Online-Lehre in Berlin: Mein virtuelles Seminar - wie es ist und wie es sein könnte
Berlins Hochschulen stemmen das erste Onlinesemester. Unsere Autorin ist Dozentin. Ein Bericht aus dem Maschinenraum einer aus der Not geborenen Revolution.
Das ist sie also, die Onlinelehre, von der jetzt alle sprechen. Ein Mittwochmorgen im April: Seit zehn Minuten sitze ich aufgeregt und reglos vor meinen Laptop – und sehe in dem kleinen Bildschirmfenster der Videokonferenz nur mich selbst.
Mit 25 Studierenden bin ich um 10.15 Uhr zum ersten Mal virtuell zum Seminar verabredet. Sie loggen sich allesamt pünktlich ein, allerdings bleiben ihre Kameras und Mikrofone ausgestellt. So vermeidet man Störgeräusche und zu hohes Datenvolumen.
Das habe ich kürzlich bei einer zweistündigen Fortbildung gelernt – ohne die ich mir dieses Experiment hier gar nicht zugetraut hätte.
Normalerweise unterrichte ich als externe Lehrbeauftragte, entweder ganztägige Blockseminare oder alle zwei Wochen vierstündige intensive Sitzungen. Jetzt soll bis Juli alles via Internet funktionieren.
Es fühlt sich komisch an
„Guten Morgen und herzlich willkommen!“, höre ich mich rufen. Kein Laut kommt zurück, ich sehe keine Gesichter. Komisches Gefühl.
Immerhin bin ich mit meiner Unsicherheit nicht allein. Tausende Berliner Lehrende, von der Professorin bis zum Doktoranden, vom Akademischen Rat bis zur wissenschaftlichen Hilfskraft, haben in den vergangenen Wochen ihre Veranstaltungen notgedrungen digitalisieren müssen. Wie ist uns das gelungen? Was klappt, was nicht? Und vor allem: Wie können wir noch besser werden?
Nach der Ad-hoc-Umstellung auf den virtuellen Lehrbetrieb betonten die Berliner Universitäten zunächst vor allem die quantitativen Erfolge: An der Freien Universität können im Sommersemester nach eigenen Angaben 89 Prozent der geplanten Veranstaltungen digital angeboten werden. An der Humboldt-Uni spricht man von etwa 5000 digitalen Veranstaltungen. Die Technische Universität verzeichnet seit Semesterbeginn knapp 8000 hochgeladene Videos und Zehntausende Webkonferenzen.
Online-Kurse, in denen Lehrende lernen, Online-Kurse zu geben
„Ich habe den Eindruck, dass die Universitäten deutlich schneller bei der Umstellung waren als die Schulen“, sagt Martina Mörth, Leiterin des Berliner Zentrums für Hochschullehre (BZHL), das an der TU angesiedelt ist, aber von allen 13 öffentlichen Berliner Hochschulen getragen wird. Als Mutter zweier Grundschulkinder kennt sie auch die Perspektive der Berliner Eltern. Mörth und ihren Kolleginnen haben in den vergangenen Wochen Dutzende Schulungen zur Online-Lehre durchgeführt – „der Andrang war enorm“.
Kein Wunder: Was nützen die schönsten von den Hochschulen bereitgestellten Tools, wenn man damit nicht umgehen kann? Auch ich bin bisher kaum mit E-Learning-Anwendungen in Berührung gekommen. Wann auch? Mit den technischen Infrastrukturen an den Hochschulen, an denen ich stundenweise lehre, bin ich meist nur rudimentär vertraut. Die Vorbereitungszeit, die bei Lehrbeauftragten ohnehin nicht bezahlt wird, geht für die inhaltliche Konzeption drauf.
Von mühsam bis superpraktisch
Doch diesmal komme ich um ein Umdenken nicht herum. Umso stolzer bin ich, als die ersten Versuche glatt über die Bühne gehen. Ich habe den Studierenden während der Videokonferenz meine Power-Point-Präsentation gezeigt, ich habe Materialien und Übungen auf der Uni-eigenen Lernplattform hinterlegt. Dort können die Studierenden nun auch direkt ihre Hausaufgaben hochladen. Warum habe ich das nicht schon früher benutzt? Ist ja super praktisch!
Doch trotz dieser erfolgreichen Trippelschritte in den virtuellen Raum merke ich in den ersten Wochen schnell, dass ich an meine Grenzen komme – und längst nicht so zufrieden bin mit meiner Lehre wie in den vergangenen Jahren. Ein typischer Fehler: Ich monologisiere während der Webkonferenzen, die Studierenden reden viel zu wenig. Zwar bietet das Programm durchaus Interaktionsmöglichkeiten: Man kann kleine Umfragen starten, miteinander chatten, sogar ein Tafelbild könnte man gemeinsam erstellen.
