schock haben die Universitäten schnell überwunden und dann den Sprung ins kalte Wasser gewagt. Innerhalb weniger Wochen wurden die konventionellen Präsenzstrukturen in virtuelle Strukturen – sozusagen als Fernunterricht – umgewandelt.

[Verfolgen Sie in unseren Liveblogs die aktuellen Entwicklungen zum Coronavirus in Berlin und zum Coronavirus in Deutschland und der Welt.]

Allerdings waren die Hochschulen zu Beginn der Krise keineswegs technisch top ausgestattet. Es mussten erst mal hektisch Server gekauft und Kapazitäten geschaffen werden. Hätte man das nicht viel eher angehen können?
Man kann den Präsenzuniversitäten nicht den Vorwurf machen, dass sie vorsorglich in eine reine digitale Welt hätten investieren müssen. Was man ihnen vorwerfen kann: Dass sie das Potenzial der Digitalisierung und der Nutzung digitaler Lernumgebungen nicht schon längst erkannt haben.

Lehr- und Lernkonzepte lassen sich mithilfe multimedialer, vernetzter Systeme enorm verbessern! Das haben die Hochschulen viel zu wenig systematisch vorangetrieben. Es gab zwar immer wieder einzelne Projekte zu Blended Learning, also Mischformen von konventioneller Präsenzlehre und digitalen Technologien. Aber eine umfassende Strategie hat es so gut wie gar nicht gegeben.

[Lesen Sie auch den Erfahrungsbericht von Astrid Herbold als Lehrende an der Freien Universität: Mein erstes virtuelles Seminar]

Werden sich die Hochschulen nun neu erfinden?
Viele entdecken jetzt die Vorteile der Online-Lehre. Man kann Audio, Video, Simulation, Animation, Suchsysteme und vieles Weiteres nutzen, um die Wissensvermittlung substanziell zu verbessern. Diese Erkenntnis sickert gerade an den Hochschulen durch, aber auch in den Ministerien und Wissenschaftskommissionen.

Denn die Studierenden hätten gerne ein gutes digitales Angebot, das wissen wir aus vielen Evaluationen. Das gilt insbesondere für Massenveranstaltungen. Nur waren die Lehrenden bislang – auch aus Gewohnheit sowie wegen der Hürden der Technologie – sehr zurückhaltend und konservativ.

Ein Porträtbild von Nicolas Apostolopoulos.
Nicolas Apostolopoulos, Honorarprofessor an der Freien Universität.
© Thilo Rückeis

Vor allem asynchrone Formate, also Vorlesungsreihen, die aufgezeichnet werden und die jeder anschauen kann, wann er will, stehen neuerdings hoch im Kurs. Wo liegen die Vorteile?
Die Studierenden können sich den Stoff konzentrierter und in ihrem eigenen Tempo aneignen. Wenn man mit knapp tausend Menschen in einem Raum sitzen muss, hat das ohnehin nichts mehr mit effektivem Lernen oder mit Dialog zu tun. Asynchrone Lehre heißt allerdings nicht, dass man eine Vorlesung einfach abfilmt. Das ist didaktisch nicht sinnvoll.

Splittet man die Lerneinheit aber in kleine Teile auf, stellt zwischendrin Fragen und bietet den Studierenden virtuelle Tutorien an, dann kann man die Vorteile der Onlinelehre ausschöpfen. Der Aufwand lohnt sich aus meiner Erfahrung auf jeden Fall! Niemand will in die alte Welt zurück, wenn er sich einmal entschieden hat, asynchrone, digitale Elemente mit Präsenzoptionen zu kombinieren.

Berichte zur Corona-Lage an den Hochschulen

Tausende Lehrende haben in den vergangenen Wochen E-Learning-Schulungen besucht. Wird das ein breites Umdenken auslösen?
Es gibt durchaus Kolleginnen und Kollegen, die sich freuen, dass die Hochschulen ihnen endlich genügend Möglichkeiten für die digitale Lehre zur Verfügung stellen. Aber ob diejenigen, die vorher skeptisch waren, jetzt ihre Meinung ändern? Ein großes Hurra seitens der Lehrenden gab es jedenfalls bisher nicht. Insbesondere ältere Dozentinnen und Dozenten, die sehr erfolgreich Präsenzunterricht durchgeführt haben, werden sich vermutlich nicht mehr dauerhaft umstellen wollen.

Das ist ja zunächst auch mit großem Mehraufwand verbunden. Wann wird es Prototypen oder feste Formatvorlagen geben, so- dass nicht jeder für sich allein das Rad neu erfinden muss?
Ehrlich gesagt haben wir diese Best- Practice-Beispiele schon, etwa beim Hochschulforum Digitalisierung. Das digital gestützte, multimediale Lernen ist gut erforscht. Wir wissen, wo die Vor- und Nachteile liegen, was geht und was eher nicht. Aber dieses vorhandene Basiswissen ersetzt nicht die eigenen Erfahrungen. Natürlich könnten die E-Learning-Center noch mehr Musterbeispiele bereitstellen.

Was die Dozenten dringender brauchen, ist Schulung sowie direkte Unterstützung beim Transformationsprozess. Damit sie während des Semesters nicht lange experimentieren müssen und dabei frustriert werden. Dazu müssten die Center eine Zeit lang personell aufstocken. Da müsste jetzt massiv investiert werden. So wie in anderen Branchen die Digitalisierung zu neuen Produkten führt und alte eliminiert, so wird auch das Bildungswesen durch die Digitalisierung ein völlig neues Gesicht bekommen. Das ist eine strategische Aufgabe für Hochschulleitungen und Politik.

Bei aller Begeisterung für asynchron, hybrid und blended – hat die Onlinelehre auch Grenzen?
Digitale Formate funktionieren gut, wenn es überwiegend um Stoffvermittlung geht, etwa um Einführungsvorlesungen, zu denen es gute Lehrbücher und ausgereifte digitale Lernmaterialien gibt. Sobald persönliche Interaktion und Diskurs starke Bestandteile des gemeinsamen Lernens sind, brauchen wir Präsenzveranstaltungen. Das können wir digital nicht herstellen – und das sollten wir auch nicht anstreben. Eine Online- beziehungsweise Fernuniversität ist nicht erstrebenswert.

Zur Startseite