Das Problem mit der Gruppenarbeit
Aber Routine habe ich bei all diesen Dingen nicht. Auch die vielen schriftlichen Aufgaben, die ich nach jeder Sitzung erteile, erscheinen mir schon nach kurzer Zeit fragwürdig: Sonst ermutige ich die Studierenden ständig, in Gruppen zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig Feedback zu geben.
Nun lernt und schreibt jeder für sich allein. Niemand sieht die Ergebnisse der anderen, gegenseitige Inspiration fehlt. Motivierend ist das sicher nicht.
Martina Mörth hat bei ihren Schulungen die Erfahrung gemacht, dass viele Lehrende erst einmal als Kursteilnehmer erleben müssen, welche Möglichkeiten die virtuellen Plattformen bieten – bevor sie sich die Nutzung dann nach und nach selbst zutrauen. „Wer sieht, wie vielfältig und lebendig die digitale Interaktion gestaltet werden kann, bekommt oft Lust, noch mehr auszuprobieren.“
Viele Ideen - und keine Ahnung, wie es funktioniert
Mörth rät den Lehrenden dazu, sich nicht mit dem Status quo zufriedenzugeben, sondern immer mal wieder neue Elemente einzubauen. „Man kann es ja gegenüber den Studierenden offen kommunizieren, dass das ein Experiment ist.“ Außerdem: „Das Sommersemester ist noch lang.“
Ende Mai bin auch ich so weit: Ich würde gerne noch aufrüsten. Bei unseren Mittwochs-Konferenzen hat sich nun schon eine gewisse Routine eingestellt, auch das mit den hochgeladenen Hausaufgaben klappt gut. Wie wäre es, wenn wir jetzt noch einen internen Blog für unser Seminar aufsetzen? Den die Studierenden mit tollen Inhalten befüllen? Vielleicht sogar kleine Videos hochladen? Ich habe nur leider keine Ahnung, wie das funktioniert. Zum Glück halten die meisten E-Learning-Center Unterlagen zur selbstständigen Weiterbildung bereit.
Es ginge mehr. Und könnte Spaß machen. Doch wäre es überhaupt gut?
Auch Schulungen und thematische Sprechstunden werden angeboten – man muss es nur schaffen, einen Platz zu ergattern. „Sie können auch bei uns jederzeit eine Beratung bekommen“, sagt Mörth. Die Angebote des BZHL stehen allen Berliner Hochschullehrenden offen. Ich nehme mir fest vor, noch im Juni einen Termin zu machen.
Doch halt, Moment mal: Presche ich vielleicht zu schnell vor? Sollte ich nicht zunächst mit meiner Seminargruppe Rücksprache halten, bevor ich im laufenden Semester neue Formate aus dem Hut zaubere? Viele Studierenden klagen mittlerweile in Umfragen über die hohen Belastungen, die das Onlinesemester mit sich bringt. Es gebe zu wenig Plätze in den verfügbaren Veranstaltungen, das normale Studienpensum sei nicht zu schaffen.
Auch macht die Abgeschiedenheit vielen Studierenden psychisch zu schaffen. Dazu kommen Existenzängste, veraltete technische Geräte oder fehlende Breitbandanschlüsse in den WG-Zimmern. Wie kann man unter diesen Umständen dennoch gut lernen?
Feedback, Feedback, Feedback
Ein Standardrezept für Onlinelehre gibt es nicht, erklärt mir Martina Mörth. Was für die einen gut funktioniert, funktioniert für andere weniger gut. Manche Studierende lernen gerne selbstbestimmt zu Hause, anderen fehlt der Austausch und die Uni-Umgebung sehr. Wichtig für alle aber sei, dass sie von den Lehrenden Feedback bekommen. „Darauf sollte man derzeit besonders achten.“
Was mir selbst weiterhin am meisten fehlt, ist der Spirit des Seminarraums. Die Energie, die Atmosphäre. „Das online nachzubilden, ist nicht einfach“, sagt auch Mörth. Sie schlägt vor, dass die Studierenden in den Diskussionsphasen nach Möglichkeit ihre Kameras einschalten. So kann man wenigstens mit Handzeichen oder Kopfschütteln interagieren. Ich könnte außerdem kleine Gruppenaufgaben einbauen, die Studierenden in virtuellen Nebenräumen – sogenannte Break-out-Rooms – schicken und sie später wieder in der großen Runde versammeln.
Think–Pair–Share heißt dieser Ansatz: nachdenken, sich zu zweit besprechen, dann die Ergebnisse im Plenum vorstellen. Klingt gut – aber ob ich es bis zur nächsten Videokonferenz schaffe, das technisch und inhaltlich vorzubereiten? Mal sehen. Einen Versuch wäre es sicher wert.
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